Martin Zagatta: Wie geht es weiter in der Ukraine? Kommt es zu einem Wirtschaftskrieg mit Russland? Das verfolgen die rund 2.000 deutschen Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind, mit besonderer Spannung. Zumindest einige dieser Firmen haben schon unangenehme Erfahrungen machen müssen und sind bedroht beziehungsweise erpresst worden. Was ist dran an diesen Übergriffen, was ist dran an diesen Meldungen? Das konnte ich Alexander Markus fragen, den Leiter der deutschen Auslandshandelskammer in Kiew.
Alexander Markus: Es gab insgesamt zwei Fälle, wo in der Zeit, als der Präsident, in den Tagen, als der Präsident geflüchtet war, offensichtlich – ich sag mal so – vermutlich ehemalige Mitarbeiter oder Konkurrenten versucht haben, die unsichere Situation zu nutzen. Die haben sich dieses Label Volksverteidigung angeeignet und haben dann einfach mal Firmen angepiekst, mit denen sie noch offenen Rechnungen hatten, wie die reagieren würden. Das Presseecho in Deutschland ist eindeutig übertrieben, weil man sagen muss, dass der Großteil der deutschen Firmen, die hier arbeiten, die ganze Krise über, schon seit drei Monaten ohne Produktionsausfälle ganz ruhig weiterarbeiten.
Zagatta: Gilt das immer noch?
Markus: Das gilt immer noch.
Zagatta: Wir sprechen ja im Moment von den westlichen Teilen der Ukraine, also diese Fälle, die Sie angesprochen haben, nicht von den östlichen Regionen des Landes oder von der Krim.
Markus: Es gibt im Moment keinerlei Anzeichen dafür mehr, dass der Osten des Landes unter den Einfluss Russlands fallen würde. Militärexperten sprechen davon, dass es im Moment nicht danach aussieht. Die Krim ja, aber nicht der Osten des Landes, das muss man ganz klar unterscheiden.
Zagatta: Das war meine Frage. Dort herrscht also diese Angst, die man da aus der Ferne vielleicht vermuten könnte, die herrscht da nicht bei deutschen Unternehmen?
Markus: Szenarien werden natürlich ausgearbeitet, das ist keine Frage, aber die wurden ausgearbeitet, als die Truppenübungen hier genau an der Grenze stattfanden, und als man wirklich nicht mehr wusste, wie das weitergeht. Aber eigentlich war das Interview, das Putin vor ein paar Tagen gegeben hat, das war der Schnitt, womit doch eigentlich sehr deutlich wurde, dass die Besetzung von weiteren Landesteilen keine Option ist.
Zagatta: Was ist dran an Meldungen, dass deutsche Unternehmen da schon auch überlegen würden, ihre Familien nach Hause zu schicken oder ihren Mitarbeitern empfehlen, vielleicht, wenn es möglich ist, von zu Hause zu arbeiten, nicht unbedingt auf die Straßen zu gehen? Hat sich das auch alles wieder gelegt?
Markus: Das waren Sicherheitswarnungen, die wurden hier ausgegeben, als die Krawalle in Kiew und in einigen Regionen sich steigerten, sich häuften. Die entsprachen den Sicherheitswarnungen, die ja auch die deutsche Botschaft ausgibt. Aber das hat sich alles wieder gelegt. Also die Sicherheitswarnungen der deutschen Botschaft sind heute ganz eindeutig, beziehen sich auf die Krim und auf den Osten des Landes. Aber für Kiew und den Westen ist es wieder ganz ruhig.
Zagatta: Und die Geschäfte laufen da ganz normal, da gibt es im Moment keine Einschränkungen?
Markus: Ich sag mal so: Für diejenigen, die hier produzieren, die haben mir bisher nur Einschränkungen in der Hinsicht erzählt, dass die Kunden, die in Europa sitzen, Zweifel daran haben, dass es nicht vielleicht doch in der Zukunft Produktionsausfälle geben könnte. Aber das ist eher Angst, die durch die Medien in Europa geschürt wird. Wir haben hierfür keinerlei Anzeichen, dass es zu Produktionsausfällen kommen wird. Anders ist es bei den Firmen, die Zulieferbeziehungen zu den Schwerindustriekonzernen im Osten haben. Da ist es natürlich so, dass die aufgrund der momentanen Situation, aufgrund der schwierigen Finanzsituation in der Ukraine, aufgrund einer unklaren Budgetsituation in der Ukraine, dass die im Moment keine weiteren Investitionsprojekte entwickeln. Die haben alles on hold gestellt, und das ist natürlich für Zulieferbetriebe, die dort gern zum Beispiel Anlagen liefern würden, ist das ein Nachteil. Da gibt es im Moment wenig Geschäft.
Sanktionen sind eine politische Entscheidung
Zagatta: Gibt es da Bemühungen dieser Übergangsregierung, die ja erst seit zwei Wochen im Amt ist, da für Rechtssicherheit zu sorgen, oder ist das angesichts der chaotischen Situation im Moment noch gar kein Thema?
Markus: Doch. Es gibt Bemühungen, sehr eindeutige Bemühungen, die auch zu begrüßen sind. Wir haben das gerade hier in einem internen Ausschuss heute diskutiert. Weil, was macht die Regierung? Die Regierung besetzt die Posten im Osten mit Personen, die aus den jeweiligen Regionen kommen. Sie schickt dort niemanden aus Kiew hin oder aus dem Westen der Ukraine, sondern sie findet Leute, die aus dem Osten selber kommen, und die werden dann dort zum Leiter der Regionaladministration zum Beispiel ernannt. Das ist ein sehr guter Schachzug, der dort auch hoffentlich in der Zukunft für Ruhe sorgen wird.
Zagatta: Herr Markus, in Deutschland und in der EU wird ja darüber gestritten, ob Sanktionen gegen Russland sinnvoll sind. Von Unternehmen, von der Wirtschaft wird das meist abgelehnt. Wie ist denn da die Stimmung bei Ihnen in der Ukraine im Moment? Soll man Putin gewähren lassen?
Markus: Die Frage nach Sanktionen ist eine politische Frage. Das muss letzten Endes die Politik entscheiden. Die Wirtschaft kann, sag ich mal, darauf hinweisen, was Sanktionen zur Folge haben könnten. Deswegen muss man die Frage wirklich ganz eindeutig an die Politik stellen.
Zagatta: Und wenn Sie um Rat gefragt werden?
Markus: Wenn wir von der Politik um Rat gefragt werden, meinen Sie?
Zagatta: Genau.
Markus: Da ist meine Seele sehr gespalten. Aus wirtschaftlicher Sicht, das hat auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages hier in einem Statement klar gemacht ...
Zagatta: Ja, bei uns im Deutschlandfunk…
Markus: …sind wir natürlich nicht für Sanktionen, aber bei solchen Verletzungen, Rechtsverletzungen, wie sie im Moment vorliegen, gehen wir natürlich, sage ich mal, nach der Entscheidung der Politik. Weil das ist wirklich eine politische Frage, die muss auch politisch entschieden werden, und die Wirtschaft wird sich dann, je nachdem, was dort für eine Entscheidung politisch getroffen wird, wird sich dann auch dementsprechend darauf einrichten.
Zagatta: Alexander Markus, der Leiter der Deutschen Auslandshandelskammer in Kiew. Herr Markus, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Markus: Vielen Dank, auf Wiederhören!
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