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Ukraine-Krise
"Eine Dezentralisierung würde reichen"

Gegen eine Föderalisierung der Ukraine, so wie es Russlands Präsident Putin fordert, spreche nicht sehr viel, sagte Kyryl Savin, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, im Deutschlandfunk. Es sei aber unnatürlich, aus einem Einheitsstaat eine Föderation zu machen. Aus Sicht der Kiewer Regierung wäre eine Dezentralisierung ein möglicher Kompromiss.

Kyryl Savin im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Ein Mann mit einer Ukraine-Flagge wartet vor dem Parlament in Kiew.
    Die Ukraine steht im Zentrum bilateraler Gespräche in Genf. (dpa/picture alliance/Pochuyev Mikhail)
    In der Geschichte der Menschheit habe es keine Beispiele für eine derartige Föderalisierung gegeben, ergänzte Savin. Normalerweise funktioniere es anders herum: Mehrere kleinere Staaten vereinigten sich in einer Föderation.
    Wenn es aber wirklich der Wunsch der Bevölkerung in der Ost-Ukraine sei, dann sei es auch machbar. Er glaube aber, dass es eher um die Dezentralisierung gehe, vor allem im fiskalen Bereich. Aus Sicht der Kiewer Regierung wäre das ein möglicher Kompromiss, die Regierung wäre dazu bereit. Es fehle aber der politische Prozess.

    Das Interview mit Kyryl Savin in voller Länge:
    Martin Zagatta: Im Osten der Ukraine haben prorussische Aktivisten in den letzten Tagen zahlreiche staatliche Einrichtungen unter ihre Kontrolle gebracht. Die Übergangsregierung in Kiew hat einen Anti-Terror-Einsatz angeordnet. Vielerorts, so heißt es aber, haben sich Einheimische den Truppen in den Weg gestellt, und bei Zusammenstößen - das wird jetzt gemeldet - soll es auch Tote gegeben haben.
    In Kiew sind wir jetzt mit Kyryl Savin verbunden, der dort das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, der Stiftung der Grünen, leitet. Guten Tag, Herr Savin!
    Kyryl Savin: Guten Tag aus Kiew. Hallo!
    Zagatta: Herr Savin, auf das, was man sich in der Ukraine von diesem Treffen in Genf erhofft, kommen wir gleich noch zu sprechen. Zunächst aber doch zu dieser recht dramatisch klingenden Zuspitzung in der Ostukraine selbst, wo es bei diesen Auseinandersetzungen jetzt erstmals Tote gegeben haben soll. Für wie dramatisch halten Sie in Kiew denn diese Entwicklung?
    Savin: In Kiew, da teile ich die Meinung Ihres Korrespondenten: In Kiew ist eher die positive Stimmung. Man zelebriert das fast, dass die ukrainischen Militärs zum ersten Mal gezeigt haben, was sie können und was sie auch machen müssen, weil es ein klarer Angriff auf eine Militärbasis war von Unbekannten. Man kann lange streiten, ob das Russen waren, oder die Rebellen, Separatisten. Aber auf jeden Fall: Sie wollten diesen Militärstützpunkt erstürmen in der Nacht von gestern auf heute. Die Militärs haben erst mal in die Luft geschossen und dann aber auf Menschen geschossen, und so sind ja drei Leute ums Leben gekommen, 13 sind verletzt, mehrere sind festgenommen.
    Zagatta: Haben Sie als Beobachter, der sich ja sehr gut auskennt in dem Land, nicht die Befürchtung, dass das zu einem Bürgerkrieg führen könnte?
    Savin: Nein, das sehe ich noch nicht so. Natürlich: Die Gefahr besteht, denn die Politiker, vor allem die lokalen Eliten im Osten des Landes wie auch die russischen Politiker, wollen gerne in die Richtung spielen, dass es zu einem Bürgerkriegszustand kommen kann, aber im Moment sind wirklich die meisten Menschen im Osten der Ukraine zwar kritisch gegenüber der Kiewer Regierung und bewerten die Ereignisse auch negativ, aber die sind bei Weitem noch nicht bereit, aktiv zu handeln und auch zu kämpfen sozusagen gegen den Rest der Ukraine.
    Savin: Russland versuche vor Ort die Situation zu destabilisieren
    Zagatta: Wie ernst nimmt man die Gefahr, dass Russland solche Auseinandersetzungen vielleicht zum Anlass nimmt, auch im Osten der Ukraine einzuschreiten? Präsident Putin soll Ähnliches ja schon zumindest angedeutet haben.
    Savin: Ich sehe diese Gefahr nicht so sehr groß. Ich glaube, im Unterschied zur Krim wird Russland nicht versuchen, offen über die Grenze zu gehen mit seinen Soldaten. Man versucht, die Situation da vor Ort möglichst zu destabilisieren, und hofft auf diesen großen Druck, den Russland jetzt aufbaut, und auch die Verhandlungen heute in Genf werden dazu genutzt werden, dass die Ukraine mehr oder weniger gezwungen wird zu dieser Föderalisierung, für eine Verfassungsreform, die den russischen Interessen entsprechen wird.
    "Unnatürlich, aus einem Einheitsstaat eine Föderation zu machen"
    Zagatta: Was spricht eigentlich gegen eine solche Föderalisierung, ein Bundesstaat mit mehr Befugnissen für die einzelnen Regionen? Was spricht eigentlich dagegen, was ist daran so schlecht?
    Savin: Es spricht nicht sehr viel dagegen. Es ist nur so ziemlich unnatürlich, aus einem Einheitsstaat so eine Föderation zu machen. In der Geschichte der Menschheit gab es ja keine Beispiele für solche Entwicklungen. Normalerweise funktioniert es anders herum, dass mehrere kleine Staaten sich vereinigen, sozusagen in einer Föderation. Aber wenn es wirklich der Wunsch der Bevölkerung im Osten der Ukraine ist, dann ist das auch machbar. Allerdings, glaube ich, geht es nicht wirklich um die Föderalisierung, sondern mehr um die Dezentralisierung, vor allem auch im fiskalen Bereich, dass die Steuereinnahmen vor Ort bleiben und nicht nach Kiew geschickt werden. Ich glaube, darum geht es hier sehr vielen Leuten, und das Muss ja nicht zwingend eine Föderalisierung sein. Eine Dezentralisierung würde reichen.
    Dezentralisierung ein möglicher Kompromiss
    Zagatta: Eine solche Dezentralisierung, wäre das ein möglicher Kompromiss, wäre das ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation?
    Savin: Ja natürlich!
    Zagatta: Wie könnte das umgesetzt werden?
    Savin: Aus der Kiewer Sicht oder aus der Kiewer Regierung ist das ein sehr möglicher Kompromiss. Die Regierung ist dazu bereit. Es gibt sogar erste Gesetzesentwürfe, die geschrieben werden in dieser Richtung. Nur es fehlt so ein politischer Prozess, denn der Osten der Ukraine hat ja im Grunde genommen im Moment keine klare politische Vertretung, denn die Partei der Regionen, die traditionell den Osten des Landes vertreten hat, ist im Moment in so einem sehr demoralisierten Zustand. Es sind immer noch über 100 Leute im Parlament, die die Partei der Regionen vertreten, aber es herrscht da auch großes Misstrauen gegenüber diesen Leuten, denn das ist die Partei von Präsident Janukowitsch und Janukowitsch wird auch im Osten des Landes nicht besonders geliebt.
    Zagatta: Könnte die Präsidentenwahl, könnte die Wahl, die für den 25. Mai vorgesehen ist, irgendwie Weichen stellen? Gehen Sie davon aus, wenn Sie jetzt sagen, im Osten der Ukraine ist es im Moment so schwierig, dass diese Wahl im Osten der Ukraine im Moment überhaupt durchgeführt werden kann?
    Savin: Da bin ich sehr skeptisch, dass die Wahl heute im Osten oder in Donbass, besser gesagt, überhaupt durchgeführt werden kann. Das verstehen sehr viele auch in Kiew und deswegen stellt man sich die Frage, soll die Wahl grundsätzlich verschoben werden, solange die Situation da sich nicht beruhigt, oder man führt das trotzdem durch und nimmt das in Kauf, dass in einigen Gebieten, nämlich Donbass, das Gebiet Donezk, das Gebiet Luhansk, die Wahl teilweise nicht stattfinden wird. Dann wird es ziemlich problematisch mit der Legitimität des neu gewählten Präsidenten.
    Zagatta: Was kann denn jetzt, wir haben es kurz angesprochen, aus Sicht der Regierung in Kiew bei diesen Verhandlungen in Genf heute überhaupt herauskommen? Die NATO beziehungsweise der Westen haben ja schon klargestellt, dass ein militärisches Eingreifen nicht in Frage kommt. Auf was setzt diese Übergangsregierung in Kiew, was erwartet sie da realistischerweise?
    Savin: Ich glaube, die Kiewer Regierung beziehungsweise der Außenminister Deschtschyzja geht auf diese Verhandlungen eher in einer defensiven Position, denn Russland wird ja eher offensiv da sein mit allen Argumenten und Fakten, die bekannt sind, die heute Präsident Putin bei seiner Pressekonferenz schon verkündet hat. Und es wäre ja gut, wenn sozusagen die Ukraine sich verteidigen könnte gegen all die Vorwürfe seitens Russlands, und sonst hofft man, dass man eine gemeinsame Sprache mit der EU und mit den USA finden kann und dass der Westen sozusagen der Russischen Föderation klar machen kann, dass die dritte Stufe der Sanktionen ernst gemeint wird. Das wären die harten Sanktionen, die man schon lange angekündigt hat, dass diese Sanktionen auch greifen können, wenn Russland nicht aufhört, die Situation im Osten des Landes zu destabilisieren.
    "Dialog mit den lokalen Eliten suchen"
    Zagatta: Herr Savin, aus Ihrer Sicht vielleicht noch kurz: Wie könnte jetzt ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation aussehen? Was müsste in der Ukraine jetzt politisch passieren?
    Savin: Ich glaube, man soll den Dialog mit den lokalen Eliten suchen. Das ist die Schlüsselfrage. Denn mit Russland ist im Moment kein Dialog möglich und das ist auch nicht entscheidend. Entscheidend sind die lokalen Eliten. Die sind in einem relativ schwachen Zustand, wie ich schon gesagt hatte, die Partei der Regionen, und mit denen muss man sprechen, denn sie haben ja Angst vor Rache aus Kiew, wenn die Situation sich beruhigen wird. Da sind auch enorme wirtschaftliche Interessen im Spiel. Gerade Herr Achmetow und andere Oligarchen machen sich Sorgen um ihre Geschäfte und wenn die Kiewer Regierung die gemeinsame Sprache mit den lokalen Eliten finden kann und ihnen gute Angebote machen kann, das könnte die Lösung der Krise sein. Dann kann Russland nicht mehr so viel destabilisieren wie bis jetzt, denn heute ist es deswegen möglich, dass die lokalen Eliten im Grunde genommen heimlich mitspielen mit russischen Geheimagenten und diversen anderen, und deswegen ist die Situation vor Ort so schwer.
    Zagatta: Kyryl Savin, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew. Herr Savin, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Savin: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.