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Ukraine
"Die Krim wird zum Truppenstützpunkt für Russland ausgebaut"

Die Krim-Krise beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen. Für die Hörer des Deutschlandfunks hat Florian Kellermann die dramatischen Tage miterlebt. Bevor er bald wieder in die Region aufbricht, war er zu einem Redaktionsbesuch in Köln. Wir haben die Gelegenheit genutzt und ihn um eine Einschätzung der Lage gebeten.

Florian Kellermann im Gespräch mit Tanja Köhler | 02.04.2014
    Der Deutschlandfunk-Korrespondent Florian Kellermann
    Der Deutschlandfunk-Korrespondent Florian Kellermann (Deutschlandfunk / Köhler)
    Tanja Köhler: Wie stellt sich für Sie die derzeitige Lage auf der Krim dar?
    Florian Kellermann: Die Ukraine hat jeden Einfluss auf die Krim verloren. Die letzten Soldaten sind abgezogen und Russland baut jetzt mit hohem Tempo eine Verwaltungsstruktur auf. Das kostet zwar viel Geld, trotzdem hat das absolute Priorität für den Kreml. Russland versucht seine Versprechungen wahr zu machen, dass die Krim zu einer blühenden Landschaft wird und versucht, Investoren anzulocken aus Russland, denn jemand anders wird im Moment kaum da hingehen. Ansonsten wird die Krim natürlich massiv zu einem Truppenstützpunkt für Russland ausgebaut.
    Die Ukraine wiederum hat sich in eine Art Warteposition zurückgezogen. Die meisten Länder erkennen die Annektierung der Krim durch Russland zwar nicht an, aber es ist noch nicht ganz klar, wie die Ukraine sich dazu verhalten wird. Flugverbindungen zum Beispiel wird es ganz sicher keine geben, außer über Moskau. Aber der Eisenbahnverkehr zum Beispiel wird zumindest aufrecht erhalten, Warenverkehr wird zugelassen. Das ist für die Krim sehr wichtig, denn sie hat im Moment noch keine Landverbindung zu Russland. Und mit Fähren die Waren vom Festland heranzubringen, ist natürlich aufwendig. Insofern sind die Russen natürlich auch daran interessiert, dass zumindest der Warenaustausch mit der Ukraine stattfindet, zumal ja ohnehin die Krim hauptsächlich Waren über die Ukraine bezogen hat, aus naheliegenden Gründen, weil es die Landverbindung gibt und ukrainische Produkte auch in vielen Bereichen einfach günstiger sind als russische Produkte.
    Köhler: Wie ist denn derzeit die Stimmung in der Bevölkerung?
    Kellermann: Die Russen haben ja großspurig angekündigt, allen wird es besser gehen. Bei den Soldaten und den Beamten wird das auch sicherlich zutreffen. Die sollen ja gleich viermal so viel Geld bekommen wie bisher. Und die Rentner sollen immerhin ungefähr das doppelte bekommen. Allerdings sind die ersten Renten auf der alten Höhe ausgezahlt worden und auch noch in Rubel, obwohl man mit dem Rubel noch gar nicht bezahlen konnte. Der ist ja fast noch nirgends akzeptiert worden. Insofern mussten die Leute dann diesen Rubel umtauschen in ukrainische Hrywnja und sind da beim Wechselkurs natürlich so ein bisschen übers Ohr gehauen worden, so dass noch weniger herauskam, als sie bisher hatten von der Ukraine bekamen. Das hat bei manchem schon erst mal so einen kleinen Schock erzeugt hat.
    Aber gut, es gibt das Versprechen, die Renten werden jetzt schrittweise angehoben. Gleichzeitig werden allerdings auch die Preise steigen. Die sind auch schon gestiegen, denn die Händler passen sich sofort an. Wie sich die Stimmung vor diesem Hintergrund entwickeln wird, ist natürlich schwer zu sagen. Die enthusiastischen Russland-Befürworter, die sagen, Russland ist die Heimat und wir kommen zurück nach Hause, haben schätzungsweise 20 Prozent ausgemacht. Das ist sicherlich keine Mehrheit. Viele haben gesagt, in der Ukraine war es nicht besonders gut, die Oligarchen haben sich das Land gekrallt an der Küste, die Ukraine hat sich wirtschaftlich nicht besonders gut entwickelt, vielleicht wird es ja besser in Russland, also sind wir doch schon mal dafür. Das ist vielleicht der größere Teil, die das doch als Möglichkeit betrachten, besser zu leben als bisher, weil Russland das reichere Land ist. Und wie sich bei denen die Stimmung entwickelt, das ist nicht so leicht vorherzusagen.
    Köhler: Viele Hörer fragen uns, wird es Krieg geben? Wie sehen Sie das?
    Kellermann: Krieg würde es geben, wenn sich Russland entschließen sollte, in das ukrainische Festland einzudringen. Dann wird die Ukraine wohl nicht mehr tatenlos zusehen, zumal sie sich ja mittlerweile auch militärisch sortiert hat. Das heißt, es hat eine Teilmobilmachung gegeben und die Armee ist in Gefechtsbereitschaft. Es würde wohl nicht mehr ohne Schüsse ausgehen, wenn sich Russland entschließen sollte, auch hier die Grenze zu übertreten. Ich glaube allerdings nicht, dass sich Russland im Moment traut, dort einzumarschieren, wenn man mal den harten Begriff verwenden will. Ich denke, dass Russland abwartet, wie sich da die Stimmung entwickelt und versuchen wird, erst mal da so eine Bewegung in Gang zu setzen, dass der Eindruck entsteht, die Leute fordern diesen Anschluss an Russland, oder zumindest ein russisches Protektorat, und dann erst sich entschließen wird. Das müsste sich erst mal hochschaukeln, bevor es zu so was kommen könnte. Im nächsten Viertel- oder halben Jahr sehe ich das nicht.
    Köhler: Wie schwierig ist es für Sie, vor Ort journalistisch zu arbeiten?
    Kellermann: Die Stimmung war zeitweise sehr aufgeputscht auf der Krim, weil die Leute dort Angst hatten – und diese Angst ist von den Medien geschürt worden –, dass die Nationalisten aus der Ukraine kommen und das irgendwie aufmischen und auch die Lenin-Statuen stürzen. Insofern sind da die russischen Soldaten von vielen als Beschützer wahrgenommen worden. Als die Stimmung so richtig nervös war, war es auch nicht so leicht, Interviews zu führen, weil es auch eine Hetzkampagne gegen westliche Medien gab, von wegen, dass wir die Wahrheit grundsätzlich verdrehen, wir seien Unterstützer einer NATO-Doktrin, die nur darauf ausgelegt sei, Russland zu schmälern. Es ging bis zur Aussage, dass es einen Plan gebe, die russische Nation auszurotten. Ich schau nicht den ganzen Tag russisches Fernsehen, aber es scheint dort eine ganz üble Stimmung erzeugt worden zu sein, die schon an Kriegspropaganda erinnert. Und es war natürlich teilweise auch unangenehm, weil man mit den Leuten nicht sprechen konnte. Bei den Jüngeren war es anders, die waren zugänglicher und mit denen war es auch möglich, zu kommunizieren. Dann gab es das Problem mit den Milizionären, die sich ein bisschen unberechenbar verhalten haben. An diesem Übergang z.B. zwischen der Krim und dem ukrainischen Festland, wo sie sich mit Panzerwagen verschanzt hatten, da ist mir die Speicherkarte meines Aufnahmegerätes und meines Fotoapparates weggenommen worden. Ich bin aber nicht körperlich bedroht worden.

    Die Proteste in der Ukraine
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