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Ukraine
Ohne russisches Gas durch den Winter?

Im Osten der Ukraine hat der Krieg die Kohleförderung lahmgelegt, die Stahlproduktion wurde gedrosselt, auch die energieintensive Düngemittelherstellung ist fast zum Erliegen gekommen. Nicht nur der Krieg, auch ein Energienotstand dürfte der Wirtschaft schwer zu schaffen machen. Aber die Regierung will ohne den Import russischen Erdgases auskommen.

Von Sabine Adler | 07.08.2014
    Eine Gasleitung in Yaremka in der ukrainischen Region Charkiw.
    Eine Gasleitung in Yaremka in der ukrainischen Region Charkiw - die eigene Fördertechnik ist veraltet. (dpa / picture-alliance / Mikhail Voskresenskiy)
    Alle Jahre wieder, Sommer für Sommer kommt es in Kiew nur kalt aus dem Warmwasserhahn. Wie zu sowjetischen Zeiten. Doch dieses Mal wird Warmwasserversorgung nicht für drei Wochen, sondern gleich bis Oktober abgestellt.
    "Hoffen wir, dass das unserem Land hilft, Energie zu sparen", sagt eine junge Kiewerin. "Und hoffen wir, dass wir im Oktober wieder heißes Wasser haben und dass vor allem bis dahin alles zu Ende ist."
    Die Ukraine muss Energie sparen. Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, appelliert an Einwohner:
    "Der Energieverbrauch bei uns in der Ukraine ist viel höher als in Europa. Ich bitte die Bürger, verantwortungsbewusst zu heizen. Es wird bei uns einen warmen Winter geben!"
    Zweckoptimismus, denn Klitschko weiß, dass seine Hauptstadt wie alle anderen Regionen mit 30 Prozent weniger Gas über den Winter kommen müssen. Der Politologe Oleg Rybatschuk ist sicher: Die Ukraine schafft das.
    "Das ist möglich. Man muss das Gas für die Privathaushalte und Verwaltung sicherstellen, einige superreiche Unternehmer wie Firtasch oder Achmetow und die Wirtschaft werden leiden müssen. Es ist machbar mit Gasimporten aus Europa. Russland muss sich gut überlegen, einen Kunden wie die Ukraine zu verlieren, selbst wenn sie uns hassen. Wir haben Geld, internationales Geld, um das Gas zu bezahlen, allerdings keinen politischen, sondern ein Marktpreis."
    Andrej Koboljow, Geschäftsführer des staatlichen Gasversorgers Naftogas, klingt, als wolle er die Ukrainer auf eine Notstands-Wirtschaft einstellen:
    "Wir haben Krieg, auch an der Gas-Front. Im Krieg wird es einfacher, wenn man einen mächtigen Verbündeten hat."
    Gasspeicher sind nicht voll
    Der Verbündete soll die Europäische Union sein, die von dem Gas, das sie von Russland kauft, das durch die Ukraine in die EU geflossen ist, wieder welches zurück nach Kiew schickt. Revers flow heißt das Zauberwort. Ein Winter ohne russisches Gas? Sehr ambitioniert, findet die Leiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kiew, Miriam Kosmehl, und ist mehr als skeptisch.
    "Das ist utopisch momentan. Die Ukraine deckt 90 Prozent ihres Wärmebedarfs aus Gas, davon kommen über 50 Prozent aus Russland. Selbst wenn man jetzt über die Umkehr der Fließrichtung mehr Gas aus Europa importiert, kann man damit bestenfalls und nicht gleich im kommenden Winter sofort 20 Prozent abdecken."
    Zumal die Gasspeicher in der Westukraine noch keineswegs randvoll sind. Möglich, dass Russland auf den Weiterverkauf des für die EU bestimmten Gases in die Ukraine reagiert. Dass Putin an der Preisschraube dreht, damit rechnet Ricardo Giucci von der deutsch-ukrainischen Beratergruppe aber vorerst nicht.
    "Das sind langfristige Verträge, die hier gelten und da kann eine Seite nicht die Preise kurzfristig erhöhen."
    Die Hoffnungen ruhen auf der Slowakei. Sie könnte rein technisch die größten Mengen in die Ukraine zurückschicken, denn in der Slowakei liegt noch eine verfügbare eigene Pipeline. Selbst Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko, eigentlich ein Kompagnon des russischen Präsidenten Putin, hat Kiew Hilfe angeboten. Die Angst, dass Weißrussland das gleiche widerfährt wie der Ukraine, ist groß und weckt offenbar solidarische Gefühle. Lukaschenko möchte Ölprodukte nach Kiew schicken. Als Akt der Nächstenliebe, wie der Politologe Andrej Fedorow einschränkt.
    "Diese Öllieferungen sind eher eine humanitäre Aktion, die der Ukraine helfen soll, jetzt die Ernte einzubringen, damit nicht noch Probleme mit Lebensmitteln entstehen. Dass Russland eine solche Hilfe nicht gefällt, ist logisch. Schließlich stärkt damit ein Freund Russlands Gegner mit lebenswichtigen Gütern."
    Bisher wenig Interesse an Energieunabhängigkeit
    Ob der weißrussische Autokrat Moskautatsächlich derart herausfordert, ist zu bezweifeln, bislang hat Lukaschenko im UN-Sicherheitsrat für Russland gestimmt, hat sein Territorium für die Stationierung von russischen Kampffliegerstaffeln zur Verfügung gestellt. Die Ukraine braucht mindestens so viel Gas, dass der Transit gewährleistet ist und ihr Ruf als Transportland nicht noch einmal leidet. Die größte Gasreserve, die die Ukraine hat, sind die eigenen Vorkommen, nicht nur als Schiefergas. Die Förderung lohnt sich allerdings erst dann, wenn für das einheimische Gas endlich mehr gezahlt wird, sagt Andrej Koboljow von Naftogas.
    "Man muss den Preis anheben. Die staatlichen Förderunternehmen bekommen nur ein Zehntel dessen, was Gasprom für sein Erdgas erhält. Die meisten unserer Bohrtürme sind alt und die Vorkommen fast ausgebeutet. Wenn man sie dennoch nutzen möchte, muss sich das lohnen."
    Die Ukraine hat nicht die 23 Jahre ihrer Souveränität und weder die Gaskrisen 2004 noch 2009 genutzt, um sich von russischem Erdgas unabhängig zu machen. Trotz der eigenen Ressourcen. Auch die Kohle wurde viel zu wenig genutzt.
    "Die gesamte Korruption in diesem Bereich war ein Grund, dass viel zu wenig Gas in der Ukraine produziert wurde. Wir sind sicher, dass die Ukraine viel mehr Gas produzieren kann, auch kurzfristig. Das haben uns Firmen so bestätigt",
    sagt Ricardo Guicci von der deutsch-ukrainischen Beratergruppe. Weil sich auch am hohen russischen Gaspreis prächtig mitverdienen ließ, hatten weder ukrainische Unternehmer noch Politiker bislang ein Interesse an einer echten Energieunabhängigkeit von Russland.