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Ukraine-Konflikt
Der russische Kampf um die Informationshoheit

"Putin ist ein Propaganda-Genie", stellt eine Ukrainerin fest, die nach Russland geflohen ist - und den gegenwärtigen Informationskampf selbst miterlebt. Ein Kampf, der ganz deutlich auf die NATO, die USA und Westeuropa zielt. Und der, laut Russland-Experten, immer noch zu sehr unterschätzt wird.

Von Sabine Adler | 17.07.2014
    Vladimir Putin im Fernsehen
    Putin auf allen Kanälen: Auch viele Ukrainer schauen russisches Fernsehen, weil sie kein ukrainisch verstehen. (dpa / picture alliance / Maxim Blinov)
    Elena Scherebtschenko, die aus Donezk geflohen ist, hält es für einen großen Fehler, dass das ukrainische Fernsehen nicht auf Russisch sendet. Damit würden selbst Menschen, die nicht aufseiten der prorussischen Milizen stehen, die Moskauer Kanäle sehen, denn sie verstehen sie einfach besser:
    "Im Donbass sprechen die Leute Russisch, aber die Ukraine hat die russischsprachigen Sendungen eingestellt. Somit kann man die ukrainischen Programme nur auf Ukrainisch sehen oder aber man schaltet zu den russischen. Und Putin ist ein Propaganda-Genie."
    Jolanta Darczewska hat am Zentrum für Ost-Studien in Warschau Russlands Informationskriege untersucht. Eine Kampagne wie gegen die Ukraine wird keineswegs zum ersten Mal geführt. Bis ins Jahr 1942 reicht die Tradition der Spezialpropaganda, die am Militärinstitut für Fremdsprachen unterrichtet wurde, 1990 vom Lehrplan verschwand, aber im Jahr 2000 wieder eingeführt wurde.
    Polen und andere EU- beziehungsweise NATO-Beitrittsstaaten hätten einen Propagandakrieg erlebt, wenngleich weniger sichtbar. Russlands gegenwärtiger Informationskampf wird trotzdem immer noch unterschätzt, findet die polnische Russland-Expertin.
    "Informationsfeldzug wird auf Russisch geführt"
    Jolanta Darczewska verweist auf die im Jahr 2000 neu formulierte russische Informationsdoktrin, die definiert, wen Russland als Gegner betrachtet, Putin war gerade Präsident geworden.
    "Am Anfang war das vor allem ein innerer Feind. Die Techniken des Informationskrieges sollten erst einmal im Inland, auf eigenem Versuchsgelände ausprobiert werden. Verbreitet wird eine konservative Ideologie, eine ideologische Untermauerung dieser Kriege, die jetzt ganz deutlich auf einen Außenfeind zielt: Die NATO, die USA und ganz Westeuropa."
    Gegenübergestellt werden das atlantische, also westliche Projekt und ein russisches, eurasisches, das einhergeht mit der Ethnisierung der Politik. Die Interessenvertretung aller Russen auch außerhalb der Russischen Föderation. In Deutschland oder der EU hat man von diesem Informationsfeldzug wenig mitbekommen, denn er wird hauptsächlich auf Russisch geführt.
    "Der Informationskampf zielt hauptsächlich auf den russischsprachigen Informationsraum, Russisch ist der Hauptkanal der Propagandaübertragung. Er ist Teil eines größeren Krieges, der außerdem auf ökonomischem und diplomatischem Gebiet geführt wird. Man wirkt auf unterschiedliche Gesellschaften mit speziellen Medien ein: auf Englisch über 'Russia today', für Polen mit 'Glos Rosji' über Soziale Medien und Bloggerschulen."
    Erfolg der russischen Propaganda: Gespür für die Gesellschaft
    Die heimischen Moskauer Sender erreichen Russen und Ostukrainer gleichermaßen. Anastasija Roschkowa, eine junge proukrainische Aktivistin aus der schwer umkämpften Stadt Lugansk, berichtet, was die russische Propaganda unter den Bewohnern auslöst:
    "Ministerpräsident Jazeniuk soll im Fernsehen gesagt haben, dass alle Ukrainer im Donbass Menschen dritter Sorte sind. Weil sie die Leute in Kiew hassen. Deshalb müsse man sie in Konzentrationslager einsperren. Dann wurde berichtet, dass angeblich die Nationalgarde die Männer eines ganzen Dorfes ermordet haben soll. Man sieht unseren Leuten auf der Straße an, wie ängstlich sie sind."
    Den Erfolg der russischen Propaganda begründet Jolanta Darczweska vor allem damit, dass sie ein genaues Gespür für Differenzen in einer Gesellschaft hat. Gibt es große Unterschiede bei der Toleranz von Homosexualität, ist das Fracking umstritten, das Russlands Gasgeschäften schaden kann, wenn es sich in Europa ausweitet, oder kritisiert man wie in der Ostukraine die neue Regierung in Kiew. Derartige Differenzen würden ausgenutzt, der russische Einfluss ausgeweitet.