Archiv


Über die Folgen des Mehlis-Berichts

Der UN-Bericht, nach dem sowohl Syrien als auch der Libanon in den Mord an dem libanesischen Politiker Hariri verwickelt sein sollen, könnte nach Einschätzung des Islamexperten Peter Heine zu einer Eskalation in Nahost führen. Heine rechnet mit einem intensiveren Vorgehen der USA gegen irakische Aufständische auf syrischem Gebiet. Im Libanon könnte der Nachweis einer Mitwisserschaft von Präsident Lahoud am Hariri-Mord bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen, schätzt Heine.

Moderation: Burkhard Birke |
    Burkhard Birke: Menschen in Syrien: Mittäter, Mitwisser des Hariri-Mordes - natürlich ist der Bericht in Syrien wie eine Bombe eingeschlagen. Und wie brisant die ganze Angelegenheit ist, belegt nicht zuletzt der Selbstmord des syrischen Innenministers Ghasi Kanaan vergangene Woche. In den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk sind wir jetzt telefonisch verbunden mit Professor Peter Heine, er ist Nahost-Experte und Islamwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Heine, für wie seriös halten Sie denn die Ermittlungen und als Konsequenz daraus auch die Anschuldigungen von Detlev Mehlis?

    Peter Heine: Nun, es handelt sich um einen ausgesprochen erfahrenen Staatsanwalt - wir haben das gerade ja schon gehört -, der einen ganz komplizierten und sehr umfänglichen Fall untersucht hat. Und die libanesischen Reaktionen, die ich jetzt in den letzten Stunden gehört habe, gehen interessanterweise vor allen Dingen auch auf die Dinge ein, die den technischen Ablauf - also welche Bomben, wer ist beteiligt gewesen an der Räumung des Unglücksortes oder der Attentatsortes und solche Dinge -, die sind außerordentlich auf großes Interesse im Libanon gestoßen.

    Birke: Waren Sie denn überrascht, dass es hier eine Mittäter- oder Mitwisserschaft vonseiten des syrischen Geheimdienstes, hoher politischer Zirkel in Syrien und im Libanon gab und gibt?

    Heine: Nein, im Grunde nicht. Ein Attentat von den Ausmaßen gegen eine dermaßen geschützte Person, die kann nur mit entsprechender Kenntnis oder Hilfe der syrischen und der libanesischen Sicherheitsdienste oder von Kreisen in ihnen durchgeführt werden.

    Birke: Herr Professor Heine, einige Staaten haben nun schon nach der Publikation dieser ersten Ergebnisse aus dem Mehlis-Bericht mit Sanktionen gedroht. Sind Sanktionen gegen Syrien nun unausweichlich?

    Heine: Also die Syrier und auch die libanesischen Stimmen befürchten solche Sanktionen ganz entschieden. Es wird dann natürlich problematisch sein, dass man Syrien mit irgendwelchen Strafmaßnahmen überzieht. Damit rechnen eigentlich alle. Aber dann müsste man wegen der Beteiligung der libanesischen Kreise eben auch den Libanon entsprechend behandeln - und ob das geht, ob so eine Gleichbehandlung möglich sein wird, das möchte ich noch bezweifeln. Im Übrigen, in Bezug auf Syrien muss man eins sagen: Das Land ist seit vielen Jahren im Grunde doch sehr, sehr isoliert. Die Öffnungsbemühungen, die der Sohn des früheren Präsidenten, also der gegenwärtige Präsident Assad, versucht hat, sind teilweise stecken geblieben, gerade durch die Kräfte, die Kreise, die diesen alten Garden um Hafis al-Assad, dem alten Präsidenten, angehört haben. Und vielleicht kann diese ganze Angelegenheit dazu führen, dass der jetzige Präsident einen Rundumschlag gegen diese alten Kader führt und damit vielleicht größere Bewegungsfreiheit erhält.

    Birke: Das heißt, einen Säuberungsschlag der jetzigen Regierung, des jetzigen Präsidenten?

    Heine: Ja, genau.

    Birke: Was könnten denn solche Sanktionen sein? Lassen Sie uns mal spekulieren. Wie könnte man denn Syrien treffen, so dass auch mögliche Demokratisierungs- oder Öffnungstendenzen nicht konterkariert würden?

    Heine: Ja, das ist natürlich immer das Problem. Wir haben ja diese Erfahrung schon über mehr als ein Jahrzehnt mit dem Irak und dem Embargo gegen den Irak gemacht, das im Grunde nichts gebracht hat an Veränderungen. In Libyen haben wir ähnliche, nicht besonders erfreuliche Ergebnisse in diesem Zusammenhang. Das einzige, womit offenbar syrische Kreise rechnen, sind tatsächlich Militärschläge gegen syrisches Militär oder wichtige zentrale Einrichtungen, gegen die sich dann das Land auch nicht wehren kann.

    Birke: Halten Sie das für wahrscheinlich? Zumal die USA ja auch immer Syrien als Schleuse für El-Kaida-Kämpfer in den Irak ansehen?

    Heine: Ja, ich rechne durchaus damit, dass zumindest versucht wird, vom Irak aus jetzt über die Grenze nach Syrien zu gehen, um die da möglicherweise vorhandenen Infrastrukturen der irakischen Aufständischen zu treffen.

    Birke: Das würde ja eine Eskalation auch des Irak-Konfliktes bedeuten?

    Heine: Ja, natürlich.

    Birke: Lassen Sie uns noch auf den Libanon blicken, Herr Professor Heine. Der Hariri-Mord hat ja im Libanon die anti-syrischen Kräfte gestärkt und ja den Abzug der syrischen Truppen aus dem Land beschleunigt. Wie lange kann sich denn, Ihrer Meinung nach, der libanesische Präsident Lahoud, der ja auch Mitwisser laut Mehlis-Bericht sein soll, halten?

    Heine: Ja, das ist wahrscheinlich das ganz zentrale Problem in diesem Zusammenhang. Wenn sich das einigermaßen nachweisen lässt oder die Indizien dahin deuten, dass Lahoud davon wusste oder beteiligt war, dann erhalten wir im Libanon natürlich eine außerordentlich heikle Situation, die möglicherweise sogar bis zu erneuten bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen könnten.

    Birke: Das heißt, das zarte Pflänzlein Nahost-Friedensprozess, das ja ohnehin kaum richtig erblühen will, könnte noch mal gefährdet sein?

    Heine: Ja, durchaus. Und insgesamt - einen Satz hat der syrische Informationsminister kürzlich gesagt, also heute morgen, nämlich dass dieser Bericht die Region wieder destabilisieren wird.