Freitag, 19. April 2024

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Situation in der Ukraine
"Russland schürt den Konflikt ganz maßgeblich"

In der Ukraine tobe mehr ein Propagandakrieg als ein Bürgerkrieg, sagte der CDU-Politiker Gunther Krichbaum im DLF. Es gebe viele widersprüchliche Nachrichten, die Lage sei bizarr, berichtete er nach einem Besuch in der Stadt Donezk. Dennoch sei für ihn klar, Russland befeuere die Proteste.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.04.2014
    Bei seinem Besuch in Donezk sei die Lage gestern weitgehend ruhig gewesen, auch wenn berichtet worden sei, dass bewaffnete Truppen das Gebäude besetzt hätten, sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestages im DLF. Dahingehend seien die Informationen, die zum Konflikt geliefert würden, widersprüchlich.
    Krichbaum berichtete zudem über die paramilitärischen Teams in der Ukraine, die aus seiner Sicht eindeutig russischer Herkunft seien. Dies lasse sich unter anderem durch ihre Sprache, ihre Ausrüstung und ihre Professionalität belegen.
    Mit Blick auf die internationalen Verhandlungen zur Ukraine in Genf sprach er von einem positiven Schritt, dass sich die Ukraine, Russland und der Westen an einen Tisch setzen. Der CDU-Politiker hält Wirtschaftssanktionen gegen Russland für erforderlich, sollte man nicht anders weiterkommen.

    Das Interview in voller Länge
    Friedbert Meurer: Im Krieg stirbt als erstes die Wahrheit, heißt es oft. Noch herrscht kein Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Was aber im Moment in der Ostukraine geschieht, das stellen beide Seiten völlig unterschiedlich dar. Die Bundesregierung neigt eindeutig der Darstellung aus Kiew zu. Danach ist Russland sehr wohl im Moment dabei, die Lage im Osten der Ukraine zu destabilisieren, indem es die Hardliner und Separatisten dort nach Kräften unterstützt und sogar russische Soldaten oder Agenten im Einsatz sind. Moskau streitet das alles ab, das seien bloß "Spekulationen".
    In Donetsk war bis gestern auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum. Er ist Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages, ist gestern wieder zurückgekehrt, bei uns jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Krichbaum.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen.
    Meurer: Sie haben gerade das Gespräch mit der Korrespondentin Golineh Atai mitverfolgen können. Bei Ihren Gesprächen in Donetsk, was haben Sie da erfahren an Hinweisen, dass Russland sich tatsächlich aktiv in der Ostukraine betätigt?
    Krichbaum: Wir waren zunächst als eine Delegation des Europaausschusses in Kiew, aber anschließend auch in Donetsk, um uns zunächst einen Überblick über die Lage zu verschaffen, einen Einblick in die Lage, weil der Überblick ist unheimlich schwer zu gewinnen. Es gibt da auch sehr viele widersprüchliche Nachrichten, ich kann Frau Atai nur zustimmen. Es ist vielleicht kein Bürgerkrieg als vielmehr ein Propagandakrieg, der auch im Augenblick tobt, weil das Straßenbild gerade auch in Donetsk ist zunächst ein ruhiges. Selbst gestern, als es hieß, dass bewaffnete Einheiten in das Rathaus eingedrungen wären, wo wir noch am Tag zuvor ein Gespräch mit dem dortigen Bürgermeister hatten, war es, nachdem die Nachrichten über den Ticker laufen, ruhig. Wir sind extra noch mal daran vorbeigelaufen. Hinter dem Rathaus spielten Kinder. Deswegen ist es eine auch mitunter sehr bizarre Lage, die wir dort selbst vorfinden.
    Was Ihre Frage angeht und unsere Hinweise, da würde ich einen kleinen Widerspruch zu Frau Atai setzen. Wir wissen auch aufgrund der Professionalität des Auftretens dieser Teams, die dort eingeschleust werden, wenn Polizeiposten besetzt werden, dass es hier sich keinesfalls um Laien handelt. Was die russische Herkunft angeht: Es gibt beispielsweise Redewendungen, die nicht in der russischen Sprache in der Ukraine verwendet werden, sondern ausdrücklich und ausschließlich in Russland selbst. Es gibt eine einheitliche, sehr professionelle Bewaffnung auch dieser Kräfte. Es gibt abgehörte Telefonate. Es gibt ja auch Verhaftungen und dann wurde bei den Personen auch entdeckt, dass sie russische Dienstabzeichen haben. All das weist sehr stark auf diese Parallelen hin auch zur Krim.
    Meurer: Das heißt, für Sie gibt es gar keinen Zweifel: Russland schürt den Konflikt?
    Krichbaum: Russland schürt den Konflikt ganz maßgeblich. Herr Putin schürt diesen Konflikt. Deswegen liegt auch die Lösung dieses Konflikts ausschließlich in russischer Hand. Jetzt wird hoch gepokert, was das Treffen in Genf heute angeht. Allerdings hat das natürlich schon bereits einen Zweck fast erfüllt, dass ja die Weltöffentlichkeit froh ist, wenn Russland überhaupt an diesem Tisch Platz nimmt.
    Meurer: Bevor wir über Genf reden, ganz kurz, Herr Krichbaum, will ich Sie noch mal fragen: Ist die Regierung in Kiew eigentlich gut beraten damit, wenn sie jetzt eine gewaltsame Lösung herbeiführen will und mit Sonderkommandos besetzte Rathäuser und Ähnliches befreien will?
    Krichbaum: Ich denke, dass bei der ukrainischen Führung auch ein gewisses Unvermögen dabei ist. Will heißen, dass wenn man als Staat schon ein Ultimatum setzt - und ich hätte das vor den Genfer Verhandlungen nicht getan -, dann muss man natürlich als Staat nachher dafür sorgen, dass dieses Ultimatum, wenn es verstreicht, natürlich auch Konsequenzen hat. Ich bin dann selbst in dem Zugzwang, in den ich mich selber auch reinmanövriert habe. Das sollte man vermeiden. Aber es gibt auch einen anderen Akt, der die Stimmung dort in der Ostukraine aufgeheizt hat, nämlich das Sprachengesetz. Es ist am Ende des Tages jetzt nicht in Kraft getreten, weil der Präsident nicht unterzeichnet hat. Aber als erste Amtshandlung gleich die ukrainische Sprache als einzige Amtssprache in der Ukraine nur zuzulassen, das Russische sozusagen wegzuradieren, ist sicherlich keine kluge Entscheidung gewesen, denn es hat auch der russischen Propaganda dann Vortrieb geleistet und Vorschub gegeben, weil Moskau hatte dann sofort behauptet, die wollen euch die russische Sprache verbieten.
    Meurer: Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages.
    Herr Krichbaum, heute das Außenministertreffen in Genf. Kommt da irgendwas dabei heraus?
    Krichbaum: Zunächst ist es natürlich gut, wenn hier Länder wie die Ukraine und Russland sich sozusagen einhergehend mit den USA und der Europäischen Union an einen Tisch setzen, denn die Lösung muss am Ende auch in einer diplomatischen bestehen. Die militärischen Optionen scheiden aus. Allerdings muss auch der Druck auf Russland selbst erhöht werden.
    Meurer: Wie?
    Krichbaum: Wir waren hier sicherlich bislang zu zögerlich. Das heißt, in den Anfangsmaßnahmen richtig, was auch Einreisesperren angeht, was Kontensperren angeht. Allerdings wissen wir auch, dass es bislang zu überhaupt nichts geführt hat.
    Meurer: Was muss jetzt geschehen, was schlagen Sie vor?
    Krichbaum: Es muss dann geschehen, dass hier auch Wirtschaftssanktionen und zwar handfeste Wirtschaftssanktionen ausgesprochen werden. Wir wollen das nicht, aber wenn wir nicht anders weiterkommen, müssen auch hier Taten folgen.
    Meurer: Welche sollten das sein?
    Krichbaum: Beispielsweise, um Ihnen ein Beispiel zu geben, betrachtet natürlich Russland seine Wirtschaftspolitik als eine reine Energielieferungspolitik. Sie besteht nur in der Lieferung von Rohstoffen, vornehmlich Gas. Deswegen braucht natürlich Russland dringend für die Modernisierung der eigenen Wirtschaft das Knowhow, die Technologie, die Innovation auch von uns, auch der Bundesrepublik Deutschland, aber vor allem auch der Europäischen Union. Kommt diese Technologie aus dem Westen nicht an, bleibt Russland schlicht und ergreifend stehen. Andere Länder bewegen sich. Das ist das Gesetz der Globalisierung.
    Meurer: Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestages von der CDU, ist gestern mit einer Delegation aus Donetsk in der Ostukraine zurückgekehrt nach Deutschland. Herr Krichbaum, danke schön für das Interview. Auf Wiederhören!
    Krichbaum: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.