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Ukraine-Konflikt
"Hier auf der Krim ist es jetzt sehr gut"

In diesen Tagen jähren sich die Ereignisse auf der Krim, die zur Annexion durch Russland führten. Auch wenn die westliche Staatengemeinschaft die Halbinsel weiter als Teil der Ukraine wertet - die Bewohner, die geblieben sind, sehen das anders.

Von Gesine Dornblüth |
    Bewohner der Krim demonstrieren in Sewastopol gegen die Maidan-Bewegung.
    Bewohner der Krim demonstrieren in Sewastopol gegen die Maidan-Bewegung. (picture alliance / Ria Novosti / Vasily Batanov)
    Das Fährterminal am Hafen Kavkaz auf dem russischen Festland. Gerade hat die Fähre aus Kertsch auf der Krim angelegt. LKW rollen herunter aufs Land. Ein Güterzug. Eine Gruppe Fußgänger geht schnurstracks in die Schalterhalle, steuert einen Geldautomaten an. Und fährt dann mit der nächsten Fähre gleich wieder zurück auf die Krim.
    "Wegen Ihrer Sanktionen müssen wir unsere Rente hier abholen."
    "Amerika hat Sanktionen verhängt, deshalb bekommen wir mit unseren Kreditkarten auf der Krim kein Geld."
    Svetlana und Gennadij Frolov sind Rentner. Sie haben lange in Russlands Norden, in Murmansk, gearbeitet. Ihren Lebensabend verbringen sie in Kertsch, auf der Krim, dort pflegen sie ihre Mutter. Auf die Frage, was sich verändert habe, seit die Halbinsel zu Russland gehöre, denken sie nicht lange nach.
    "Es ist ruhiger geworden. Wir müssen jetzt keinen Rechten Sektor mehr fürchten. Und die Renten wurden erhöht, die Menschen leben besser."
    Die Meerenge von Kertsch: Russland versorgt die Krim über Fähren.
    Die Meerenge von Kertsch: Russland versorgt die Krim über Fähren. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Die Fähre legt ab. 20 Minuten dauert die Überfahrt. Der Landweg auf die Krim durch die Ukraine ist zu einem Problem geworden, deshalb versorgt Russland die Halbinsel zu einem großen Teil per Schiff. Im Sommer standen die Autos Tage lang vor dem Fähranleger Schlange. Im Winter geht die Abfertigung schneller, doch bei Sturm fällt die Fähre aus. Immer wieder kommt es deshalb zu Engpässen. Die Lebensmittelpreise auf der Krim sind um bis zu 50 Prozent gestiegen. Die Frolovs setzen sich an einen Tisch im Salon und trinken einen Tee. Ein Fernseher zeigt Nachrichten eines Staatskanals.
    "Wir waren auf der Krim früher nie im Krankenhaus, aber die Leute haben uns erzählt, wie es damals war, unter der Ukraine. Unser Opa hatte Krebs, schon das Gebäude war fürchterlich, und die Eisenbetten hatten nicht mal Matratzen, nur Sprungfedern. Laken, Kissen, Decken - alles musste man selbst mitbringen."
    "Zu Sowjetzeiten war die Stadt so schön"
    Gena Frolov stößt seine Frau an.
    "Sie wird sagen, dass das jetzt so ist."
    Dann guckt er herausfordernd.
    "Sie haben bei sich im Radio einen Chef, der hat Ihnen gesagt, was Sie senden sollen, und Sie arbeiten das ehrlich und fleißig ab. Das ist doch klar."
    Dann bieten die beiden an, mich mit in die Stadt zu nehmen. Sie haben ihr Auto am Hafen geparkt. Auf der Gegenfahrbahn stauen sich LKW, mehrere hundert Meter. Im Asphalt Schlaglöcher.
    "Die Straßen sind wirklich schlimm. Zu Sowjetzeiten war die Stadt so schön. Danach wurde alles kaputt gemacht."
    Das Schlechte lasten sie der Ukraine an und hoffen, dass Russland es besser macht. Im Zentrum von Kertsch steht Lenin auf seinem Sockel. Davor weht die russische Fahne.
    "Lenin wollten sie stürzen, die Typen vom Rechten Sektor aus der Westukraine, aber wir haben es ihnen gezeigt."
    "Die jungen Leute haben die schnell eingekreist, in den Bus gesetzt und gesagt: Haut ab und kommt nicht wieder."
    Neue Vorschriften seit Annexion
    An der Promenade von Kertsch füttern Eltern mit ihren Kindern Möwen. Es ist Feiertag, der letzte Sonntag vor der Fastenzeit. Überall sitzen Leute auf Bänken. Auf einer Grünfläche parkt ein Auto, zwei junge Männer und eine Frau stehen am geöffneten Kofferraum und picknicken: Weißbrot, Wurst, Wodka. Sie sind Bauarbeiter.
    "Bisher wird hier nichts Richtiges gebaut. Wir renovieren Einfamilienhäuser."
    Die Frau macht den Männern Zeichen. Sie sollten schweigen. Die beiden winken ab.
    "Es ist vielleicht ein bisschen schlechter geworden im letzten Jahr. Aber es ist immer noch besser, als in der Ukraine zu leben. Wenn ich ehrlich bin. Es ist besser, verglichen mit dem, wie das Leben jetzt in der Ukraine ist. In der alten Ukraine war es einfacher."
    Es galten weniger Vorschriften. Mit dem russischen Gesetz kamen Kfz-Steuern, ein Rauchverbot.
    "Die Rentner profitieren von der Lage. Meine Oma brauchte kürzlich einen Rollstuhl. Sie konnte ihn von ihrer russischen Rente bezahlen und hatte anschließend noch Geld übrig."
    "Das einzig Gute für alle ist, dass hier kein Krieg ist."
    Diesen Gedanken äußern viele Menschen auf der Krim. Sie vergleichen ihr Leben nicht mit dem, das sie vor einem Jahr geführt haben, sondern mit dem der Menschen in der Ostukraine heute, mit dem Krieg dort. Und sie sagen, dass Putin sie vor den Faschisten gerettet habe. Vor dem Hintergrund sind sie bereit, viele Entbehrungen in Kauf zu nehmen.
    "Hier auf der Krim ist es jetzt sehr gut"
    Eine Apotheke in Simferopol, der Hauptstadt der Krim. Verschreibungspflichtige Medikamente soll es hier kostenlos geben, so sieht es das russische Gesetz vor. Doch zwei von drei Kunden gehen mit leeren Händen wieder hinaus. Auch die Rentnerin Tatjana Stepanowna:
    "Was soll ich Ihnen sagen? Ja, viele Medikamente gibt es nicht. Aber das hängt mit der Übergangszeit zusammen. Solange die Grenze zur Ukraine offen war, hatten wir Medikamente im Überfluss. Jetzt hat die Ukraine die Grenze geschlossen, da gibt es Engpässe. Aber ich denke, das geht vorbei.
    Sagen Sie in Deutschland ruhig: Hier auf der Krim ist es jetzt sehr gut."