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Ukraine
"Keine Möglichkeit für politische Lösung"

Der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison warnt Deutschland vor "falscher Hellsichtigkeit" in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine. Man könne nicht wissen, ob Waffen zu einer Eskalation im Konflikt führen würden, sagte er im DLF. Zumindest würden sie Putin signalisieren, dass weitere Vorstöße nicht akzeptiert würden.

Andrew Denison im Gespräch mit Christine Heuer | 09.02.2015
    Andrew B. Denison, Publizist und Politologe aus den USA, aufgenommen am 08.05.2014 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner"
    Andrew B. Denison ist Direktor der Denkfabrik "Transatlantic Networks" (dpa / Karlheinz Schindler)
    Solange Putin und die Separatisten glaubten, dass einem weiteren militärischen Vorgehen in der Region nichts im Weg stünde, sieht Denison keine Möglichkeit für eine politische Lösung. Dennoch hält er ein direktes militärische Eingreifen auch nicht für den richtigen Weg. Die Waffen sollten lediglich zur Abschreckung dienen. "Es gibt nur eine politische Lösung, aber die politische Lösung muss militärischen Realitäten auf dem Boden entsprechen", sagte Denison.
    Er kritisierte Deutschlands Überzeugung, die Krise ausschließlich diplomatisch lösen zu können: "Die USA haben den Kalten Krieg gewonnen und Deutschland hat die Beute bekommen - ich finde es albern, dass die Deutschen nun sagen, die Waffen der Amerikaner dürfen uns verteidigen, die Ukrainer aber nicht."
    Er hält die Lage nicht mit der vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 für vergleichbar. "Wir schlafwandeln nicht in den Krieg." Es sei wie 1939, und solange Putin es schaffe, dem Westen Konzessionen abzuringen, so dass er Teile der Ukraine bekommen könne, werde er das tun.
    Denison ist nicht optimistisch, dass das Spitzentreffen in Minsk am Mittwoch eine Lösung bringen wird. "Ich fürchte, die Positionen des Westens und von Russland sind zu weit auseinander."

    Das Interview mit Andrew Denison in voller Länge:
    Christine Heuer: Europa setzt in der Ukraine-Krise weiter auf Diplomatie. Militärisch - davon ist die deutsche Kanzlerin überzeugt - ist die Krise nicht zu lösen. In den USA fordern zunächst vor allem die Republikaner dagegen Waffenlieferungen an Kiew. Sie glauben, Moskau mit diesem Schritt abschrecken zu können. Wie die US-Regierung sich in der Frage entscheidet, wissen wir noch nicht. Das Treffen Merkels mit Obama findet heute Nachmittag deutscher Zeit statt.
    Am Telefon ist Andrew Denison. Er ist ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler, der seit den 1980er-Jahren in Deutschland lebt. Er ist Direktor von Transatlantic Networks, einem Think Tank mit Sitz in Königswinter bei Bonn. In der Nähe dort erreichen wir ihn. Guten Tag, Herr Denison.
    Andrew Denison: Schönen guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Waffen für die Ukraine, Herr Denison, ja oder nein?
    Denison: Ja. Ich frage mich, warum plötzlich Putin gesagt hat, Merkel und Hollande, kommt mich bitte besuchen. Ich denke, das war auch der Druck dieser Bedrohung, Waffen hinzuschicken. Ich sage, ja!
    Heuer: Sie glauben, dass Putin überhaupt spricht mit den Europäern, mit Merkel und Hollande, das ist schon die Reaktion auf diese Überlegungen in den USA?
    Denison: Ja.
    Heuer: Dann müssen wir tatsächlich sehr schnell aktiv werden.
    Denison: Ich meine, wir haben jetzt einiges gehört. Auch Herr Merz sagt ja, Einigung ist notwendig zwischen Europa und Amerika, und Russland wird alles tun, Amerika und Europa auseinanderzutreiben. Das stimmt! Aber nicht Einigung um jeden Preis. Wenn wir uns einigen, dass die Krim den Russen gehören sollte in der Zukunft, oder dass diese Milizen und marodierenden Banden weiterhin in der Donbass-Region herrschen sollen, dann ist diese Einigung im Westen, denke ich, eine ziemlich beschämende Einigung. Die Frage der militärischen Lösung, Frau Heuer, ich könnte auch dazu was sagen.
    "Politische Lösung muss den militärischen Realitäten auf dem Boden entsprechen"
    Heuer: Ja, in der Tat! Danach wollte ich Sie - Überraschung, Herr Denison - fragen. Angela Merkel sagt ja, dieser Konflikt ist militärisch nicht zu lösen. Hat sie denn wirklich unrecht?
    Denison: Ja, sie hat recht. Dieser Konflikt ist militärisch nicht zu lösen. Und der, der behauptet, der sei militärisch zu lösen, ist am falschen Ort, denn dieser Konflikt ist nur politisch zu lösen. Genau wie der gute Carl Clausewitz und sagt: Krieg ist Politik mit anderen Mitteln!
    Heuer: Und dann muss man doch alles tun, miteinander zu reden!
    Denison: Es gibt nur eine politische Lösung. Aber militärische Verhältnisse können dieser politischen Lösung im Wege stehen. Oder anders gesagt: Eine politische Lösung muss den militärischen Realitäten auf dem Boden entsprechen, wer hat Machtmonopol wo. Und hier sehe ich für eine politische Lösung keine Möglichkeit, solange die Separatisten und der Herr Putin der Meinung sind, nichts steht im Wege von weiteren militärischen Vorstößen.
    Heuer: Nun gibt es Experten, Militärexperten, die sagen, die militärischen Realitäten sehen so aus, dass Moskau diesen Krieg, wenn es denn dazu käme, binnen 24 Stunden oder 48 für sich entscheiden würde.
    Denison: So ist es.
    Heuer: Und dann?
    Denison: So ist es! Aber wo sind wir, wenn wir sagen, da Russland militärische Überlegenheit dort hat, darf Russland das Sagen haben? Dann können wir genauso gut sagen, ja, Putin meint, Kiew ist die Mutter aller russischer Städte, und er hat Barroso gesagt, in zwei Wochen kann er da sein, dann können wir dort auch sagen, die Russen können immer weiter gehen. Aber wo liegen wir dann? Ich finde es ein bisschen albern - Amerika hat den Kalten Krieg gewonnen und Deutschland hat die Beute bekommen, die Wiedervereinigung, in der NATO -, dass Deutschland jetzt sagt, Soldaten und Waffen der Amerikaner dürfen zwar uns verteidigen, aber nicht die Ukraine.
    Heuer: Aber, Herr Denison, wo stehen wir denn, wenn der Westen Waffen liefert und die Russen gewinnen das trotzdem, beziehungsweise behalten die Oberhand? Dann haben wir einen Krieg in Europa. Wer will denn das?
    Denison: Wir haben schon einen Krieg in Europa. Die Frage ist aber: Die Leute sagen, oh, das ist wie Öl ins Feuer zu gießen. Aber wir wissen nicht, ob mehr Waffen zur Eskalation führen oder zur Deeskalation. Was wir gesehen haben: Ohne westliche Unterstützung für die Ukraine, ohne NATO-Mitgliedschaft, um Putin nicht zu provozieren, ist die Ukraine angegriffen worden. Und ich kann genauso gut sagen, das Modell ist nicht 1914, dass wir schlafwandeln in den Krieg, sondern es ist '39, und solange Putin es schafft, Konzessionen aus dem Westen, sodass er Teile von der Ukraine bekommen kann, zu erringen, dann wird er das tun.
    "Es ist erst mal ein Signal"
    Heuer: Wir wissen nicht, wo wir ohne diese Waffen stehen. Das heißt aber auch, wenn wir mit Waffen da reingehen, dass dieser Krieg, den es in der Tat gibt, der aber immerhin nur in der Ukraine im Moment stattfindet, vielleicht ganz Europa infiziert. Ist das Risiko nicht viel zu groß, Herr Denison?
    Denison: Das ist ein riesiges Risiko und deshalb ist diese Krise so schwer. Nur keiner kann mir sagen, wenn ich da Waffen nicht reinschicke, dass Putin nicht weiter Richtung Kiew gehen wird und dass am Ende wir vor einer größeren Gefahr stehen: Ein Putin, der sich viel tiefer reingesetzt hat und viel schwieriger wieder rausgehen kann. Man kann nicht wissen, ob mehr Waffen zu Frieden führen oder zur Eskalation. Man kann nicht wissen, ob weniger westliche Waffen wirklich zu Frieden führen. Deshalb warne ich vor falscher Hellsehigkeit.
    Heuer: Man kann es nicht vorhersehen. Nun sprechen die Europäer natürlich über das immense Risiko, das das für sie bedeutet. Ich sage es mal so: Für die USA sind Europa und die Ukraine sehr weit entfernt.
    Denison: Ja. Aber schauen Sie: Deutschland hat eine andere Position als Polen oder die baltischen Staaten. Die wünschen nichts mehr als amerikanische Soldaten vor Ort. Wenn diese amerikanischen Soldaten die nicht verteidigen können, wenigstens ist das ein Zeichen der amerikanischen Macht, und so ist letztendlich die Diskussion um die Waffenlieferungen. Es ist erst mal ein Signal, dass wir vielleicht nicht bereit sind hinzunehmen, dass Russland weiter militärisch vorstößt, trotz jenem deutsch-französischen Waffenstillstand, der seit letztem Februar verhandelt worden ist. Und ich muss Ihnen auch sagen: Wenn Amerikaner sich einigen, Republikaner und Demokraten, und beide Seiten sagen, wir sollen Waffen liefern, selbst der Präsident, der nicht gern das macht, ist dann in einer schwierigen Lage, denn selten einigen sich Demokraten und Republikaner in Amerika.
    Heuer: Und Sie glauben, das wird in diesem Fall so sein und Obama muss dann, ob er möchte oder nicht, sagen, ja okay, wir liefern Waffen?
    Denison: Wenn wir einen Hasen aus dem Zauberhut ziehen und Übereinstimmung bekommen, dass der Minsker Waffenstillstand vom September eingehalten werden soll, einschließlich Punkt zehn, alle illegalen Waffen, Formationen und Milizen und Söldner sollen rausgezogen werden, wenn das wirklich kommt, ja, dann können wir sagen, wir haben die Kurve geschafft. Aber ich fürchte, die politischen Position von den Russen und vom Westen sind zu weit auseinander, um jetzt hier Übereinstimmung über Minsk zu bekommen, und dann stehen wir vor der Frage, schauen wir zu, während Russland weiter vormarschiert, oder fangen wir an, die Ukraine militärisch zu unterstützen.
    Heuer: Herr Denison, wie ernst meinen die USA, wie ernst meint es möglicherweise die US-Regierung, wenn sie über Waffenlieferungen an Kiew denn überhaupt nachdenkt? Wird es tatsächlich dazu kommen, oder erleben wir hier ein bisschen eine aufgeteilte Strategie, der gute Polizist und der schlechte Polizist, und hoffen, Putin fällt darauf herein?
    Denison: Never say never! Wir werden nie alle an den Tisch nehmen können und versprechen, keine Waffen zu schicken. Die normative Kraft des Faktischen. Wenn weiter militärische Vorstöße kommen, Mariupol genommen wird, ein Landstreifen auf der Krim, wenn diese Idee von Novorussia auch Odessa bis hin zu Moldawien mit sich nimmt, dann wird der politische Druck, militärisch was dagegen zu tun, groß, weil die Alternative ist, dass Putin mit militärischer Macht sich nehmen kann, was er will.
    "Wir müssen zusammenhalten"
    Heuer: Sie glauben, am Ende wird das demokratische Amerika, wird die US-Regierung, wenn nicht jetzt ein Wunder passiert, ein diplomatisches, möglicherweise mitziehen mit den Republikanern?
    Denison: Ja. Ich meine, wir haben da nuklear bewaffnete Großmächte und wir gehen zurück an den Kalten Krieg, und das ist Eindämmung und Abschreckung. Aber wir dürfen nicht vergessen: Im Kalten Krieg haben wir Afghanistan bewaffnet und das hat die Russen da rausgetrieben und das hat auch dazu beigetragen, dass das Sowjetimperium zusammengebrochen ist. Nun sind wir wieder da wie am Anfang: Amerika hat den Kalten Krieg gewonnen und die Deutschen haben die Beute bekommen. Jetzt wollen die Deutsche, viele, dass Amerika sich in der Ukraine nicht beteiligt, weil das vielleicht Europa gefährdet, obwohl die Polen anderer Meinung sind. Aber gut, so sind wir.
    Heuer: Herr Denison, ganz kurz zum Schluss. Wenn Merkel und Obama heute miteinander reden, erleben wir da schon schwierigere Zeiten als vielleicht noch vor einem Jahr oder vor einem halben Jahr zwischen den Deutschen und den Amerikanern?
    Denison: Für mich war diese Geschichte mit NSA ein Luxus, den wir hatten, weil wir nicht ernst genommen haben die Bedrohungen, die am Horizont waren. Jetzt ist die Lage ernster und Ängste sind relativ, Bedrohungen sind relativ. Die Beziehungen werden schwierig sein, aber wir müssen zusammenhalten. Ich glaube, Merkel auf jeden Fall sieht das und ihr Volk ist noch nicht hinter ihr. Und wenn sie die Rolle spielt, der Diplomatie eine letzte Chance zu geben, das sollte ihre Rolle sein. Sie darf nicht führend sein beim "kommt, gehen wir mit Waffen". Aber irgendwann muss sie auch ihrem Volk wahrscheinlich sagen, vielleicht haben wir keine andere Wahl.
    Heuer: Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison. Danke fürs Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.