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Überforderte Generation
"Das schaffen sie nicht mehr"

Die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen zögert das Erwachsenwerden immer weiter hinaus. Viele leben immer noch zu Hause im "Hotel Mama". Auch der Einstieg in das Berufsleben wird vielfach hinausgezögert. Der Soziologe Professor Hans Bertram von der Humboldt-Universität Berlin hat diese Generation deshalb als die "überforderte Generation" bezeichnet.

Von Anja Arp | 23.10.2014
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    Es stellt sich die Frage, ob die überforderte Generation in der Lage ist, für sich selbst und ihr Alter vorzusorgen. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Es ist die Zeit der Tütenlampen und der Nierentische. Und es ist die Zeit von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. In den 50er Jahren steigt das Bruttosozialprodukt stetig an, während die Arbeitslosenzahlen sinken. Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit hat Hochkonjunktur. Genau in dieser Zeit schreibt der Soziologe Helmut Schelsky einen Bestseller, der bis in den Bundestag hinein Debatten auslöst. 1957 erscheint das Buch über die "Skeptische Generation":
    "Das Wort von der skeptischen Generation habe ich erst später über das Buch geschrieben. Ich hätte auch - was damals noch nicht so populär war - etwa den Begriff "ohne mich" Generation oder irgendwas nehmen können. Bloß das ist nicht so griffig."
    Skeptische Generation oder "Ohne-mich"-Generation
    Skepsis war also das Erkennungsmerkmal einer ganzen Generation. Die jungen Menschen wollten sich nicht noch einmal vor den Karren irgendeiner Ideologie spannen lassen. Helmut Schelsky in einem Rundfunk-Vortrag:
    "Diese Generation ist in ihrem Bewusstsein und Selbstbewusstsein, kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubens- oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher. Sie ist ohne Pathos, ohne Programme und ohne Parolen."
    Die skeptische Generation, die in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geboren wurde, ist also von einer sehr unsicheren Jugend und einer vergleichsweise sicheren Erwachsenen-Welt geprägt. Bei der überforderten Generation ist es genau umgekehrt: Prof. Hans Bertram, Leiter des Bereichs Mikrosoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin:
    "Die überforderte Generation, wenn man da auch mal so ein Geburtsjahr einfach jetzt so hinsetzt, irgendwo so zwischen 1970 und 1980, ist eigentlich eine Generation, die aufgewachsen ist und deren Kindheit eigentlich sehr glücklich war. Weil eigentlich die ökonomischen Umstände relativ gut waren. Das heißt, die konnten eigentlich sehr optimistisch in die Zukunft gucken. Und zum Zweiten muss man natürlich auch sagen, dass diese Generation unglaublich davon profitiert hat, dass die Bildungssysteme erweitert wurden, das heißt, man konnte plötzlich studieren. Häufig sind in dieser Generation diejenigen Kinder, die ersten Kinder, die überhaupt studiert haben. Das heißt, das Leben stand eigentlich für diese Generation ziemlich offen."
    Das Leben stand der Generation offen
    In seinem neuen Buch über die überforderte Generation konstatiert der Soziologe:
    "Wenn man jetzt aber die 30 bis 40-jährigen sich anschaut, stellt man plötzlich fest, dass die teilweise viel größere Schwierigkeiten haben, sich im Leben und in der Gesellschaft zu etablieren, als die skeptische Generation, die eigentlich eine ganz furchtbare Kindheit gehabt hat."
    Die skeptische Generation ist in das Wirtschaftswunder der 50er Jahre hineingewachsen und war damit eigentlich in allen Lebensbereichen eine überaus erfolgreiche Generation. Davon war auch die Politik der Zeit geprägt:
    "Die skeptische Generation war sicherlich vorzüglich, was die Außenpolitik beispielsweise anging. Denken sie einmal an Helmut Kohl oder Gorbatschow. Das sind alles Mitglieder dieser Generation, die um 1930 geboren wurden oder der amerikanische Außenminister James Baker damals. Das heißt, sie haben im Grunde genommen auf den Wandel der Welt relativ gut reagiert. Bis in das private Leben, dass, was sie in der Bundesrepublik als privates Leben zu organisieren war, haben sie im Grunde genommen ihre Lebensperspektive in allen Lebensbereichen durchgesetzt. Und daran hat die überforderte Generation heute zu knabbern."
    Unsichere Kindheit hilft beim Erwachsenwerden
    Offenbar ist es leichter, mit einer unsicheren Kindheit in eine sichere Erwachsenenwelt hinein zu wachsen als umgekehrt:
    "Ja, das gilt dann, wenn im Grunde genommen klare Vorstellungen da sind, wie die Erwachsenenwelt zu strukturieren ist. Wenn sie mal sich vorstellen, sie sind meinetwegen 1945 15 Jahre alt oder 16 Jahre alt. Dann machen sie unter ganz bescheuerten Umständen, anders kann man es wirklich nicht sagen, versuchen sie, ihre Lehre zu machen. Aber nach dem Koreakrieg gab es ja einen enormen Aufstieg in der Bundesrepublik. Und das galt übrigens auch für die DDR. Und das Zweite, was man nicht vergessen darf, es gab sozusagen eine klare Struktur der Industriegesellschaft. Das heißt, man wusste, wenn man in einen Job kam, dann konnte man den auch relativ lange ausüben."
    Die Lebenswelt von heute ist dagegen vor allem eines: Unsicher!
    "Während die heutige Generation im Grunde genommen, wenn sie auch gut qualifiziert ist, plötzlich mit dem Problem konfrontiert ist, dass sie sich ihren Lebensweg selbst neu aussuchen und strukturieren muss. Manche Soziologen sprechen von Bastelbiografie, um das deutlich zu machen. Aber das bedeutet plötzlich, man muss im Grunde genommen ein Leben konstruieren, das in dieser Weise - jedenfalls in den Vorgenerationen – nicht gelebt wurde."
    Die Halbstarken der 50er-Jahre
    Die berühmten-berüchtigten Halbstarken der 50er Jahre gehören zu den Vorgenerationen. Sie wollten vor allem aus dem klischierten Rollenverhalten der Nachkriegszeit ausbrechen. Ganz nach dem Motto der Generationenforschung: Jugend stört die Ordnung.
    Das gilt auch rund 10 Jahre später für die 68er und ihrem fundamentalen politischen Protest. Sie fragen ihre Eltern: Was habt ihr im Dritten Reich gemacht? Sie stellen die Schuldfrage und machen radikal Schluss mit Traditionen. Damit verhalten sie sich weitaus Jugendkonformer als ihre skeptischen Vorgänger:
    "Wenn wir einmal zurückblicken, sind Jugendgenerationen eigentlich immer romantisch, emotionell gewesen. Dass die Jugendgeneration unmittelbar nach dem Krieg nüchtern war, sachlich, abwehrend - ohne uns - das ist eine große Ausnahme in der Geschichte. Und ohne den Krieg und seine Folgen ohne Nationalsozialismus gar nicht zu denken."
    Auf die skeptischen Nachkriegsgeneration und die hoch politisierte Studentenbewegung folgen zahlreiche Jugendgenerationen, denen häufig ein Stempel aufgedrückt wird, wie etwa die Baby-Boomer. Es folgt die Generation Golf, die in den 80er Jahren in Westdeutschland aufwächst. Der Feuilletonist Florian Illies hat über sie ein Buch geschrieben:
    "Die 80er Jahre waren das langweiligste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Nicole sang von ein bisschen Frieden, Helmut Kohl nahm, mal ein bisschen ab und mal ein bisschen zu, Kaffee hieß plötzlich Cappuccino und Raider Twix, aber sonst änderte sich nichts. Noch ahnte man nicht, dass man einer Generation angehörte, für die sich leider das ganze Leben, selbst an Montagen, anfühlte wie die träge Bewegungslosigkeit eines Sonntagnachmittags. Ja noch ahnte man nicht einmal, dass man einer Generation angehörte."
    Angepasste Generation
    Über Langeweile und Bewegungslosigkeit kann die überforderte Generation, der heute 30 bis 40jährigen nicht klagen. Für diese vergleichsweise angepasste Generation, ist es vielmehr schwierig ihren eigenen Lebensweg in der vermeintliche Fülle der Möglichkeiten zu finden:
    "Und jetzt muss man einfach sagen, man kann sich nicht einmal an den eigenen Eltern orientieren. Weil man weiß, die eigene Lebenserwartung ist 90 Jahre. Und man ist noch relativ lange relativ gesund. Das heißt beispielsweise, die Entscheidung zur Mutterrolle bedeutet eben nicht, dass man sein Leben lang Mutter sein kann, in Anführungsstrichen. Sondern es ist plötzlich eine Phase im Leben. Während noch in der Muttergeneration und der Großmuttergeneration die Entscheidung für Kinder eigentlich bedeutete, dass man sein Leben auch um diese Rolle hin organisierte. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass plötzlich die jetzige Generation etwas neu erfinden muss, was die Vorgeneration ihnen nicht als Vorstellung überhaupt entwickelt hat."
    Hans Bertram nimmt für sich nicht in Anspruch den Begriff der überforderten Generation erfunden zu haben - geprägt hat er ihn auf jeden Fall. Für ihn muss diese Generation vor allem zwei Probleme lösen:
    "Das Eine ist, dass man von ihnen erwartet, dass sie relativ hohe Qualifikationen in die Berufswelt einbringen. Und gleichzeitig erwartet man von ihnen aber auch, dass sie für die ältere Generation eine stabile Basis darstellen, damit die ältere Generation in relativem Wohlstand alt werden kann. Und diese beiden Voraussetzungen werden die nachwachsenden Generationen auch bringen. Nur die Frage ist, ob sie dann noch in der Lage sein werden, für sich selbst und ihr Alter vorzusorgen. Das stelle ich doch ernsthaft infrage. Als Frage, weil ich glaube, das schaffen sie nicht mehr."
    Viele unsichere Vorzeichen
    Offenbar muss diese Generation damit leben, dass sie mit vielen unsicheren Vorzeichen starten muss und dass sie nie das erreichen kann, was die skeptische Generation erreicht hat.
    "Man kann das ja empirisch sehr schön zeigen, dass selbst wenn sie eine hohe Qualifikation haben. Bis sie sich mal in einen Beruf hinein gefunden haben. Beispielsweise nehmen sie alleine ihr Berufsfeld als Journalist, dann müssen sie einfach davon ausgehen, dass sie ziemlich viel Projektarbeit machen müssen. Ziemlich viele Teilzeitstellen absolviert haben, an verschiedenen Stellen gearbeitet haben, bis sie mal endlich irgendwo einen Fuß in die Tür bekommen haben. Und das können sie auch nur, indem sie möglichst viel geleistet haben. Sodass sie eine sichere Lebensperspektive eigentlich erst mit Mitte 30 entwickeln können. Das war bei der älteren Generation ganz anders. Bei der skeptischen Generation mit 23 haben die meisten geheiratet. Weil sie dann wussten, sie sind dann als Facharbeiter oder Ähnliches beschäftigt, haben ein bestimmtes Einkommen und können daraus ihr Leben gestalten. Das kann die heutige Generation nicht mehr."