Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Über Essen aufklären statt Essen aufpeppen

Der Kongress der Europäischen Gesellschaft für Ernährung hat Unterernährung als Schwerpunktthema. Bis zu einem Viertel der Patienten in Krankenhäusern sollen unterernährt sein. Vor allem Alte, chronisch Kranke und Krebspatienten. Allerdings wird dies in vielen Fällen gar nicht bemerkt, denn Unterernährung gibt es im Bewusstsein vieler Ärzte gar nicht.

Von Hartmut Schade | 03.09.2013
    Eine Waage und ein wenig Zeit - mehr bedarf es nicht, um der Unterernährung auf die Spur zu kommen, sagt Professor Johann Ockenga vom Klinikum Bremen-Mitte.
    "Und das dauert genau genommen 30 Sekunden. Sie müssen wenige Fragen stellen, nämlich aktuelles Gewicht, Gewichtsverlust und wie viel isst der Patient im Moment?"


    Untersuchungen auf Mangelernährung sind in vielen europäischen Ländern Standard bei Klinikeinweisungen. In Deutschland sind es lediglich sechs Prozent der Krankenhäuser, die auf Gewicht und Ernährungszustand achten. Dabei ist Unterernährung weit verbreitet, sagt Professor Stephan C. Bischoff, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.

    "Man muss nur ein bisschen genauer hinschauen, wenn man dies tut, dann stellt man fest, dass in Deutschland eine Bevölkerung von etwa 15-20 Prozent mangelernährt ist. Wir sind also fast in derselben Größenordnung wie krankhaftes Übergewicht, Adipositas. Nur man sieht´s nicht so sehr, es geht um die Personengruppen der alten Menschen und der kranken Menschen."

    Mangelernährt kann ebenso zu wenig Mikronährstoffe und Vitamine durch einseitiges Essen bedeuten, wie zu wenig Protein, Fett oder Kohlenhydrate. Es sind vor allem Menschen mit psychischen Krankheiten wie Depressionen, mit neurologischen Erkrankungen, Krebspatienten und Menschen mit Magen-Darm-Problemen, die mangelhaft ernährt sind, sagt Professor Bischoff.

    "Wenn da nur isoliert Fett wegginge, dann könnte man sagen, ist vielleicht ganz okay. Aller leider geht alles verloren, es geht auch Fett verloren, aber es geht vor allem Muskelmasse verloren, und das verändert die Lebensqualität und die Prognose der Patienten. Also wir haben sehr klare Daten: Jemand, der mangelernährt ist, lebt einfach kürzer und er lebt auch in schlechterer Qualität."

    Eine Krebserkrankung führt oft zu Appetitlosigkeit und die Tumoren verändern den Stoffwechsel so, dass Fette, Proteine, Kohlenhydrate schlechter verarbeitet werden und es dadurch Muskeln abgebaut werden.

    "Wenn man zu spät anfängt, darüber nachzudenken, dann ist es eventuell auch zu spät. Wir wissen nämlich, dass unter Tumorerkrankung ein eingetretener Gewichtsverlust praktisch nicht mehr korrigierbar ist. Sie können im besten Fall, wenn sie gute Ernährungsmedizin betreiben, verhindern, dass es zu solchen Verlusten kommt."

    Gute Ernährungsmedizin bedeutet nicht zuallererst, Essen mit Proteinen oder Vitaminen aufzupeppen, sondern Aufklärung und Beratung. Das macht die Ernährungsmedizin dann doch wieder teuer, sagt Professor Ockenga.

    "Sie müssen mit dem sprechen, natürlich auch den Patienten mit erziehen, sie möchten ja nicht nur für den Krankenhausaufenthalt, auch für die Zeit danach den Patienten schulen. Das bedeutet dann schon relevanten Personaleinsatz, sodass das eben schon mehr als die 3, 50 Euro, die sie für zusätzliche Supplemente benötigen, umfasst."

    Doch erst einmal muss es auch Ärzten und Pflegern bewusst sein, dass es Unterernährung auch hierzulande gibt. Und da stoßen die Ernährungsmediziner allzu oft auf taube Ohren, klagten sie auf ihrem Kongress. Das Thema Ernährung und Gesundheit wird mit Übergewicht assoziiert. Dass es auch die zu Dünnen gibt, ahnt kaum jemand.