
"Wenn es tagsüber passiert wäre, hätte es hunderte Tote gegeben, aber wir können doch nicht allen Ernstes froh sein, dass der Fluss um elf Uhr abends diese Ladengasse überspült hat?" Maria, Einzelhändlerin in Genua, ist wütend und verzweifelt. Schon einmal hat sie alles verloren. Bei der Überschwemmung vor drei Jahren. Seit damals will sie weggehen, doch wohin? Mehr als 80 Prozent des Stadtgebietes von Genua sind von Wasser und Erdrutschen bedroht, geht aus einem Bericht des Geologenverbandes Liguriens hervor. "Wo gibt es ein sicheres Ladenlokal in Genua? Das Wasser kommt überall hin. Und in Städten wie Parma, Alessandria sieht es nicht besser aus. Unser Land geht den Bach runter, im wahrsten Sinne des Wortes, aber ich will das nicht einfach so hinnehmen."
In Mailand, wurden die nördlichen Stadtgebiete in diesem Jahr schon zum neunten Mal vom Fluss Seveso überflutet. Die Einwohner sind es leid: "Unsere Keller stehen ständig unter Wasser und auch jetzt wieder." "Um alles wieder sauber zu machen brauchen wir jedesmal fünf, sechs Tage."
Soforthilfe aus Mailand
Mailands Bürgermeister hat zwei Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. Doch so leicht lässt sich der Zorn der Betroffenen nicht besänftigen. Diesmal nicht. Denn vorbeugende Vorkehrungen wie den Bau von unterirdischen Wannen, die das Übermaß an Wasser im Notfall auffangen, gibt es schon seit Jahren auf dem Papier. Doch es fehlte an Geld, das Bauprojekt wurde mehrfach verschoben. In immer rascheren Abständen wiederholen sich die Überschwemmungen.
Für Italiens Regierungschef Matteo Renzi liegt die Schuld daran bei den Regionen und Gemeinden. 20 Jahre lang hätten sie eine falsche Umweltpolitik betrieben. Nun soll die EU einspringen und finanzielle Nothilfe bereitstellen, verlangt Renzi. Anrecht besteht darauf im Falle unvermeidbarer Naturkatastrophen, aber um eine solche handelt es sich in Italien nicht. Das Problem ist hausgemacht. Flussbegradigungen und Deckelungen haben dem Wasser den Platz genommen, fast nirgendwo gibt es natürliche Auen, die ohne Schäden überspült werden können, überall stehen Häuser. Viele wurden illegal gebaut und in den vergangenen 30 Jahren nachträglich gegen Zahlung einer Buße legalisiert, doch ihr Standort ist und bleibt gefährlich.
Nachträglich legalisierte Bauten
1994 und 2003 war es der Bauunternehmer und Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der auf "Condoni" also die nachträgliche Legalisierung von ungenehmigten Bauten setzte, um sich beliebt zu machen. Denn eines dürfen die Italiener nicht vergessen, mahnt der Buchautor Gianantonio Stella, der sich sonst durch beißende Kritik an den Politikern hervortut, nun aber die Bürger geißelt: "Vor allem in den Gegenden, in denen das Bauen ohne Genehmigung am verbreitetsten ist, braucht ein Politiker nur sagen, er werde die Schwarzbauten nachträglich genehmigen und die Italiener sind so verrückt und wählen ihn."
Die wilden Müllkippen, wo kaputte Kühlschränke und komplette Kücheneinrichtungen abgeladen werden, sind eine zusätzliche Gefahr. Der Schrott blockiere die Flüsse, sagt der Umwelttechniker Danilo Ferri aus Ligurien: "Es entstehen regelrechte Dämme, die dann irgendwann brechen und das ganze Zeug wird ins Tal mitgerissen. Oben in den Hügeln gibt es viele Stellen, die noch abgesichert werden müssen, aber das kostet Zeit und Geld."
Sparzwang aufgehoben
Nun beeilen sich die Politiker, gegenzusteuern. Sergio Chiamparino, Präsident der stark betroffenen Region Piemont, hat allen Bürgermeistern empfohlen, die Sicherung von Dämmen und Berghängen sofort in Angriff zu nehmen, ohne Rücksicht auf die Sparverpflichtungen, die den Regionen und Gemeinden im Haushaltsgesetz der Regierung aufgezwungen wurden.
Regierungschef Matteo Renzi hat über seinen Unterstaatssekretär verkünden lassen, dass die betroffenen Gemeinden keinem Sparzwang unterliegen und einen nationalen Plan zur Vorbeugung künftiger Naturkatastrophen in Auftrag gegeben. Wie immer gibt sich Renzi durchsetzungsstark und kompromisslos. Doch erstmals seit Amtsantritt sind seine Beliebtheit und das Vertrauen in seine Regierung in Meinungsumfragen gesunken. Und Beppe Grillo schlägt aus all dem politisches Kapital, indem er die Regierung anklagt, Brüssels Sparvorlagen zu erfüllen und dabei in Kauf zu nehmen, dass Italien im Schlamm untergehe. An einem Strang ziehen Italiens Politiker nicht. Die Bürger wundert das nicht. Sie sind es so gewohnt. Und viele haben anderes zu tun: Schlamm wegschaufeln zum Beispiel.