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Ukraine-Konflikt
Junge Russen ziehen in den Krieg

Für viele Russen sind sie Helden, die ukrainische Führung nennt sie Terroristen, sie selbst bezeichnen sich als Bürgerwehr: Die prorussischen Kämpfer im Osten der Ukraine bekommen immer mehr Verstärkung aus Russland. Mit Bahn und Bus machen sich junge Russen auf den Weg in den Krieg.

Von Mareike Aden | 21.08.2014
    Ein Milizionär der selbsternannten "Volksrepublik Lugansk" steht an einem Grenzübergang zu Russland.
    Die ukrainische Führung geht von rund 15.000 pro-russischen Kämpfern im Osten der Ukraine aus. (picture alliance / dpa / Maksim Blinov)
    Der Zug, der am frühen Morgen auf Gleis 8 am Kursker Bahnhof in Moskau steht, fährt gen Süden. Die meisten Passagiere wollen ans Schwarze Meer: Die fünf jungen Männer aber, die mit großen Rücksäcken am Ende des Gleises stehen, wollen in die Ostukraine, in den Krieg. Bis in die frühen Morgenstunden haben sie getrunken. Angst oder Anspannung will sich keiner von ihnen anmerken lassen, auch nicht der 30 Jahre alte Dmitrij. Da er nüchterner ist als die anderen, hat er alle Tickets und Reisepässe in der Hand.
    "Das ist schon lange mein Traum, Monate lang schon warten wir darauf. Und ganz bald werden wir endlich dort sein. Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich bin mir sicher: Bevor ich 35 Jahre alt bin, werde ich nicht sterben. Darum mache ich mir auch keine Sorgen."
    Keiner hat je eine Waffe in der Hand gehabt
    Die fünf jungen Männer haben genügend Zeit, um wieder nüchtern zu werden: Rund 24 Stunden dauert die Fahrt ins Gebiet Rostow – von dort sind es noch einige Dutzend Kilometer bis zur ukrainischen Grenze. Sie sind zwischen 24 und 31 Jahre alt, keiner hat je eine Waffe in der Hand gehabt: Dmitrij hat einen Hochschulabschluss in Geschichte, Aleksander ist Doktorand an einer Moskauer Eliteuniversität. Walentin, Grigorij und Wjatscheslaw haben keine russischen Pässe und leben in einer Kleinstadt in Lettland – aber sie sehen sich als Russen, sagt Walentin. Deshalb wollen sie im Donbass kämpfen.
    "Das ist alles Teil der großen Russki Mir, der russischen Welt. Und dort sterben jetzt russische Menschen – oder besser gesagt: Man tötet sie. Da kann ich mich nicht raushalten, selbst wenn ich aus einem anderen Land komme."
    Schnell wird es stickig im Waggon, es riecht nach Schweiß und Toilettenreiniger. Mal reden die fünf über Frauen, dann wieder über Politik: Sie alle sind Nationalbolschewiken –Anhänger einer Ideologie, die Nationalismus und Kommunismus vereint. Sie sind Gegner von Wladimir Putin und seinem System, aber noch feindlicher stehen sie den USA gegenüber. Dass die ihren Einfluss in der Ukraine ausweiten, dürfe Russland nicht hinnehmen, sagt Dmitrij:
    "Wir sollten Menschen, die uns Russen so negativ gegenüber stehen, nicht in der Nähe unserer Grenzen haben. Das ist eine Gefahr für uns Russen."
    Sie wollen weiterkämpfen bis zum Schluss
    Nach rund 24 Stunden erreichen sie Lichaja – jetzt soll es mit dem Bus weitergehen. Doch noch am Bahnhof hält ein russischer Polizist sie an. Ein Blick in die großen Rucksäcke reicht und der Chef der Polizeistation, der sich als Boris Borissowitsch vorstellt, weiß sofort, wohin sie wollen. Am Ende aber kopiert er nur ihre Pässe und lässt die fünf weiterziehen. Aleksander ist erleichtert:
    "Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass unsere Reise vorbei ist. Aber als Boris Borissowitsch anfing, Witze zu machen und alle Polizisten sich entspannten, habe ich gedacht, dass alles gut wird und wir weiter können und so kam es ja auch."
    In der kleinen russischen Grenzstadt warten sie stundenlang in einem Park. Kameraden, die schon drüben sind, wollen sie abholen mit einem Kleinlaster. Während sie warten, vergleichen die jungen Männer die Legenden, die sie zu Hause erzählt haben. Dmitrijs Eltern glauben, er arbeite als Sanitäter in einem Ferienlager für Kinder.
    "Ich habe gesagt, dass das Lager mitten im Wald ist und dass dort kein Handy-Empfang ist und dass ich erst Ende des Sommers wiederkomme."
    Weiter über die Grenze geht es schließlich ohne journalistische Begleitung, um die Mission nicht zu gefährden. Ein paar Tage später meldet sich Dmitrij per Telefon – noch, sagt er, seien sie alle am Leben. Sie wissen: Die ukrainische Armee rückt weiter vor. Aber sie wollen weiterkämpfen, bis zum Schluss.