Dienstag, 19. März 2024

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Übergriffe in Köln
"Das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz"

Die SPD-Politikerin Eva Högl fordert, dass es bei der Aufklärung der Übergriffe in Köln in der Silvesternacht keine Tabus geben darf. Sobald die Täter ermittelt seien, müsse mit der "ganzen Härte des Rechtsstaats" gegen sie vorgegangen werden, sagte sie im DLF - unabhängig davon, woher sie kämen. Handlungsbedarf für den Gesetzgeber sieht Högl nicht.

Eva Högl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.01.2016
    Die SPD-Politikerin Eva Högl.
    Die SPD-Politikerin Eva Högl. (dpa/picture-alliance/ Bernd von Jutrczenka)
    Dirk-Oliver Heckmann: Was folgt aus den Übergriffen an Silvester in Köln? Die Diskussion hat längst die bundespolitische Debatte erreicht, Innenminister Thomas de Maizière und sein NRW-Kollege Jäger lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch über die Frage, welche Polizeibehörde da möglicherweise versagt hat. Außerdem wird intensiv darüber diskutiert, was die Ereignisse von Köln mit dem religiös-kulturellen Hintergrund der möglichen Täter zu tun haben. Dazu der ehemalige Bezirksbürgermeister von Neukölln Heinz Buschkowsky heute früh im Deutschlandfunk:
    "Wir wissen, dass wir Bevölkerungskreise - das sind nicht nur Flüchtlinge, sondern auch, wie es so schön heißt, Menschen mit Migrationshintergrund - im Land haben, die ein völlig anderes Frauenbild haben, als es bei uns üblich ist. Frauen, die um ein Uhr oder um ein Uhr dreißig auf der Straße sind, sind da sowieso Schlampen. Dieses andere Geschlechterbild, ich sage mal, aus vordemokratischen Kulturen..."
    Heckmann: So weit Heinz Buschkowsky. Was ist von den Diskussionen um den religiös-kulturellen Hintergrund zu halten? Ist das ein Tabuthema, das endlich offen angesprochen werden muss? Oder bedient das nur alte Vorurteile? Wir sprechen darüber, auch über die Forderungen der Union, kriminelle Ausländer schneller abzuschieben, mit Eva Högl von der SPD.
    Welche Konsequenzen werden gezogen aus den Vorfällen von Köln in der Silvesternacht? Müssen wir uns darauf einstellen, dass Frauen in Zukunft öfter Gefahr laufen, sexuell angegriffen und ausgeraubt zu werden, ohne dass die Polizei einschreitet? Oder ziehen die Sicherheitsbehörden die nötigen Konsequenzen? Noch ist unklar, was eigentlich genau passiert ist und in welcher Dimension. Feststeht: Die Zahl der Anzeigen ist weit über 100 gestiegen und der Kölner Polizeichef steht erheblich unter Druck.
    Und am Telefon begrüße ich jetzt Eva Högl, sie ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, schönen guten Tag, Frau Högl!
    Eva Högl: Schönen guten Tag, Herr Heckmann!
    "Menschen, die hier leben, müssen sich an unsere Regeln halten"
    Heckmann: Frau Högl, in ganz Deutschland wird jetzt debattiert: Sind die Ereignisse von Köln mit dem religiös-kulturellen Hintergrund der möglichen Täter zu erklären? Was halten Sie von dieser Debatte? Rührt die an ein Tabu, über das endlich gesprochen werden muss, oder bedient das alte Vorurteile und Ressentiments?
    Högl: Ich finde, nach den Vorfällen von Köln darf es erst mal überhaupt keine Tabus geben, sondern es muss erst mal ganz genau ermittelt werden, wer waren die Täter, wo kamen die her. Das ist ja jetzt, das läuft jetzt gerade, da sitzen ja jetzt auch viele Beamte dran, das ist ganz wichtig. Und wenn es sich herausstellt, dass es auch Menschen waren, die zu uns gekommen sind, entweder als Asylsuchende oder die hier schon eine ganze Zeit aus anderen Gründen leben, dann muss auch das thematisiert werden. In Deutschland gilt das Grundgesetz, sexuelle Belästigung und Vergewaltigung sind unter Strafe gestellt. Und ich finde es ganz wichtig, dass wir ganz deutlich machen, unabhängig davon, wo ein Täter herkommt: Hier in Deutschland werden solche Taten bestraft.
    Heckmann: Es gibt ja zahlreiche Zeugen, die von den Tätern sprechen aus dem nordafrikanischen beziehungsweise arabischen Raum, und die Polizei ermittelt ja auch gegen Tatverdächtige offensichtlich mit diesem Hintergrund. Sonja Zekri hat heute in der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben, diese Umzingelung von Frauen, die ja zu beobachten gewesen in Köln auch, sei im arabischen Raum kein unbekanntes Phänomen. Also noch mal die Frage: Ist das ein Thema gewesen, das tabuisiert gewesen ist in der Vergangenheit?
    Högl: Möglicherweise ist das in der Vergangenheit tabuisiert worden, aber wir müssen ganz offen darüber sprechen, dass so was hier in Deutschland nicht stattfinden darf. Also, das gibt es in Deutschland nicht, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, hier gibt es keine sexualisierte Gewalt, das gehört hier nicht nur nicht zu unserer Kultur, sondern hat in unserem Rechtsstaat, in unserer Demokratie keinen Platz. Und da müssen wir klare Botschaften senden und da kann man das auch nicht erklären mit Kulturkreisen oder Religion oder so was. Hier in Deutschland, in Europa hat das keinen Platz und die Menschen, die hier leben, müssen sich an unsere Regeln halten. Und das gilt für alle, die hier herkommen.
    "Es muss erst mal gründlich aufgeklärt werden"
    Heckmann: Aber die Vorfälle in Köln haben ja gezeigt, dass es ja sehr wohl geht, hier auch in Deutschland.
    Högl: Also, es ist so, dass wir jetzt natürlich mal analysieren müssen, was da schiefgelaufen ist. Es ist offensichtlich so, dass die Polizei nicht in dem Maße einschreiten konnte, wie das nötig gewesen wäre, um Straftaten zu verhindern. Das zeigen ja jetzt die ersten Ergebnisse der Ermittlungen auch so. Da müssen wir natürlich darüber sprechen, dass wir die Polizei besser ausstatten, fit machen dafür, dass solche Ereignisse, die auch möglicherweise spontan geschehen, über soziale Medien, die Menschen sich verabreden, um so was zu machen, dass das hier bei uns keinen Platz hat. Und dann sage ich auch: die ganze Härte des Rechtsstaats.
    Heckmann: Aber man sollte doch davon ausgehen, dass Polizeibeamte in der Lage sind einzuschreiten, wenn sie mitbekommen, dass dort solche Entwicklungen im Gange sind. Im ZDF-"heute journal" kam gestern Abend ein Zeuge zu Wort, der sich zu dem Verhalten der Polizei geäußert hat. Wir hören mal rein:
    "Ein Mädchen stand total unter Schock, völlig am Zittern. Und die Polizei hat einfach nichts gemacht. Dann haben wir halt noch mal gesagt, dass man rausgehen sollte, weil die komplette Gruppe, die da außen vor dem Bahnhof ist, klaut, Mädchen begrapscht, sexuell belästigt, massiv angeht. Da wurde dann gesagt, das wäre bekannt, aber man könnte da nichts machen."
    Heckmann: Also, die Polizei selbst hat gesagt am Abend, man weiß Bescheid da, man kann nichts machen. Liegt da nicht ganz ordentlich was im Argen offenbar?
    Högl: Das ist erschütternd, was der Zeuge da berichtet, das ist überhaupt keine Frage. Und wenn es da Fehlverhalten der Polizei gegeben hat, was nach dieser Aussage der Fall ist, dann muss das ganz gründlich untersucht werden und dann muss über das Verhalten der Polizei gesprochen werden. Dann muss auch darüber gesprochen werden, ob die Polizei sich anders aufstellen muss, anders vorbereiten muss. Also, da sind sicherlich viele Fragen in Richtung Köln zu stellen, aber ich bin auch der Auffassung, dass das vor Ort gründlich aufgearbeitet werden muss. Und meine Aufgabe hier im Deutschen Bundestag als Gesetzgeberin ist, jetzt zu überlegen, ob wir hier einen Handlungsbedarf haben. Und den sehe ich erst mal nicht, sondern es muss erst mal gründlich aufgeklärt werden.
    "Herr de Maizière hat auch eine Verantwortung"
    Heckmann: Kommen wir gleich noch zu, zu den politischen Konsequenzen. Dennoch die Frage an Sie: Hat denn Innenminister Jäger in Nordrhein-Westfalen seine Polizei ordentlich im Griff? Denn das ist ja nicht der erste Vorfall dieser Art.
    Högl: Ich gehe erst mal davon aus, dass der Innenminister Jäger die Polizei gut im Griff hat. Natürlich sind solche Einzelfälle immer auch Anlass zu fragen, ob noch irgendwas zu verbessern ist, das wird ja auch jedes Mal gemacht, das hatten wir auch schon nach der Hogesa-Demonstration in Köln. Dann wird etwas verändert und der Silvestervorfall in Köln wird sicherlich auch zum Anlass genommen, noch was zu verbessern oder darüber nachzudenken. Aber ich bin der Auffassung - und soweit ich das beurteilen kann, kann ich das auch so deutlich sagen -, dass Innenminister Jäger in Nordrhein-Westfalen die Polizei gut aufgestellt hat und die Polizei in Nordrhein-Westfalen auch handlungsfähig ist.
    Heckmann: Es scheint in Köln trotzdem das eine oder andere Problem zu geben. Sie sprechen von Einzelfällen, Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, hat die Polizei in Köln ja massiv kritisiert: So kann Polizei nicht arbeiten, hat er gesagt. Was sagen Sie zu der Kritik des Ministers?
    Högl: Also, zunächst einmal müssen wir uns hier von der Bundesebene auch mit den Dingen befassen, für die wir zuständig sind. Und der Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist für die Bundespolizei zuständig. Und es wird sicherlich auch Fragen rund um die Bundespolizei geben, ob ausreichend Bundespolizei im Kölner Hauptbahnhof war, wie die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei in Köln tatsächlich war. Also, die Verantwortung einfach so in eine Richtung abzuschieben, ist, glaube ich, unangemessen als Reaktion, sondern wir müssen gemeinsam Schwachstellen analysieren und dann gemeinsam auch abbauen. Und da hat Herr de Maizière, bezogen auf die Bundespolizei, auch eine Verantwortung.
    "Unser Recht ist ausreichend ausgestattet"
    Heckmann: Kommen wir mal zu den politischen Diskussionen, jetzt die Frage, ob kriminelle Ausländer schneller abgeschoben werden sollen: Der Innenminister Thomas de Maizière hat gestern darauf hingewiesen, dass erst eine Strafe ab drei Jahren Auswirkungen auf ein Asylverfahren habe etwa, und wir müssten darüber nachdenken, ob das nicht geändert werden muss.
    Högl: Wir denken natürlich darüber nach, ob wir ausreichend Handlungsmöglichkeiten haben, wenn Personen, die hier Schutz suchen, kriminell werden und Straftaten begehen. Und da ist unser Recht schon ausreichend ausgestattet, Menschen können abgeschoben werden, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sind. Und auch diejenigen, die hier im Asylverfahren sind, können abgeschoben werden.
    Heckmann: Unter bestimmten Voraussetzungen.
    Högl: Unter bestimmten Voraussetzungen. Und ich will das auch noch mal betonen: Wir leben hier in einem Rechtsstaat, Straftäter werden ermittelt, sie werden dann angeklagt und dann zu einer Strafe verurteilt. Und wenn die Strafe entsprechend ist, dann können sie auch abgeschoben werden, und wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Gefahr und Ordnung sind. Ich halte diese Regeln grundsätzlich mal für richtig, für ausreichend. An einem Punkt haben wir möglicherweise Nachbesserungsbedarf, ob vielleicht die Voraussetzung, drei Jahre, Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, dann erst wirkt es sich im Asylverfahren aus, ob wir da eventuell doch die Schwelle etwas niedriger ansetzen müssen, wie wir das sonst haben, nämlich Verurteilung zur Freiheitsstrafe von einem Jahr. Das werden wir diskutieren, das ist...
    Heckmann: Das heißt, Sie widersprechen da dem Justizminister Heiko Maas von der SPD, der sagt, da ist eigentlich kein Handlungsbedarf?
    Högl: Nein, Herr Maas hat auch gesagt, dass die Rechtsgrundlagen richtig sind, aber dass wir an dieser Stelle noch mal schauen müssen, ob das ausreichend ist. Ich sehe im Aufenthaltsgesetz ausreichend Grundlagen, kriminelle Ausländer abzuschieben, aber wichtig ist eben vorher eine Verurteilung zu einer Strafe. Und das, was jetzt unter dieser Floskel - "die Menschen haben ihr Gastrecht verwirkt" - formuliert wird, das ist jedenfalls keine angemessene Reaktion auf den Sachverhalt Köln, sondern die Straftäter müssen jetzt ermittelt werden und dann kommt der Rechtsstaat.
    Heckmann: Frau Högl, Sie kommen ja jetzt in Mainz heute mit Ihren Fraktionskollegen zusammen, da ist...
    Högl: Wir sind in Berlin.
    "Bei Pegida und AfD sind handfeste Rechtsextreme am Werk"
    Heckmann: Ah, in Berlin, okay. Da ist die innere Sicherheit auch ein wichtiges Thema und es wurde bereits gemeldet, dass die SPD Teile der Pegida-Bewegung und der AfD, der Alternative für Deutschland vom Verfassungsschutz beobachten lassen möchte. Ist das der Fall? Und wenn ja: Wirft das nicht die Frage auf, ob Sie sich da unliebsame Konkurrenz auf eine etwas einfache Art und Weise vom Leib halten wollen?
    Högl: Es geht nicht um die politische Konkurrenz, sondern der Verfassungsschutz wird ja immer dann tätig, wenn Personen und Gruppen und Vereinigungen und auch Parteien unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie beseitigen wollen. Also, wenn sie sich verfassungsfeindlich äußern und verfassungsfeindlich agieren. Und wenn wir uns Pegida und AfD anschauen, dann wissen wir, dass da handfeste Rechtsextreme, auch gewaltbereite Rechtsextreme am Werk sind und diese Bewegung auch unterstützen. Und deswegen ist es doch nur gut und richtig und wie gesagt eine zentrale Forderung der SPD, dass wir sagen, da muss der Verfassungsschutz mal hinschauen und gucken, dass er diese Bewegung auch im Blick behält, ob sich dort Verfassungsfeinde zusammenrotten. Und da geht es eben nicht um das demokratische Miteinander, sondern um unsere Demokratie insgesamt.
    Heckmann: Und Sie glauben, dass es noch so kommt?
    Högl: Also, ich hoffe das jedenfalls! Einige Landesämter für Verfassungsschutz haben Pegida ja schon in den Blick genommen und die AfD, und dafür haben wir den Verfassungsschutz. Wir haben ihn ja auch gestärkt, wir haben die Rechtsgrundlagen auch noch mal verbessert, damit wir einen handlungsfähigen Verfassungsschutz haben, und ich bin eine wirkliche Freundin davon und ich halte das für dringend erforderlich, dass der Verfassungsschutz gut hinguckt überall da, wo wir einen Handlungsbedarf sehen. Das gilt sowohl für gewaltbereite Islamisten und Salafisten als auch für den rechten und rechtsextremen Rand.
    Heckmann: Und das gilt auch für die AfD?
    Högl: Das gilt auch für die AfD.
    Heckmann: Eva Högl war das, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Frau Högl, danke Ihnen für das Gespräch und schönen Tag! Tschüs!
    Högl: Ich bedanke mich auch, schönen Tag noch! Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.