Freitag, 19. April 2024

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Hilferuf aus den Turnhallen
Dramatischer Personalmangel in den Sportvereinen

Kurse werden gestrichen, Turnhallen und Sportplätze sind verwaist. Die Vereine haben es immer schwerer, Trainer und Übungsleiter zu finden. Als Grund nennen die Vereine oft und gern Corona. Doch dieser Grund ist nur einer von vielen. Die Vereine behandeln ihre Trainer und Übungsleiter oft nicht mit der nötigen Wertschätzung.

Von Peter Kolakowski | 30.10.2022
Ein Baseball auf dem Boden einer Sporthalle.
Eher Herzblutsache: Immer mehr Übungsleiter*innen in Vereinen kündigen wegen des geringen Honorars. (IMAGO / Achille Abboud / IMAGO / Achille Abboud)
„Wir sind in der Rückenlage, stellen die Füße auf, legen die Knie von rechts nach links und das könnt ihr immer mit der Atmung begleiten, auf der einen Seite einatmen, auf der anderen Seite ausatmen.“
Claudia Schäfer ist mit Leib und Seele Übungsleiterin in ihrem Verein. Für acht Euro pro Stunde. Mit dem mageren Honorar, das nur zwei Drittel des eigentlichen Mindestlohnes von zwölf Euro entspricht, muss sie auch noch die Fahrtkosten zur Turnhalle selbst bestreiten. Und sogar Kleingeräte wie Bälle, Reifen, Seile oder Therabänder für Ausdauerspiele und gymnastische Übungen zahlt sie aus eigener Tasche. Wie andere ehrenamtliche Übungsleiterinnen und Trainer fragt sie sich angesichts der Preissteigerungen allerdings, wie lange sie dem Verein noch die Stange hält.
„Sie müssen viel Herzblut mitbringen, reich werden sie dadurch nicht. Natürlich wünscht man sich mehr Geld, aber es ist eine Herzblutsache.“
Rehasport-Trainer Frank-Timo Lange will auf jeden Fall weitermachen. Anderen Kolleginnen und Kollegen dagegen ging schon die Puste aus. Sie haben gekündigt. Auch wegen der langen Lockdown-Phasen im letzten Jahr, mit verlorenen Einnahmen. Das geringe Honorar - unlängst auch Thema bei einer Krisensitzung zwischen der nordrhein-westfälischen Sportstaatssekretärin Milz und dem Landessportbund. Denn die Sport-Jobbörsen in NRW und auch bundesweit quellen über vor Vereinsgesuchen nach fähigen Kursleitern. Oft erfolglos. Immer mehr Kurse müssen deshalb gestrichen werden. Dabei haben die Vereine diese Misere weitgehend selbst verschuldet.  Immer weniger Übungsleiter sind bereit, Kurse für Minihonorare zu leiten, die sie gegebenenfalls sogar noch versteuern müssen. Ein No-Go, findet Jakob Eberhardt, Sportdirektor beim Turnverein Refrath Bergisch-Gladbach. Der Verein zahlt fair und übernimmt auch Fortbildungskosten für seine Übungsleiter:
Erstens muss natürlich der Verein merken, der Übungsleiter macht es gut, es kommen Menschen dorthin und dann natürlich eine Partizipation an den Einnahmen, die der Verein generiert, das ist irgendwo auch selbstverständlich.“

Übungsleiter notorisch unterbezahlt

Selbstverständlich? Ein Drittel der 90.000 Sportvereine in Deutschland zahlten ihren Übungsleitern sogar überhaupt nichts, so Christoph Breuer, Professor für Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Breuer beobachtet und untersucht im Rahmen des Sportentwicklungsberichts seit rund 20 Jahren die Situation der Sportvereine. 
Wir wissen, dass Personalprobleme, insbesondere beim ehrenamtlichen Personal, seit Jahren ein zentrales oder das zentrale Problem von Sportvereinen sind. Klassisch ist der Übungsleiter und Trainer eine ehrenamtliche Position gewesen. Der Regelfall war, dass kein Honorar gezahlt wurde. Wir sehen aber auch in den Bereichen des Gesundheits- und Fitnesssports - kommerzielle Anbieter setzen nicht auf das ehrenamtliche Engagement, sondern bezahlen ihre Trainer schon immer -, dass für einige Trainer und Übungsleiter und das ist schon eine kritische Masse, keine Rolle spielt, in welcher Organisationsform sie ihre Tätigkeit ausüben.“

Hilferuf aus dem Stadtsportbund

Im Haus des Aachener Stadtsportbundes, der über 200 Vereine vertritt, studiert Geschäftsführerin Nadine Frey gerade die neue Plakataktion: „Dein Verein braucht dich!“ steht darauf und es wirkt fast wie ein Hilferuf! Ein Appell an bestehende und neue Vereinsmitglieder wie auch an potentielle Übungsleiter. Dass auch die Gesellschaft die Sportvereine gerade jetzt dringend für den sozialen Zusammenhalt braucht, scheint sich allerdings in der Sportpolitik und den Krankenkassen noch nicht so richtig herumgesprochen zu haben. Fast schon beschwörend erklärt Sportwissenschaftlerin Frey:
„Was der Sport einfach mal so nebenher leistet, welche gesellschaftlichen Probleme im Verein, vom Ehrenamt gelöst und umgesetzt werden. Die Ehrenamtler setzen das Tag für Tag um, und ich finde, das erfährt einfach noch zu wenig Wertschätzung. Und das finde ich nicht in Ordnung. Dass diese Kraft des Vereinssports noch mehr in den Fokus rückt und gesehen wird, was da vom Ehrenamt tagtäglich geleistet wird. Wieviel Kinder und Jugendliche bewegen wir im Vereinssport? Und für so einen geringen Vereinsbeitrag pro Jahr!“
Nadine Frey und ihr Team wertschätzen daher die Arbeit ihrer Übungsleiter nicht nur durch angemessene Honorare, sondern sie sind Teil des Teams und gestalten das Vereinsleben mit eigenen Ideen aktiv mit. Fakt ist: Die allermeisten Sportvereine, die sich zunehmend der kommerziellen Konkurrenz mit Online-Kursen und Billig-Fitnessketten stellen müssten, haben bislang weder eine eigene Werbestrategie für ihre Angebote noch ein durchdachtes Kommunikationskonzept. Obwohl die Qualität der Kurse meistens stimmt und dann durchaus auch moderate Preiserhöhungen gerechtfertigt wären, meint Sportexperte Christoph Breuer von der Sporthochschule. Auch um neue Übungsleiter zu gewinnen - zu attraktiveren Honoraren.

Keine verbindlichen Honorarempfehlungen im Rehasport

Dies gilt gerade für Spitzenorganisationen im Präventions- und Rehasport wie zum Beispiel den Deutschen Behindertensportverband DBS. Bis heute gibt es im Rehasport aber nicht einmal verbindliche Honorarempfehlungen.
Offenbar sieht der DBS, der neben den Landessportbünden Rehasportangebote zertifiziert und Übungsleiter ausbildet, hier keinen Bedarf. Die Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern – also den Kranken- und Rentenkassen - über die Erhöhung der Vergütung für Sportvereine, mit denen die ihre Übungsleiter bezahlen, bewegen sich seit Jahren in Cent-Bereichen.
Nicht einmal 300 Euro erhält ein Verein für einen Rehasportteilnehmer von den Kassen pro Jahr. Davon muss der Verein erstens den Übungsleiter bezahlen, zweitens gegebenenfalls die Hallenmiete begleichen, drittens Geräte für den Rehasport kaufen, viertens sämtlichen Verwaltungs- und Abrechnungsaufwand übernehmen und fünftens auch noch jährlich Gebühren an den DBS beziehungsweise die Landesverbände überweisen.

Abstimmung mit den Füßen als letztes Mittel?

Viele Vereine bieten erst gar keinen Rehasport an. Weil dies für sie ein Minusgeschäft ist. Und solange die Kassen in ihrer Budgetplanung eher Geld zum Beispiel für 15.000 Euro teure Hüft-OPs zur Verfügung stellen, als die Vereinsvergütungen für Prävention und Rehabilitiation aufzustocken, wird sich auch am Tarifgefüge für die Übungsleiter*innen und Trainer*innen nichts ändern. Es sei denn, diese stimmen weiter mit den Füßen ab - und bleiben weg. Wie jetzt gerade. Prof. Dr. Hans-Georg Predel, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der deutschen Gesellschaft für Prävention:
Das ist ja ein Kampf, den wir seit vielen Jahren führen.  Sie haben das Beispiel gezeigt mit den Kosten für eine künstliche Hüfte und den Kosten für vernünftige Rehaprogramme. Und in den letzten Jahren haben auch die Kostenträger gelernt, Wert zu legen auf präventive und auch auf rehabilitative Maßnahmen. Das ist aber immer noch viel, viel zu wenig. Und dann darf man sich auch nicht wundern, dass die monetären Aufwendungen für diese Strategien immer noch nicht den Stellenwert haben, den sie unbedingt haben müssten, sowohl aus medizinischer als auch aus ökonomischer Sicht.“
Dieser Beitrag ist der Teil der Denkfabrik des Deutschlandfunks zum Thema „Von der Hand in den Mund – Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“. Weitere Beiträge finden Sie hier.