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Übereinstimmungen und Differenzen

Vor dem Sondierungsgespräch zwischen Union und Grünen erklärte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), er sehe sowohl Übereinstimmungen als auch deutliche Differenzen mit den Grünen. Ablehnende Signale führender Grüner im Hinblick auf eine Zusammenarbeit bezeichnete der Politiker als Wahlkampfjargon, der nicht hilfreich sei.

Moderation: Burkhard Birke |
    Burkhard Birke: Guten Morgen, Herr Müller.

    Peter Müller: Guten Morgen.

    Birke: Wir rätseln ja alle, wie der Wählerauftrag nach der Wahl zu verstehen ist. Jetzt hat eine emnid-Umfrage ergeben, 33 Prozent der Deutschen würden eine Jamaika-Koalition bevorzugen. Sollte Ihre Partei diesem Wunsch entsprechen?

    Müller: Die Frage, ob eine Koalition zustande kommt oder nicht, ist ja in erster Linie eine Frage inhaltlicher Übereinstimmungen. Das muss ausgelotet werden in den nächsten Tagen. Gibt es ein hinreichendes Maß an inhaltlichen Übereinstimmungen, um auf eine begrenzte Zeit ein gemeinsames Politikprojekt zu wagen? Das gilt für alle Beteiligten, das gilt deshalb auch für eine Konstellation der CDU mit der CSU, mit der FDP und mit den Grünen, das gilt aber genauso gut etwa für die Frage der großen Koalition.

    Birke: Meinen Sie begrenzte Zeit, dass man nicht die volle Zeit der Legislaturperiode ausschöpft?

    Müller: Nein, nein, begrenzte Zeit ist die Länge einer Legislaturperiode. Ein solches Projekt macht nur Sinn, wenn es auf eine Legislaturperiode angelegt ist. Ob es dann in einer zweiten Legislaturperiode weitergeht, ist noch einmal eine neue Frage, aber die Mindestdauer muss schon die Dauer einer Legislaturperiode sein.

    Birke: Nun ist ja Ihre Partei, die Union, mit einem Reformprogramm angetreten. Sehen Sie denn große inhaltliche Schnittmengen mit den Grünen, um dieses Reformprogramm, was Sie dem Wähler versprochen haben, umzusetzen?

    Müller: Es gibt Übereinstimmungen, es gibt aber auch deutlich unterschiedliche Auffassungen, zum Teil sogar im gleichen Politikbereich. Wenn ich etwa den Bereich der Energiepolitik mir anschaue, dann gibt es Übereinstimmungen bei der Fragen schrittweiser Ausstieg aus der Steinkohlesubventionierung, umgekehrt ist in diesem Feld sicherlich eines der zentralen Konfliktthemen, nämlich die Frage: wie lange wollen wir die sicheren Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland am Netz lassen?

    Auf die Art und Weise kann man es praktisch durch alle Politikbereiche durchdeklinieren. Es gibt überall Schnittpunkte, es gibt überall aber auch Dissenspunkte.

    Birke: Wie weit wären Sie denn bereit in der Frage der Atompolitik zu gehen, werden Sie darauf bestehen, dass die Atomlaufzeiten verlängert würden?

    Müller: Also, wir sind im Moment in der Phase der Sondierung, wir sind noch nicht einmal in der Phase der Verhandlung. Verhandlungspartner tun sich keinen Gefallen, wenn sie durch öffentliche Erklärungen, durch öffentlich beschriebene Kompromisslinien oder durch öffentlich beschriebene Bedingungen in solche Gespräche gehen, deshalb bitte ich Sie um Verständnis, wenn ich das nicht mache.

    Birke: Wir sind ja erst noch in der Sondierungsphase, das haben Sie ganz richtig angemerkt, aber die Signale aus der grünen Partei sind ja bis jetzt relativ eindeutig, das heißt, man möchte nicht die neoliberale Radikalkanzlerin Merkel, wie es auch von grünen Spitzenpolitikern formuliert wurde, mit zur Kanzlerin wählen. Ist damit nicht eigentlich heute dieses Gespräch mehr Schein als Sein, dass man nur so tut, man müsse mit denen reden?

    Müller: Das sind ja Kampfbegriffe aus dem Wahlkampf, das ist ja auch etwas verständlich, dass der ein oder andere seinen Wahlkampjargon noch nicht ganz aufgegeben hat. Die Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland haben gesprochen und die Politik ist aufgefordert, damit jetzt verantwortlich umzugehen und verantwortlich umgehen kann nicht heißen, dass wir mit Wahlkampfrethorik weitermachen, sondern dass wir versuchen, auch auf der Grundlage dieses Wählervotums, so schwierig es auch sein mag, verantwortliche Mehrheiten zusammenzuführen und verantwortliche Politik in Deutschland zu gestalten.

    Die Probleme existieren nach wie vor und wir müssen mit diesen Problemen umgehen, wir müssen anpacken, um sie zu lösen, Rethorik hilft da nicht.

    Birke: Die FDP hat gestern personelle Weichenstellungen vorgenommen für den Fraktionsvorsitz, der ja wechseln soll von Wolfgang Gerhardt dann auf den Vorsitzenden Guido Westerwelle. Ist denn nicht mit dieser personellen Weichenstellung von der FDP schon die Oppositionsrolle akzeptiert worden und somit Jamaika tot?

    Müller: Das sehe ich nicht. Die FDP hat eine sehr konsequente Position in den letzten Tagen eingenommen, die FDP hat klar gesagt, wir haben gekämpft für ein schwarz-grünes Bündnis, das war unser Ziel, sie bekennt sich zu diesem Ziel, das ist aus Sicht der Union zu begrüßen, dass mit der Weichenstellung, die jetzt vorgenommen worden ist, quasi der Gang in die Opposition angetreten ist, das sehe ich nicht.

    Birke: Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern nach dem Sondierungsgespräch der CDU und der CSU gesagt, sein Verhalten am Sonntag sei suboptimal gewesen. Ist das eine erste Entschuldigung, ein erstes Rückzugsgefecht, um vielleicht doch eine große Koalition zu ermöglichen?

    Müller: Also dass der Auftritt suboptimal war, ist ja eine freundliche Beschreibung, aber immerhin ein Zeichen dafür, dass der Bundeskanzler beginnt, sich der Realität anzunähern. Wenn es eine eindeutige Aussage dieses Wahlergebnisses gibt, dann dasjenige das Rot-Grün abgewählt ist und mit dieser Wirklichkeit muss Gerhard Schröder sich offensichtlich langsam vertraut machen. Die große Koalition ist genauso wie eine wie auch immer geartete andere Koalition eine Option, über die man reden muss, auch das ist eine Frage der inhaltlichen Schnittmengen.

    In der Frage der großen Koalition kommen zwei Dinge hinzu: ich glaube, es gibt zwei Regeln, die in der Vergangenheit immer gegolten haben, die auch von der SPD eingefordert worden sind, an die man sich erinnern muss. Die Regel eins heißt: die größere Partei stellt den Kanzler und die größere Partei ist die Union, alles was von der SPD da jetzt erzählt wird über die Trennung von CDU und CSU ist Winkeladvokatentum, kann auch nicht ernst genommen werden und die zweite Regel heißt: in einer Koalition vereinbaren die Koalitionäre, wer welche Position bestimmt. Mit welchen Personen diese Positionen ausgefüllt werden ist Sache des jeweiligen Koalitionspartners.

    Birke: Herr Müller, spielen wir nach den Regeln? Also, die Unionsfraktion beansprucht das Amt des Bundeskanzlers, aber muss der Bundeskanzler Angela Merkel heißen?

    Müller: Vollkommen klar, dass es überhaupt gar keine andere Vorstellung in der Union geben kann und auch gibt. Wir sind stärkste Partei, wir sind die stärkste Kraft, wir stellen den Kanzler und der Kanzler heißt Angela Merkel.

    Birke: Wären Sie denn bereit unter Umständen, wenn es von der Seite der SPD so geführt würde, das Koalitionsgespräch, wenn es denn dazu wirklich kommen sollte nächste oder übernächste Woche, dass man sagt, wir lassen unseren Anspruch auf das Kanzleramt, wir lassen Gerhard Schröder fallen, wenn die Union auch Angela Merkel opfert?

    Müller: Nein, das ist völlig inakzeptabel, weil das ja bedeutet, dass diese Regel, die Mitglieder einer Koalition, die Partner einer Koalition treffen ihre Personalentscheidungen selbst, durchbrochen werden würde. Das gab es nie, eine solche Koalition kann auch nicht funktionieren, wenn die Partner sich wechselseitig in ihre Personalentscheidungen reinreden wollen.

    Birke: Ist das Rotationsmodell, das heißt, zwei Jahre Schröder, zwei Jahre Merkel oder umgekehrt für Sie völlig indiskutabel, das israelische Modell, wie es ja auch genannt wird?

    Müller: Ich halte von diesem Modell überhaupt nichts, ich halte es für indiskutabel, das mag ein Modell sein, dass in Ländern mit anderen Traditionen, auch mit anderen Umgängen mit Minderheitenregierungen möglicherweise denkbar ist, in die Tradition der Bundesrepublik Deutschland passt es nicht.

    Birke: Sie waren ja für das Amt des Arbeitsministers vorgesehen. Stehen Sie in einer wie auch immer gearteten Koalition dafür zur Verfügung weiterhin?

    Müller: Die Frage stellt sich im Moment nicht, im Moment müssen wir klären, in welcher Konstellation Regierungsverantwortung in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt wahrgenommen werden kann und erst wenn diese Frage geklärt ist, stellt sich die Frage, welche Person welches Amt übernimmt.

    Birke: Und Ihre persönliche Präferenz wäre aber eine große Koalition?

    Müller: Ich habe keine persönliche Präferenz. Ich sehe, dass wir in einer sehr schwierigen Situation uns befinden, ich sehe, dass es schwierig werden wird, eine Dreiparteienkoalition zusammenzubekommen, ich sehe, dass es schwierig werden wird, eine große Koalition zusammenzubekommen, wobei mein Eindruck ist, dass bei der großen Koalition möglicherweise die strategischen Fragen, die personellen Fragen größere Hindernisse begründen als die eine oder andere inhaltliche Frage.

    Jedenfalls sind das Hürden oder Steine, die aus dem Weg gerollt werden müssen bevor man über die inhaltlichen Fragen reden kann. Auch davon sind wir noch weit entfernt.

    Birke: Meine letzte Frage an Sie, Herr Müller, wäre: Neuwahlen scheiden aber als Option für Sie aus?

    Müller: Der Souverän hat gesprochen und die Politik muss jetzt mit diesem Votum des Souveräns umgehen und das Umgehen mit diesem Votum kann nicht heißen "wir sind mit dem Wahlausgang nicht zufrieden, also lassen wir die Menschen so lange wählen, bis uns der Wahlausgang passt". Neuwahl ist keine Option.

    Peter Müller war das, von der CDU, er ist der Ministerpräsident des Saarlandes, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch. Auf Wiederhören!

    Müller: Auf Wiederhören!