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Über Fernsehen und Ferngesehenwerden

Amazon weiß, was wir lesen und was uns vielleicht auch gefallen könnte, Facebook kennt alle übrigen Vorlieben und Mircrosoft schaut jetzt ganz genau hin: Die neue Konsole Xbox One kann nämlich mit Mikrofonen und Kameras identifizieren, wer da alles was macht im Wohnzimmer.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 24.05.2013
    Unsere Welt wird immer übersichtlicher. Überwachungskameras filmen uns beim Herumtragen von Kofferbomben, die Google-Street-View-Autos knipsen unseren Hauseingang, vom Himmel blicken Spionagesatelliten herab auf unser Treiben, und 1000 Handylinsen sind jeden Tag auf uns gerichtet, ohne dass wir es bemerken. Ob wir den Laptop aufklappen oder den Klingelknopf einer Gegensprechanlage drücken: schon schaltet sich irgendein Videogerät ein und überträgt ein Bild von uns. Aber wohin?

    Das lässt sich gar nicht feststellen, denn elektronische Signale sausen mit Lichtgeschwindigkeit durch Kupferdrähte und Glasfasern, sie fliegen sogar wireless durch die Luft. Wir haben es mit Blick-Beziehungen zu tun, wie sie es noch nie zuvor in der Geschichte gab. Deshalb wird die Welt auch immer unübersichtlicher.

    Dabei verschiebt die Medientechnologie die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Intimsphäre fast täglich. Nicht nur auf Urlaubsreisen hat man sich angewöhnt, die vor ihren Hütten und Cafés sitzenden Eingeborenen ungefragt abzulichten, auch zu Hause wird jedem fremden Gegenüber frech die Webcam ins Gesicht gehalten. Am Flughafen dringen bildgebende Apparaturen unter die Leibwäsche, und die angekündigte Datenbrille von Google verknüpft den elektronischen Blick mit dem elektronischen Archiv, sodaß Schaulust und Spionage ein integriertes Gesamtkonzept unseres Verhältnisses zur Welt bilden.

    Da ist es fast folgerichtig, daß sich das Fernsehen zu einem Ferngesehenwerden entwickelt. Die neue Spielkonsole Xbox von Microsoft besitzt tatsächlich eine auf die vor dem Bildschirm sitzenden Zuschauer gerichtete Kamera, die – das müssen wir schon deshalb glauben, weil es die Firma feierlich verspricht – keineswegs Wohnzimmeransichten irgendwohin überträgt, sondern einzig und alleine dazu dient, die Stimmungslagen der Anwesenden anhand des Mienenspiels auszukundschaften. Die entsprechende Software erkennt zum Beispiel: fröhliche oder traurige Gesichter, vor Schreck aufgerissene Münder, aber auch Gähnen und geschlossene Augen. Sie kann auch bis zu sechs Individuen unterscheiden, bemerkt, wann jemand den Raum verlässt und wann er wiederkommt und wann er mit Gegenständen um sich wirft.

    Damit eröffnen sich der Marktforschung ganz neue Möglichkeiten, die über die bisherige Aufzeichnung des Einschaltverhaltens ausgewählter Probanden weit hinausgehen. In der Tat läßt sich auf diese Weise das jeweils laufende Fernseh- oder Videoangebot viel subtiler qualifizieren. Das System liefert nämlich Antworten auf die wichtigste aller Programmmacher-Fragen – die Frage: ‚Wem gefällt was?‘ Schon jubilieren die Xbox-Verantwortlichen über ein künftiges Feed-Back-Fernsehen, dessen Inhalte – etwa bei den täglichen Soap-Operas – dem Publikumsgeschmack zeitnah angepasst werden können.

    Das wird aber nur bei einem Teil des Publikums funktionieren. Ein anderer Teil, der wieder schmählich übergangen wird, sind die Burka-Trägerinnen.