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Überschüssiger Wind- und Solarstrom
Wenn Steine zum Energiespeicher werden

Bei einer Nachtspeicherheizung werden Steine zumeist nachts mit preiswertem "Niedertarif"-Strom erhitzt. Die gespeicherte Wärme geben sie dann tagsüber wieder ab. Ob dieses Prinzip auch im großen Maßstab bei der Energienutzung funktioniert, erproben aktuell Ingenieure in einer Pilotanlage bei Hamburg.

Von Frank Grotelüschen | 03.09.2018
    Der Windpark «Odervorland», aufgenommen im Landkreis Oder-Spree nahe Jacobsdorf (Brandenburg, Luftaufnahme mit einer Drohne)
    Bei optimalen Wetterbedingungen liefern Windparks und Solaranlagen mehr Strom als benötigt wird (Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB)
    Altenwerder, ein Stadtteil im Hamburger Hafen. Mit dem Schutzhelm auf dem Kopf geht Ingenieurin Jennifer Wagner über eine Baustelle. Die beiden Gebäude – jedes groß wie ein Mehrfamilienhaus – sind fast fertig. Was noch fehlt, sind die Kernkomponenten:
    "Die Steine sind noch nicht geliefert, aber im Endeffekt sehen die genauso aus wie der Haufen da vorne. Das sind ganz einfache Bruchsteine, die aus dem Steinbruch gesprengt werden."
    Auf 1000 Tonnen Vulkangestein warten Wagner und ihr Team vom Windradhersteller Siemens Gamesa. In den nächsten Wochen soll die Lieferung kommen. Dann werden die Steine in dem einen der beiden Gebäude landen. Es ist ein wärmeisolierter Betonbunker, der als riesiger Speicher fungieren soll – als Stromspeicher. Wagners Kollege Hasan Özdem erläutert das Konzept:
    "Der Speicher funktioniert sehr einfach. Im Grunde nehmen wir Strom, wandeln das in Wärme um, speichern die Wärme und machen später aus der Wärme wieder Strom."
    Überdimensionaler Fön heizt Steine auf
    Der Strom, der gespeichert werden soll, treibt einen wuchtigen Heizlüfter an, einen überdimensionalen Fön. Dieser pustet heiße Luft durch dicke Röhren ins Speichergebäude und erhitzt das von Natur aus hitzebeständige Vulkangestein, und zwar auf bis zu 600 Grad Celsius. Eine Prozedur, die die Fachleute bereits im kleinen Maßstab getestet haben.
    "2014 haben wir die Anlage gebaut, wo wir den Speicher an sich getestet haben. Es ging darum, den Speicher physikalisch im Griff zu haben und auch wirtschaftlich. Nachdem uns das gelungen ist und die Ergebnisse besser waren als erwartet, haben wir jetzt einen größeren gebaut, der auch wirklich ans Netz geht."
    Von der Wärme zurück zum Strom
    Dazu aber muss die in den Steinen steckende Hitze wieder in Strom zurückverwandelt werden. Das geschieht, indem man kalte Luft in den Steinhaufen leitet. Dadurch wird sie ordentlich heiß und strömt durch Rohre zu einem Dampferzeuger. Der treibt dann eine Dampfturbine an. Diese findet sich im zweiten Gebäude, dem Kraftwerk. Jennifer Wagner:
    "Dahinten auf der Bühne sieht man diese Betonstützen. Da steht die Dampfturbine drauf, mit 1,5 Megawatt maximal. Das Besondere an dem Dampfkessel ist, dass er darauf designt ist, häufige Wechsel mitzumachen – immer wieder anfahren, abfahren, anfahren, abfahren. Genau dafür haben wir diesen Kessel designt."
    Die Turbine im Kraftwerkshaus
    Stromspeicher-Pilotanlage Hamburg Altenwerder (Frank Grotelüschen)
    Wirkungsgrad ist nicht das entscheidende Kriterium
    35 Megawattstunden an elektrischer Energie soll die Anlage speichern können – genug, um die Turbine mehr als 24 Stunden laufen zu lassen. Der Wirkungsgrad allerdings hört sich eher bescheiden an: Gerade einmal 25 bis 30 Prozent des eingesetzten Stroms dürften am Ende wieder herauskommen. Doch das ist nicht so schlimm, finden die Fachleute. Denn der Steinspeicher soll vor allem mit Überschuss-Strom aus Windparks und Solaranlagen gefüttert werden – Strom also, den man ansonsten quasi wegschmeißen würde. Die Einschätzung von Jennifer Wagner:
    "Wir gehen davon aus, dass am Ende des Tages nicht Wirkungsgrad das entscheidende Kriterium sein wird, sondern Einsetzbarkeit."
    Das neue Konzept nämlich könnte vor allem bei den Kosten punkten. Denn Steine sind ausgesprochene Billigware.
    "Die findet man sehr oft überall auf der Welt. Der große Kostenfaktor dabei ist der Transport."
    Sagt Hasan Özdem – und macht eine Vergleichsrechnung auf:
    "Bei unserer Technologie sind wie nicht nur sehr viel größer als Batterien, sondern sind auch zehnmal billiger in der Anwendung."
    Neues Leben für stillgelegte Kraftwerke?
    Dafür sind Batterien flexibler, können Energie deutlich schneller aufnehmen und wieder abgeben. Spätestens im nächsten Sommer soll die Demonstrationsanlage im Hamburger Hafen loslegen. Die Fachleute hoffen, dass sie sich bewährt – und planen schon deutlich größere Steinspeicher. Die nämlich bräuchte man, um wirtschaftlich relevante Strommengen speichern zu können, sagt Jennifer Wagner.
    "Wir haben eine Abschätzung gemacht für eine Anlage von einer Gigawattstunde. Und das wäre die Größenordnung von einem viertel Fußballfeld."
    Denkbar wäre sogar, stillgelegte Kohle- oder Gaskraftwerke umzubauen. Dann würde statt eines Kohlekessels ein Steinspeicher den Turbinen Dampf machen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.