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Uhren im Weltall

Das Radioteleskop war gerade erst fertig gestellt, da empfing die Astronomin Jocelyn Bell Burnell regelmäßige Signale aus dem Weltall. "Little Green Men" – kleine grüne Männchen – nannte sie die Botschaften im Jahr 1967 ratlos. Später stellte sich heraus, dass es sich um sehr dichte und schnell rotierende Sterne handelte, die in regelmäßiger Folge Strahlungspulse aussandten: Die Pulsare.

Von Jan Lublinski |
    Samstag, 7:50 Uhr: Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, in diesem versteckten Tal mitten in der Eifel braucht sie besonders lange. Dafür erhellt das blaue Morgenlicht den Raureif auf den Bäumen der Wälder ringsum und mischt sich mit dem Flutlicht, das die ganze Nacht ein mächtiges Bauwerk angestrahlt hat: Das Radioteleskop Effelsberg. Ein raffiniertes Flechtwerk aus Metallstreben schiebt sich langsam aufwärts – bis die Schüssel im Zenith steht. Kontrolliert wird das Radioteleskop vom sogenannte Steuerraum aus: Ein langgezogenes Pult mit bunten Anzeigen und Monitoren, dahinter ein zwei Stockwerke hohes Panoramafenster. Es ist wie in der ersten Reihe im Kino: Die Perspektive weitet und verengt sich zugleich; die Welt besteht nur noch aus einem übergroßen Objekt und seiner erhabenen Bewegung. Allein die Treppenaufgänge des Radioteleskops, die sich wie feine Dornenranken um die Beine des Kolosses winden, lassen seine wahre Größe erahnen.

    "So eine Boeing 737, kann man sich vorstellen, ist jeder mal mit in den Urlaub geflogen. Wenn man vier Stück davon Spitze an Spitze da reinlegt, sind sie weg. Man wird sie nicht wieder sehen."

    Peter Vogt, der Operateur des Radioteleskops. Auf einen halben Millimeter genau kann er die Ausrichtung des Schüssel festlegen. Feinmechanik mit 3200 Tonnen Metall und Beton. Aus der sogenannten "Kabine", die mit drei langen Streben hoch über der Schüssel im Brennpunkt schwebt, fährt ein schrankgroßes Gerät heraus: Die Kamera für Radiowellen mit 21 Zentimetern Länge. Sie wird nach sogenannten Pulsaren Ausschau halten: Sternen, die geheimnisvolle Signale aussenden. Weltweit bemühen sich Forschergruppen darum, neue Pulsare am Himmel finden. Ein internationaler Wettlauf, mit dem Ziel, die Grenzen der geltenden physikalischen Gesetze auszuloten, und sie, wenn möglich, zu überschreiten.

    Samstag, 8:51 Uhr. Eine Gruppe junger Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn trifft im Steuerraum ein. Sie verteilen ihre Rucksäcke auf den Tischen, zwei von ihnen setzen sich an die Bildschirmreihe direkt vor dem Panoramafenster und übernehmen die Kontrolle über das Radioteleskop. Mit von der Partie ist auch der Chef dieses Teams, Michael Kramer. Der 43-jährige ist vor zwei Jahren Direktor am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie geworden. Er steckt ein Netzwerkkabel in seinen Laptop und vertieft sich erst einmal in seinen Flachbildschirm.

    "Es gab da ein eigenartiges Signal, das ich nicht richtig einordnen konnte. Seit wir das neue Teleskop eingeschaltet hatten, konnten wir es messen, etwa alle acht Tage war es da. Ein nerviges Signal, es kroch einem ins Gehirn."

    Jocelyn Bell Burnell von der Universität Oxford begann Mitte der 60er Jahren mit ihrer Promotion im Fach Astronomie. Sie verbrachte zunächst zwei Jahre damit, ein eigenes Radioteleskop aufzubauen: Es bestand nicht aus einer Schüssel sondern aus Antennen: 250 Kilometer Kabel, die zwischen Pfosten auf einer Fläche von zwei Fußballfeldern aufgespannt werden mussten.

    "Dieses seltsame Signal kam immer von einem bestimmten Ort am Sternenhimmel. Aber als ich versuchte, es mit Messschreibern aufzunehmen, war das Signal verschwunden. Einen Monat lang versuchte ich es vergebens. Aber dann fing ich das Signal endlich wieder ein: Eine lange Reihe von Pulsen, jeweils mit einem Abstand von ein-eindrittel Sekunden. Mein Doktorvater war überzeugt, dass es sich um eine Störung handelte, ein menschengemachtes Signal. Aber dann gelang es uns, das Signal auch mit einem zweiten Teleskop einzufangen. Nach und nach wurde uns klar, dass wir eine Quelle draußen im Weltall gefunden hatten. Wir schätzten die Entfernung ab: Der Ursprung der Signale lag 200 Lichtjahre entfernt."

    Jocelyn Bell Burnell hatte den ersten Pulsar entdeckt: einen erloschenen, sehr dichten und schnell rotierenden Stern, der regelmäßige Radiosignale aussandte. Ihr Doktorvater ließ sie die neuen Daten auswerten und publizierte das Ergebnis mit ihr als Zweitautorin im Fachblatt "Nature". Zugleich ließ er sie ihr ursprüngliches Dissertationsthema weiter verfolgen, das nichts mit den Pulsaren zu tun hatte. Schließlich wurde sie auf einem anderen astronomischen Gebiet promoviert, und er erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung der Pulsare. Jocelyn Bell Burnell reagierte bescheiden.

    "Es war ein sehr wichtiger Preis. Zum ersten Mal wurde der Physik-Nobelpreis für ein astronomisches Thema vergeben. Das war sehr wichtig für die Astronomie. Und ich war stolz, dass es meine Sterne waren, welche die Physiker davon überzeugt hatten, dass in der Astronomie sehr gute Physik gemacht wird. Ich selbst habe zwar den Nobelpreis nicht bekommen, aber dafür viel Sympathie und auch andere Preise. Zugleich erstarkte der Feminismus in dieser Zeit. Ich bin also auf zwei Wellen getragen worden: Auf einer Welle der Sympathie und auf einer Welle des Feminismus. Mir ist es also eigentlich gut ergangen."

    In den Jahren nach Jocelyn Bell Burnells Entdeckung rangen die Astronomen um eine Erklärung für die regelmäßigen Signale aus dem All. Schließlich einigten sie sich darauf, dass ein Pulsar während einer Supernova entsteht: Ein Stern fällt in sich zusammen, weil sein Brennstoff verbraucht ist. Seine äußere Hülle wird weggesprengt. Zurück bleibt dicht gepresste Materie, die überwiegend aus Elementarteilchen besteht: Ein Stern aus Neutronen, etwa so schwer wie die Sonne, dabei aber nur 20 Kilometer im Durchmesser. Er dreht sich um die eigene Achse und sendet dabei Radiosignale aus.

    "Die Größe dieses Teleskops ist überwältigend. Jedes mal, wenn ich hinunter in dieses Tal fahre, beeindruckt es mich neu. Und das, obwohl ich im Moment zwei bis drei Mal die Woche herkomme. Einfach nur diese gewaltige Größe."

    Samstag, 11:52 Uhr. Die Pulsarforscher am Radioteleskop in Effelsberg haben Probleme mit ihren ersten Prüf-Messungen. Das neue Computerprogramm, mit dem sie das Teleskop ansteuern, funktioniert offenbar nicht richtig. Vielleicht liegt es aber auch an den Rechnern, welche die Messdaten speichern sollen. Oder an dem neuen Detektor oben über der Schüssel, der auf eine Temperatur von Minus 269 Grad Celsius gekühlt wird, damit er die Signale möglichst rauscharm aufnehmen kann. Er beobachtet nicht nur einen Punkt am Himmel sondern sieben nebeneinanderliegende Punkte. Eine besondere Kamera für Pulsare also - mit sieben Pixeln. Doch bislang hat nur einer der Pixel für kurze Zeit ein Pulsarsignal gezeigt.

    Pulsare. Sterne aus dicht gepackter Materie. Wie riesige Schwungräder wirbeln sie herum. Dabei senden sie in zwei entgegengesetzten Richtungen Radiowellen aus, wie Leuchttürme, die ihre Lichtkegel kreisen lassen. Nach der ersten Entdeckung dieser dynamischen Sterne durch Jocelyn Bell Burnell untersuchten Radioastronomen sie immer genauer. Ihre Signale schienen so präzise zu sein wie die genauesten Uhren. Bald wurde klar: Wenn sich Schwankungen in den Signalen fanden, ließen diese sich zurückführen auf Vorgänge in der Umgebung der Sterne. Mit den Pulsaren hatten die Astronomen offenbar eine neue Art Messsonde entdeckt, einsetzbar in den Weiten des Universums, für eine völlig neue Astronomie.

    "Man kann hier in den ersten Daten ab und zu kleine Signale sehen. Sie rühren aber daher, dass irgendwo jemand sein Handy einschaltet oder seinen Fernseher. Diese Signale müssen wir herausfiltern, ich habe dafür ein spezielles Computerprogramm geschrieben. Mit den ersten Daten, die wir aufgenommen haben, scheint es schon zu funktionieren. Aber das ist eine Null-Messung – noch haben wir ja heute keine astronomische Beobachtung gemacht."

    Cherry Ng stammt aus Hong Kong, hat in London studiert und promoviert nun bei Michael Kramer.

    "Ich habe erst vor Kurzem hier angefangen, aber die Kollegen haben mir gleich vertraut und mich das große Teleskop bedienen lassen. Diese Arbeit ist sehr interessant, aber auch anstrengend. Vor allem, wenn man morgens um 4 Uhr aufstehen muss, für die Frühschicht. Oder wenn man bis 4 Uhr wach bleiben muss. Aber die Mühe lohnt sich, wenn man sieht, dass die Beobachtungen brauchbare Daten liefern."

    Samstag, 12:15 Uhr, die Zeit drängt etwas am Radioteleskop in Effelsberg: Ramesh Karuppusamy hat ab 13:30 Uhr ein neues Experiment geplant: Mehrere große Radioteleskope – in Deutschland, in England, in Holland - sollen gleichzeitig auf denselben Pulsar schauen.

    "Die Idee ist, mit Schüsseln in ganz Europa zu arbeiten. Wenn es gelingt, die Anlagen zu kombinieren, könnte man die Qualität der Signale noch weiter verbessern. Es ist dann so, als verdoppelten wir den Durchmesser unseres Teleskops - auf 200 Meter. Damit können wir dann unsere Uhren am Himmel noch viel genauer ablesen."

    Dazu aber müsste das Teleskop in Effelsberg nun endlich Daten liefern. Auch der Leiter der Pulsarforschergruppe und Direktor des Max Planck Instituts, Michael Kramer, beteiligt sich an den Diskussionen. Obwohl die Zeit knapp ist, bleiben die Gespräche ruhig und konzentriert. Das Radioteleskop indes bewegt sich langsam weiter, gleicht die Erdrotation der vergangenen Minuten aus. Auf dem Bildschirm zeigen nun alle sieben Kanäle das erhoffte regelmäßige Pulsar-Signal: Steile Berge, vergleichbar mit sieben EKGs im Krankenhaus, die alle den gleichen Herzton aufnehmen.

    Gut, dann bleibt uns jetzt noch eine Stunde, konstatiert Michael Kramer und vertieft sich wieder in seinen Laptop. Samstag, 13:50 Uhr: Karuppusamy kommuniziert mit seinen Kollegen von den anderen europäischen Radiosternwarten per Skype-Chat. Die Teleskope peilen jetzt den gleichen Pulsar an, nehmen einige Minuten lang Messdaten auf, bevor sie sich – alle gleichzeitig - noch nach einem weiteren Pulsar ausrichten. Ob sich diese Daten zu einem verbesserten Signal vereinigen lassen, wird Karuppusamy erst in einigen Wochen wissen – wenn er alles ausgewertet hat.

    "Das war jetzt nur der allererste Schritt. Wir werden die Daten auf einem Cluster-Computer in Manchester zusammenführen und dann weitersehen."

    Wie Sterne sich im Weltall bewegen, können Astronomen heute mit großer Genauigkeit berechnen - mit Hilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie. Bislang haben die Formeln von Albert Einstein noch jeden Test bestanden, sämtliche Pulsare exakt beschrieben. Dennoch halten die Physiker es für möglich, dass sie die Relativitätstheorie eines Tages werden renovieren müssen. Zu groß sind die Probleme, die sich auftun, wenn sie versuchen, die mathematischen Theorien des Weltalls mit den Theorien der kleinsten Teilchen zu verknüpfen. Zum Beispiel ist es den Physikern bislang unmöglich, mit Formeln zu beschreiben, was direkt nach dem Urknall geschah.

    Auf dem Weg zu einer neuen Physik jenseits von Einstein könnten die Pulsare entscheidende Hinweise liefern. Entsprechend groß ist der Wettbewerb unter den Astronomen. Nicht nur die Europäer wollen ihre Teleskope in Zukunft für die Pulsarforschung zusammenschalten. Auch in Nordamerika und in Australien haben sich Radioastronomen zusammengefunden, um die Grenzen der Relativitätstheorie auszuloten. Dafür müssen sie die Pulsare mit extremer Präzision vermessen – und sie müssen viele dieser besonders genauen Uhren im Weltall finden.

    Der Steuerraum des Radioteleskops Effelsberg. Monitore, lange Tische, Schränke mit Computern. Wie in der Kommandozentrale eines Raumschiffes. Es ist als seien die Wissenschaftler kurzfristig in dem Eifeltal gelandet und flögen nun mit dem Planeten Erde durch die Milchstraße. Sterne und Galaxien drehen sich und ziehen vorbei. Ihre Bewegung ist am Nachthimmel zu sehen, aber auch auf den Monitoren und den Sternkarten der Forscher. Derweil hält das große Teleskop unermüdlich Ausschau – nach brauchbaren Signalen aus dem All.

    "Wir arbeiten derzeit an einem Projekt, bei dem wir den gesamten Himmel absuchen. Bislang haben wir ja erst 2000 Pulsare entdeckt. Den südlichen Himmel haben die australischen Kollegen übernommen, und wir durchmustern den Norden. Im Moment beobachte ich einen Pulsar, der von beiden Hemisphären aus zu sehen ist, damit wir die Messdaten vergleichen können. Er befindet sich jetzt knapp über dem Horizont der Hügel hier."

    Samstag 17:35 Uhr. Der Brite Ralph Eautough hat jetzt die Kontrolle über das Teleskop übernommen. Ein junger Wissenschaftler, schlaksig, mit Kinnbart. Er hat schon viele Nächte an Radioteleskopen in aller Welt verbracht – und in den vergangenen Jahren, als Doktorand, 15 neue Pulsare entdeckt.

    "Erst kürzlich habe ich einen Pulsar gefunden, den ich lange gesucht hatte. Vor vier Jahren habe ich sein Signal zum ersten Mal gesehen. Als ich die Beobachtung wiederholte, um die Daten zu prüfen, war er verschwunden. Ich habe jeden Monat einmal nach ihm geschaut – ohne etwas zu entdecken. Und dann, plötzlich, vor ein paar Monaten, war er wieder da."

    Manche Pulsare stellen ihr Leuchtfeuer ganz unvermittelt ein. Die Astronomen vermuten, dass sich hier das Magnetfeld des Pulsars und das Gas aus geladenen Teilchen, das ihn umgibt, schlagartig verändern. Für ihre Zwecke müssen die Radioastronomen darum besonders stabile Uhren im All ausfindig machen, die ihre Signale ohne Unterbrechung senden. Und sie müssen, im Bild gesprochen, die Feinmechanik dieser Uhren genauer als bisher verstehen.

    Im Jahr 1974 machten der amerikanische Doktorand Russell Hulse und sein Professor Joe Taylor eine Entdeckung, für die sie später - beide - mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden sollten: Sie fanden einen Pulsar, der sich offenbar auf einer Kreisbahn befand: Er drehte sich um einen zweiten, unsichtbaren Stern.

    "Was hier passiert ist: der Pulsar sendet immer noch regelmäßig sein Signal aus. Mit einer Periode von 59 Millisekunden."

    Michael Kramer, Direktor am Max Planck Instituts für Radioastronomie in Bonn.

    "Und der bewegt sich dann in acht Stunden um seinen Begleiter. Beziehungsweise beide bewegen sich um den gemeinsamen Schwerpunkt. Dadurch ist der Pulsar in seinem Orbit einmal näher zur Erde und einmal weiter weg. Diesen Laufzeitunterschied können wir genau ausmessen. Wir wissen genau, wo der Pulsar sich in seinem Orbit befindet."

    Hulse und Taylor aber konnten noch mehr aus der geringfügigen Variation der Signale herauslesen: Sie konnten messen, dass der Pulsar und sein Begleiter sich im Laufe der Zeit immer schneller umeinander drehten. Kramer:

    "Wir können zum Beispiel messen, dass die Bahnbewegung sich beim Hulse-Taylor-Pulsar um einen Zentimeter pro Tag verkürzt. Das können wir messen. Nicht instantan, wir können jetzt nicht nach einem Tag sagen, die Bahnbewegung hat sich um einen Zentimeter verkleinert, aber über Jahre hinweg sehen wir den Effekt natürlich ganz klar, weil der sich aufbaut und damit können wir die schrumpfende Bahn tatsächlich bestimmen."

    Erklären lässt sich diese winzige Veränderung nur mit der Allgemeinen Relativitätstheorie: Sie sagt voraus, dass der Pulsar und sein Begleiter Gravitationswellen abstrahlen und dabei den Raum erzittern lassen. Die beiden Sterne sollten dabei ständig ein klein wenig Energie verlieren und sich zunehmend enger umeinander drehen. Die Messung von Hulse und Taylor bestätigte Einsteins Theorie und lieferte den ersten indirekten Beweis für die Existenz der Gravitationswellen. Ein direkter Beweis steht indes noch aus: In riesigen Laborhallen versuchen Physiker mit Lasern die Gravitationswellen nachzuweisen. Aber auch die Pulsarjäger hoffen, dass ihnen der Coup bald gelingen wird.

    Michael Kramer hat den Hulse-Taylor Pulsar später selbst noch einmal genau untersucht. Ihm gelang es, eine weitere, winzige Schwankung in den Signalen zu entdecken. Er erklärte sie damit, dass der Pulsar ein ganz klein wenig und sehr langsam im Raum taumelt, wie ein Kreisel. Und auch diesen Effekt konnte er mit den Formeln der Relativitätstheorie beschreiben.

    "Das hat zur Folge tatsächlich, dass der Pulsar nicht immer sichtbar ist. Weil es Ausrichtungen der Spinachse gibt, wo der Radiostrahl nicht mehr zur Erde zeigt. Ich hab damals die Vorhersage gemacht, dass der Pulsar im Jahr 2025 vom Himmel verschwindet."

    Sollte Kramer recht behalten, wäre das nicht weiter schlimm: Den Hulse-Taylor-Pulsar haben die Radioastronomen bis ins letzte Detail vermessen.

    Samstag 20:50 Uhr. Ralph Eautough und Lucas Guillemot verlassen den Steuerraum des Radioteleskops und gehen über einen Gang in die Gemeinschaftsküche. Sie haben gerade eine zweistündige Beobachtung gestartet, das Teleskop sucht selbständig nach einem vorgegebenen Fahrplan den Himmel ab. Es bleibt also genug Zeit, um etwas zu essen. Guillemot:

    "We were just starting a 2-hour-observation, so we have 1 hour 56 minutes to do other things. Eat for example."

    Ein Kaffeeautomat, eine Kochzeile mit Einbauschränken, ein größer Kühlschrank. Darin befinden sich eine Auswahl an Tiefkühlpizzen und andere Fertiggerichte. Dazu Schokoriegel, Chips, Gummibärchen. Eautough:

    "Als ich letztens ein paar Tage am Stück hier war, habe ich mich ziemlich schlecht ernährt und bin krank geworden. Seitdem versuche ich immer, auch etwas Obst mitzubringen, also etwas halbwegs Gesundes."

    Von der Decke der Küche hängt ein Fernseher, der den Status des Teleskops anzeigt: die Winkel seiner Ausrichtung, verschiedene astronomische Zeitangaben und den Stand der gegenwärtigen Messung. Damit die Astronomen auch beim Essen wissen, wo die große Schüssel steht. Auch ihren Schlafrhythmus passen sie den Beobachtungen an. Die Spätschicht geht bis vier Uhr morgens, aber wenn es gerade spannend wird, bleiben sie auch schon mal gemeinsam mit der Frühschicht im Steuerraum.

    "Die Leute sagen, wenn man ein Wochenende in Effelsberg war, sollte man sich während der Woche ein bisschen frei nehmen. Aber das geschieht normalerweise nicht. Man wird nur ziemlich müde. Etwa so wie beim Jetlag."

    "Aber wenn die Routine-Beobachtungen gut laufen, kann es hier mitunter auch sehr entspannt sein. Es ist sehr friedlich hier draußen in der Eifel. Man kann in Ruhe über die Dinge nachdenken und konzentriert arbeiten."

    "Michael Kramer hat sich jetzt überlegt, dass er sein gesamtes Team demnächst einmal hierher in die Eifel holt, ohne Beobachtungszeit, ohne Internet. Damit wir wirklich miteinander reden und neue Ideen entwickeln."

    Samstag 21:10 Uhr. Kramer kommt in die Küche und hebt einen großen Topf mit vorgekochtem Essen auf den Herd: Nudeln, Fleisch, etwas Gemüse. Er lädt seine Mitarbeiter zum Essen ein.

    "Normalerweise suchen wir einen bestimmten Bereich des Himmels ab. Dann sucht man halt nach unbekannten Pulsaren. Und bei dem Pulsar war ganz klar, dass sich während der Beobachtung die Pulsperiode schon änderte. Damit war klar, dass er einen Begleiter hat in einem sehr kompakten Orbit. Es hat dann bis November des gleichen Jahres gedauert, bis wir tatsächlich festgestellt hatten, dass der Begleiter nicht ein unsichtbarer Neutronenstern ist, sondern tatsächlich auch ein emittierender Pulsar. Das war natürlich schon eine Riesenüberraschung."

    Ein Doppelpulsar-System. Ein spektakulärer und bisher einzigartiger Fund am Sternenhimmel. Gelungen ist diese Entdeckung einer internationalen Forschergruppe, zu der auch Michael Kramer gehörte. Den ersten der beiden Pulsare entdeckte die italienische Doktorandin Martha Burgay. Und eigentlich hätte sie auch gleich seinen Begleiter sehen müssen. Aber sie hatte Pech: immer dann, wenn sie beobachtete, waren dessen Signale nicht zu empfangen. Und so bemerkte einer ihrer Kollegen, Duncan Lorimer, dass da noch ein zweites Signal war. Kramer:

    "So war es dann, dass ich mitten in der Nacht einen Anruf von ihm bekam, wo er mir dann von seiner Entdeckung berichtete. Und wo dann herauskam, dass der zweite Begleiter tatsächlich nicht nur ein Neutronenstern war, sondern tatsächlich ein Pulsar mit der Periode von 2,7 Sekunden."

    Zwei Uhren im All, die sich umkreisen. Dieses bislang einzige bekannte Doppelpulsarsystem ermöglicht es den Astronomen, die Relativitätstheorie mit noch wesentlich größerer Genauigkeit zu prüfen als bisher. Kramer:

    "Ich habe gestern Abend den Doppelpulsar noch von zu Hause aus beobachtet. Der Pulsar ist leider ein paar Grad zu weit südlich, um ihn bequem hier mit Effelsberg zu beobachten. Wir benutzen also das Teleskop in Parkes, mit dem wir ihn entdeckt haben oder auch eines in Amerika, das etwas weiter südlich schauen kann als wir. Wir beobachten ihn praktisch mehrmals im Monat, um die Bahnbewegung weiterhin genau zu verfolgen. Und unsere Genauigkeit der Tests weiter zu verbessern."

    Samstag 22:23 Uhr. Der Mond ist aufgegangen, er hat sich über die Bergkanten und obersten Baumwipfel des Eifel-Tales geschoben. Er wandert weiter, bis er im Geäst des riesigen Teleskops festzuhängen scheint. Wie eine weißblau leuchtende Murmel in einer durchsichtigen Schüssel liegt er da und streut sein Licht quer durch die Radiosignale ferner Sterne.

    Guillemot: "Ich habe hier drei gute Kandidaten für neue Pulsare. Aber die Kollegen haben sie schon vor uns beobachtet, jeweils etwa 30 Minuten lang."

    Kramer: "Das heißt, wir müssten jetzt wesentlich länger beobachten als sie, aber dafür haben wir jetzt keine Gelegenheit."

    Guillemot: "Stimmt."

    Kramer: "Gibt’s keine andere Quellen?"

    Guillemot: "Ja, aber erst später heute Nacht."

    Lucas Guillemot hat in den vergangenen Jahren am Forschungssatellit Fermi gearbeitet, der hochenergetische, extrem kurzwellige Gammastrahlung aus dem Weltall misst. Er hat sich in seiner Doktorarbeit insbesondere mit den sogenannten Millisekunden-Pulsaren befasst, die sich mit besonders großer Geschwindigkeit drehen. Diese besonderen Sterne senden nicht nur Radiowellen sondern auch Gammastrahlung aus. Nun geht Guillemot den umgekehrten Weg: Er nutzt die Fermi-Daten als Grundlage für die Suche nach neuen Pulsaren.

    "Zum ersten Mal steht uns ein sehr empfindliches Instrument zur Verfügung, das den kompletten Himmel abscannt und uns den Weg weist zu den Pulsar-Kandidaten. Das macht die Suche mit den Radioteleskopen viel einfacher. Und wir können es uns leisten, bestimmte Punkte am Himmel für längere Zeit zu beobachten."

    Fermi ist ein Glücksfall für die Pulsarjäger. In den vergangenen 30 Jahren, bevor der Satellit in den Orbit gegangen ist, haben die Astronomen etwa 70 Millisekundenpulsare ausmachen können. Nun haben sie, innerhalb von nur einem Jahr, 30 neue gefunden, einen davon mit dem Radioteleskop in Effelsberg. In den kommenden zwei, drei Jahren wollen sie noch einmal 30 finden, mindestens. Guillemot:

    "Das Ziel wäre es, in Zukunft unter all diesen Millisekundenpulsaren etwa 20 auszumachen, die sich besonders gleichmäßig drehen. Wir müssten ihre Umlaufgeschwindigkeit mit extremer Genauigkeit kennen: auf weniger als eine Mikrosekunde genau. Das ist eigentlich unvorstellbar, wenn man sich überlegt, dass diese Objekte Hunderte von Lichtjahren entfernt sind."

    Mit diesem Netzwerk aus hochpräzisen Pulsaren könnte eines Tages der große Traum der Pulsarforscher wahr werden: Die direkte Messung von Gravitationswellen. Diese machen sich durch ein Zittern des Raumes bemerkbar, das heißt die Abstände zwischen den Objekten schwanken leicht. Dieses Zittern würde auch die Pulsare des Netzwerks erfassen, und ihre Signale kämen, je nach Position, ein wenig verfrüht oder verspätet auf der Erde an. Sollte der direkte Nachweis der Gravitationswellen eines Tages gelingen, könnten die Physiker als nächstes dieses Zittern im Raum genau vermessen und untersuchen. Zwei Dinge werden dann möglich: Zum einen immer genauere Tests der Relativitätstheorie, und vielleicht irgendwann deren Weiterentwicklung. Und zum anderen eine völlig neuartige Form der Himmelsbeobachtung: Gravitationswellen-Astronomie, ein neues Fenster ins All. Ramesh Karuppusamy.

    "Das Ziel wäre es dann also, ein Hintergrund-Zittern des Raumes, verursacht durch Gravitationswellen im All zu messen – und damit zu verfolgen, wie große Massen im All den Raum durchschütteln. Zum Beispiel, wenn zwei supermassive Schwarze Löcher umeinander kreisen, sollten sie kleine Gravitationswellen durch die Raumzeit senden. Wenn wir das eines Tages sehen könnten, wäre das ein großartiger Einblick in die Natur der Dinge. Eine völlig neuartige Gravitationswellen-Astronomie. Eine sehr aufregende Aussicht für die Zukunft."

    Guillemot: "Wir könnten es noch einmal mit diesem Kandidaten hier probieren."

    Kramer: "Ist die Position diesmal günstiger?"

    Guillemot: "Ja."

    Samstag, 23:04 Uhr. Das große Teleskop in Effelsberg verfolgt einen Pulsar. Langsam und gezielt wandert die Schüssel ihm nach, gleicht die Bewegung der Erde aus. Hell leuchtet das Flutlicht des Teleskops in die dunkle Nacht hinaus, während sich die Signale eines fernen Sterns in der Schüssel sammeln.