Schon wenige Stunden nach Beginn des russischen Angriffskrieges rufen Fans von Dynamo Kiew in sozialen Medien zum internationalen Widerstand auf:
„Wir sind bereit zu kämpfen. Wir töten alle Besatzer, die in unser Land kommen. Es ist ein Aufruf an alle Menschen mit Ehre: Gehen Sie zur russischen Botschaft und protestieren Sie. Gehen Sie zu Ihrer Regierung und befehlen Sie ihr, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Die Ukraine ist ein Schutzschild für Europa. Gemeinsam sind wir eine Macht.“
Ultras mit Kampferfahrung aus den vergangenen Jahren
Auch Ultras und Hooligans anderer ukrainischer Klubs verbreiten Botschaften im Netz. Sie werben dafür, sich als freiwillige Kämpfer dem ukrainischen Militär anzuschließen. Auf ihren Fotos posieren sie häufig in Uniformen, mit Waffen und Vereinsutensilien. „Es werden zum Beispiel Bilder von Soldaten veröffentlicht, nationale Symbole“, sagt der Journalist Thomas Dudek, der sich mit Fußball und Politik in Osteuropa beschäftigt.
„Im Grund genommen spiegelt sich in dieser Ultraszene eine Mobilisierung, die in der ganzen ukrainischen Bevölkerung zu beobachten ist. Auch bei vielen Exilukrainern. Der einzige Unterschied ist, dass die Ultras schon Kampferfahrung aus den vergangenen Jahren haben.“
Schon 2013 beteiligen sich Ultras während der Euromaidan-Bewegung an den Protesten gegen die damals noch prorussische Regierung in Kiew. Bald darauf rufen Separatisten in den ostukrainischen Städten Donezk und Lugansk so genannte „Volksrepubliken“ aus. Die großen Fußballklubs jener Region gehen ins Exil. Etliche ihrer Fans schließen sich der Armee an und kämpfen gegen prorussische Separatisten.
Viele andere verlassen ihre Heimat Richtung Westen, erinnert Thomas Dudek: „Viele Ultras der Vereine, die damals nicht rechtzeitig geflohen sind, sind ja auch im Gefängnis gelandet - oder wurden erst später von Separatisten freigelassen. Dieser Patriotismus war auch ein Teil der Identifikation: Mein Verein gehört zur Ukraine, und deswegen unterstütze ich auch den Verein.“
Neonazis mobilisieren für den Kampf
Dutzende ukrainische Ultras und Hooligans kämpfen seit 2014 für das Asow-Regiment, eines der paramilitärischen Freiwilligen-Bataillone. Der ultranationalistische Verbund hält Verbindungen zu rechtsextremen Bewegungen in Europa, in Deutschland zur Kleinpartei „Der III. Weg“ und zu den „Identitären“.
In einschlägigen Foren mobilisieren nun auch deutsche Neonazis gegen den „Bolschewisten“ Putin, der von muslimischen Kämpfern aus Tschetschenien unterstützt werde. Zudem kursieren Empfehlungen, wie freiwillige Kämpfer aus Westeuropa über Polen in die westukrainische Stadt Lwiw gelangen können, und von dort über Kiew an die Front.
„Es gibt Spendenaufrufe. Und da ist natürlich die Gefahr, dass da sehr viele Leute angezogen werden aus dem Westen, die da irgendwie ein Gedankengut haben, dass auch der demokratischen Ukraine widerspricht“, sagt der Journalist Thomas Dudek. „Schon durch den Krieg in der Ostukraine im Donbass haben wir eine Generation, die kampferprobt ist, waffenerprobt ist, aber auch teilweise traumatisiert. Nun haben wir die Gefahr, dass eben noch mehr Leute kampferprobt sind.“
Wesentlich mehr europäische Fußballfans engagieren sich auf andere Weise. Gruppen in Deutschland, Polen oder Kroatien sammeln Geld und Sachspenden für die Ukraine. Ultras organisieren den Transport von Geflüchteten und vermitteln Unterkünfte. Schon seit Jahren zeigen einige von ihnen in Stadien Banner gegen Putin. Doch es gibt Ausnahmen: In Serbien halten die Ultras der großen Klubs Freundschaften nach Moskau: Roter Stern Belgrad mit Spartak Moskau, Partizan Belgrad mit ZSKA.
Vor kurzem beim Derby der Belgrader Vereine waren auch Fans aus Moskau anwesend, berichtet der Politikwissenschaftler Alexander Mennicke, der sich mit Fankulturen auf dem Balkan beschäftigt: „Es gab auch Rufe: ,Serbien – Russland: Brüder für immer‘. Aber man muss aufpassen, dass man da nicht zu viel reininterpretiert. Diese Rufe gibt es eigentlich bei jedem Derby, wo die befreundeten Gruppen anwesend sind. Man kann jetzt nicht sagen, dass irgendwelche serbischen Fangruppen, und auch selbst die russischen Fangruppen Kriegsbegeisterung darstellen wollen. Aber natürlich rückt man in solchen ,brüderlichen‘ Bündnissen auch einfach zusammen. Weil man eben die eigene Nation oder die eigene Nationalität in Gefahr sieht oder von außen angegriffen sieht.“
Russische Fans halten sich zurück
Anders als der FC Schalke 04 hat sich Roter Stern Belgrad noch nicht klar von seinem Trikotsponsor Gazprom distanziert. Über Jahre pflegte auch der serbische Präsident Aleksandar Vučić Beziehungen zum Kreml. Das gilt auch für Milorad Dodik, den serbischen Vertreter im Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina. Laut Recherchen des Mediennetzwerks Birn haben serbische Hooligans an russischer Seite in der Ostukraine gekämpft. Welche Allianzen werden nun entstehen?
In Russland selbst scheinen sich Ultras mit Botschaften zurückzuhalten. Der Forscher Alexander Mennicke ist auf ein Graffiti von Fans von Zenit St. Petersburg gestoßen. Die Botschaft: „Stoppt die Kriege unter Brüdern.“ Mennicke sagt: „Natürlich, würde ich sagen, scheuen die Gruppen auch den Konflikt und positionieren sich vielleicht nicht nach außen. Letztendlich, wenn man sieht, wie relativ klein die Demonstrationen auch in Russland sind und wie stark diese auch unterdrückt werden, dann trifft das natürlich auch auf die Fangruppen zu.“
Alexander Mennicke dokumentiert auf Twitter die Symbolik der Fans. Zum Beispiel ein Foto, dass offenbar Hooligans von Dinamo Minsk in der Nähe von Kiew zeigt. Damit würden diese sich gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko stellen, einen engen Partner Putins. Über diese Kampfmotive hinaus senden Fans aber auch andere Botschaften. Es geht um Kriegsopfer, Trauer und die Erinnerung an gefallene Freunde.