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Neuer Stromspeicher unter Wasser
Die Energiekugel im Bodensee

Eine große Kugel aus Beton soll das Speichern elektrischer Energie revolutionieren. Forscher haben die Energiekugel entwickelt, die ähnlich wie ein Pumpkraftwerk funktioniert. Sie wird auf dem Grund des Bodensees betrieben. Per Knopfdruck soll die Kugel elektrische Energie speichern - und wieder abgeben.

Von Thomas Wagner | 23.11.2016
    Ein Kran hievt am 08.11.2016 in Konstanz (Baden-Württemberg) einen Kugelpumpspeicher aus Beton ins Hafenbecken, um diesen zu Testzwecken für wenige Wochen im Bodensee zu versenken. Mit der Kugel, die einen Durchmesser von drei Metern hat, soll nach Institutsangaben getestet werden, ob sie unter Wasser als Energiespeicher dienen kann.
    Wissenschaftler des Fraunhofer Institutes für Windenergie und Energiesystemtechnik Kassel erproben, wie die Energiekugel auf dem Grund des Bodensees funktioniert. (picture alliance / dpa / Felix Kästle)
    Leichter Nieselregen: Kein optimales Wetter für einen Spaziergang an den Bodensee. Dennoch zieht sich Christian Dick seinen Mantel über:
    "Wir laufen jetzt Richtung See, wo die Leitungen hier aus dem Wasser kommen. Insgesamt kommen drei Leitungen von der Kugel nach oben und ein Stahlseil."
    "Die Kugel" – das ist das Objekt der Forscher-Begierde von Christian Dick vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik. Drei Meter im Durchmesser, 20 Tonnen schwer, besteht die Hohl-Kugel komplett aus Beton. Die Außenhülle ist immerhin 30 Zentimeter dick, damit sie dem Wasserdruck von ungefähr zehn bar an ihrem Standort in 100 Metern Tiefe standhalten kann.
    Sie steht auf einem Sockel aus Beton, so ähnlich wie ein Frühstücksei in einem Eierbecher. So verharrt sie selbst bei den derzeit heftigen Herbststürmen an ihrem ursprünglichen Standort am Grund des Bodensees vor Überlingen. Bei einem Volumen von etwa zehn Kubikmetern passen etwa 10.000 Liter Wasser in die Kugel aus Beton.
    "Wenn ich mir vorstelle: Ich habe unten, auf dem Seegrund, eine leere Betonkugel. Und oben auf der Kugel ist ein Loch, in dem eine Pumpturbineneinheit integriert ist. Und wenn ich das Ventil öffne an dieser Pumpturbineneinheit, dann strömt das Wasser automatisch wegen des hohen Drucks, der auf der Kugel lastet, in die Kugel hinein."
    Per Kabel wird der Strom an Land geleitet
    Dabei treibt das einströmende Wasser eine kleine Turbine an, die Strom erzeugt – Strom, der per Kabel an Land geleitet wird, erklärt Matthias Puchta vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel. Irgendwann aber ist die Kugel voll – und die Stromerzeugung durch das einströmende Wasser versiegt:
    "Ich kann dann das Wasser mit einer Pumpe, gegen den Wasserdruck, aus der Kugel herauspumpen. Und das kostet mich natürlich Energie."
    Herrscht, beispielsweise nachts, ein Überschuss an elektrischer Energie, dann wird diese verwendet, um das Wasser aus der hohlen Betonkugel heraus zu pumpen. Gehen Stunden später allerorten die Lichter an, herrscht also ein Spitzenbedarf an Strom, so lassen die Techniker wieder Wasser einströmen – und können den Strom ins Netz einspeisen. Soweit die Theorie. Ob das alles auch in der Praxis funktioniert, testen die Forscher des Kasseler Fraunhofer-Institutes in Überlingen mit ihrer bisher einzigen Testkugel im Bodensee:
    "Jetzt hört man den Umrichter. Jetzt strömt Wasser in die Kugel und treibt dabei die Schaufelräder der Turbine an."
    Die Energiekugel wird ständig auf- und entladen
    Auf seinem Notebook sieht Christian Dick, dass die Energiekugel in diesem Augenblick tatsächlich Strom erzeugt. Stunden später wird er den Prozess umkehren: Die Turbine wird zur Pumpe, die den von außen zugeleiteten Strom nutzt, um Wasser aus der Kugel herauszupressen. Auf diese Weise wird die Kugel ständig auf- und entladen, je nachdem, ob im Netz gerade Strom benötigt wird oder nicht. Das Ganze erinnert an die Funktionsweise eines Pumpkraftwerkes in den Bergen. Allerdings, so Projektleiter Matthias Puchta:
    "Die Standorte von herkömmlichen Pumpkraftwerken sind begrenzt, zumindest in Deutschland. Wir brauchen aber aufgrund der Zunahme der erneuerbaren Energien definitiv mehr Speicher."
    Energiekugeln, die so funktionieren wie der Prototyp im Bodensee, könnten diese Lücke schließen. Die müssen dann aber, so Projektleiter Matthias Puchta, ungefähr zehn Mal so groß sein wie das gegenwärtige Testmodell auf dem Grund des Bodensees, um wirklich Strom in großen Mengen zu erzeugen.
    "Die Einsatzmöglichkeiten sind dann später offshore in 600 bis 800 Metern Tiefe. Weil das ist etwas, was man technisch noch realisieren kann und auch logistisch noch hinbekommt."
    "Es ist definitiv eine Pionierleistung"
    In der Nord- und Ostsee gebe es, so die Experten des Fraunhofer-Institutes für Windenergie- und Systemtechnik, genügend potenzielle Standorte für große Energiekugeln mit einer vorausberechneten Speicherkapazität von 20 Megawattstunden. Die ersten Tests am Bodensee lieferten bereits ermutigende Ergebnisse:
    "Wir gehen davon aus, dass die Effizienz vergleichbar ist mit herkömmlichen Pumpspeicherkraftwerken, was ungefähr 75 bis 80 Prozent sind."
    Das heißt: Von der elektrischen Energie, die zum Herauspumpen des Wassers aus der Kugel erforderlich ist, wird beim Einströmen rund 80 Prozent zurückgewonnen. Für Christian Dick, der das Projekt am Bodensee betreut, ist das bereits ein bahnbrechender Erfolg:
    "Es ist definitiv eine Pionierleistung. Das gab es so weltweit bisher noch nicht. Wir sind die ersten, die die Idee in dieser Größe umgesetzt und tatsächlich im Wasser versenkt haben."