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Ukraine-Konflikt
"Die ausländischen Bewaffneten müssen die Region verlassen"

Die Durchsetzung der in Minsk vereinbarten Waffenruhe hänge davon ab, ob die Separatisten sich an den Kompromiss halten, sagte Hans-Henning Schröder, Herausgeber der "Russland-Analysen", im DLF. Dabei wiederum komme es stark auf die Durchsetzungskraft des russischen Präsidenten an.

13.02.2015
    Der Osteuropa-Experte Hans-Henning Schröder.
    Der Osteuropa-Experte Hans-Henning Schröder. (picture alliance / dpa - Arno Burgi)
    Die russischen Zeitungen von heute hätten den Kompromiss durchgehend positiv bewertet, sagte Schröder. Die Separatisten hätten die Vereinbarung zunächst nicht unterzeichnen wollen. Es liege nun am russischen Präsidenten Wladimir Putin, weiter auf sie einzuwirken. Die Separatisten könnten nur mit Treibstoff, Munition und Personalzufuhr aus Russland "überleben".
    Jetzt sei wichtig, dass wie vereinbart schwere Waffen aus der Ostukraine zurückgezogen werden und Söldner und Militärs das Gebiet unter Überwachung der OSZE verlassen. Eine weitere entscheidende Frage sei zudem, ob sich Putin gegen die Hardliner im Kreml durchsetzen können werde. Sollte das Abkommen, zu dem ein robustes Mandat der OSZE gehört, nicht umgesetzt werden, werde "weiter eskaliert". Dazu könnten dann auch Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine gehören.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview:
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Schröder!
    Hans-Henning Schröder: Guten Tag, früher von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Breker: Und heute?
    Schröder: Heute Herausgeber der Russland-Analysen.
    Breker: Gut. Herr Schröder, Putin hat das Gefühl, er habe sich durchgesetzt. Ist das eine Bewertung, die Sie auch sehen würden für Minsk II?
    Schröder: Er hat zumindest am Morgen danach gesagt, es sei ein guter Morgen nach einer nicht so guten Nacht. Wenn Sie die russischen Zeitungen von heute anschauen, wird das insgesamt als ein positives Ereignis auch positiv bewertet, selbst in solchen Revolverblättern wie der "Komsomolskaja Prawda". Das Problem ist ein bisschen, dass Putin ja jetzt im Wort ist, das heißt, er hat mit den beiden Präsidenten und der Kanzlerin einen Kompromiss ausgehandelt, die Separatisten haben sich dann zunächst geweigert, ihn zu unterzeichnen – da zeigte sich schon, wie kann er sich überhaupt durchsetzen –, und jetzt steht er davor: Er muss sozusagen liefern, er muss dafür sorgen, dass die Separatisten dies Abkommen einhalten – und er wird erhebliche Schwierigkeiten dabei haben.
    Breker: Stellt sich andererseits die Frage, Herr Schröder, welche Strategie denn der Westen nun anwenden sollte.
    Schröder: Nun, ich meine, das haben Sie ja gestern schon gesehen: Die EU hat die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern hat irgendwie sozusagen noch mal draufgelegt und hat auch gezeigt, dass sie weiter gehen kann. Aus den USA ist zunächst mal verhaltene Reserve gekommen, aber die Option, dann auch militärisch zu eskalieren, ist natürlich drin, zunächst mal mit Waffenlieferungen. Dies hängt jetzt wirklich davon ab: Wird das Abkommen erfüllt? Dazu gehört natürlich auch, wie Frau Adler schon richtig sagte, ein robustes Mandat der OSZE. Und zum Zweiten: Wirkt irgendwie Russland auf die Separatisten so ein, dass sie sich daran halten? Wenn sie das nicht tun, dann wird mit Sanktionen und vielleicht auch mit Waffenlieferungen weiter eskaliert.
    "NATO ist nicht auf diese Sorte Krieg eingerichtet"
    Breker: Sie haben die USA angesprochen, Herr Schröder. Geht eine rein europäische Lösung, oder müssen die Europäer nicht von sich aus Amerika mit ins Boot holen, nicht nur in Sachen Sanktionen, sondern auch in Sachen Wiederaufbau der Ukraine?
    Schröder: Sagen wir mal, wenn es um den Wiederaufbau der Ukraine geht, eine Stabilisierung sozusagen der ukrainischen Gesellschaft und Wirtschaft, dann sind die USA über den Weltwährungsfonds ohnehin eingebunden, aber sie werden auch direkt, denke ich, aktiv werden. Und was insgesamt das Abkommen angeht: Die USA sind sozusagen der stumme Gast am Tisch. Sie sind die Einzigen, die nuklear Russland gewachsen sind, und sie sind auch die Einzigen, die über die Militärmacht verfügen, auch im konventionellen Bereich sozusagen, um gegenhalten zu können, weil die NATO selber ist in der gegenwärtigen Form nicht auf diese Sorte Krieg eingerichtet.
    Breker: Wir stehen nach Minsk II, Herr Schröder, am Anfang, aber muss nicht irgendwann und möglichst bald sogar deutlich werden, dass es so was wie eine Friedensdividende gibt, dass es sich für den Menschen lohnt, Frieden zu haben?
    Schröder: Da haben Sie völlig recht. Das ist natürlich in dem Papier auch vorgesehen. Wenn Sie daran denken, Normalisierung der Verhältnisse, Geldverkehr wieder eingerichtet, Infrastruktur aufrichten, all das steht ja drin. Nur: Dazu müssen erst die Waffen schweigen und dazu müssen die schweren Waffen zurückgezogen werden, also die Demarkationslinie muss festgelegt werden, die schweren Waffen müssen zurückgezogen werden. Und dann ein ganz wichtiger Punkt, und das steht auch in dem Papier drin: Die ausländischen Bewaffneten, also die Söldner und was auch immer da ist, müssen sozusagen die Region verlassen. Auch das ist etwas, was die OSZE überprüfen muss. Und wenn wir eine Situation haben, in der tatsächlich sozusagen die ganzen Paramilitärs, die Söldner, die Banden aus der Region abgezogen sind, dann ist es vielleicht tatsächlich möglich, irgendwie normale Verhältnisse wieder herzustellen. Nur das ist im Moment, in der jetzigen Situation noch nicht absehbar.
    Putin müsse sich an die Abmachung halten
    Breker: Interpretiere ich Sie richtig, Herr Schröder: Sie zweifeln daran, dass Minsk II hält?
    Schröder: Es wird dann halten, wenn Putin sich an die Abmachung hält, die er in Minsk vorgestern und in der Nacht getroffen hat. Er hat die Möglichkeiten, einzuwirken, weil Separatisten überleben nur mit Treibstoff, Munition, Personalzufuhr über die russische Grenze. Auch die Finanzierung und die normale humanitäre Versorgung erfolgt über die russische Grenze. Von daher hat er es im Prinzip in der Hand, auf die einzuwirken. Die Frage ist, ob sich Putin eigentlich gegen die Hardliner um ihn rum im Kreml durchsetzen kann.
    Breker: Es gibt ja Beobachter, Herr Schröder, die sagen, Putin sei darauf aus, einen erneuten eingefrorenen Konflikt, diesmal in der Ukraine, zu kreieren. Ist das eine Einschätzung, eine Vermutung, die Sie verstehen können, die Sie nachvollziehen können?
    Schröder: Also ich gehe davon aus: Das, was die russische Führung gern hätte, wäre, dass die Ukraine im Einflussbereich, in der Interessensphäre Russlands ist. Das wäre gut gelungen mit Janukowitsch. Nach dem Sturz von Janukowitsch ist das ausgeschlossen. Und jetzt hat man sich mit der Krim und der Ostukraine Möglichkeiten verschafft, auf Kiew einzuwirken. Und von daher wäre es eine Logik, dass man dort diesen Frozen Conflict, diesen eingefrorenen Konflikt erhält und ihn immer wieder benutzt, um die Kiewer Führung unter Druck zu setzen.
    Breker: Die Einschätzungen von Hans-Henning Schröder, dem Russland-Experten. Herr Schröder, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
    Schröder: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.