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Ukraine
Pressezensur weit verbreitet

Ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union sollte eigentlich beim EU-Gipfel in Vilnius nächste Woche unterzeichnet werden. Doch die ukrainische Regierung hat sich entschieden, nicht auf die Minimalforderung der Gemeinschaft einzugehen: Die Oppositionspolitikerin Julia Tymoschenko aus dem Gefängnis zu entlassen. Aber auch von einer freien Presse kann kaum die Rede sein.

Von Florian Kellermann | 21.11.2013
    Eine kleine Gaststätte im Zentrum von Kiew, die Stimmung scheint ausgelassen. Um einen langen Tisch haben sich junge Frauen und Männer erhoben und prosten sich mit ihren Wodka-Gläsern zu. "Wenn etwas Trauriges passiert, soll man umso fröhlicher feiern“, sagt einer. Die 13 Journalisten und ein Layouter begießen ihren letzten Arbeitstag beim Wirtschaftsmagazin "Forbes Ukraine", sie haben gerade gekündigt und sind jetzt arbeitslos.
    "Wir haben gemeinsam gekündigt, um ein bisschen Aufsehen zu erregen. Sonst hätte uns das Management einen nach dem anderen entlassen, wie das gerade im Politmagazin Fokus passiert. Dort musste innerhalb von zwei Monaten die halbe Redaktion gehen. Wir hatten keinen Einfluss mehr darauf, wie sich die Dinge entwickeln."
    Maxim Kamenev, leitender Redakteur der Internet-Ausgabe von „Forbes Ukraine“, nimmt einen Schluck. Er erinnert sich ganz genau. An jeden Tag bis hin zur Uhrzeit, als alles angefangen hat. Sein Team veröffentlichte vor einem Jahr einen umfangreichen kritischen Artikel über einen Geschäftsmann namens Serhyj Kurtschenko. Dieser heute 28-Jährige sei in gerade einmal zwei Jahren zum - so wörtlich - „Gas-König“ der Ukraine aufgestiegen, stand da zu lesen. Seine Firmen hätten zahlreiche staatliche Ausschreibungen für den Gashandel gewonnen. Nicht, weil von ihnen die besten Angebote gekommen seien, sondern weil Kurtschenko über gute Kontakte zu einflussreichen Personen verfüge, darunter zum Sohn des Generalstaatsanwaltes. Der wiederum ist Abgeordneter der „Partei der Regionen“ von Präsident Viktor Janukowytsch.
    Mitarbeiter von Gashändler Kurtschenko wollten diesen Forbes-Artikel zunächst verhindern - vergeblich. Doch in Zukunft wird der junge Multimillionär ganz einfach Einfluss auf die Redaktion nehmen können, er hat dieses Wirtschaftsmagazin einfach gekauft. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Kritische Berichte über die regierende "Partei der Regionen" werde es nun nicht mehr geben, ist Kamenev überzeugt:
    "Wir wissen nicht, wie Kurtschenko sich sein Vermögen erarbeitet hat, er selbst will es auch nicht erklären. Das gibt Anlass zur Vermutung, dass wir es hier mit Korruption zu tun haben. Wir haben einige Informationen, dass Kurtschenko mit dem Vize-Ministerpräsidenten Serhyj Arbuzow und dem ältesten Sohn von Präsident Viktor Janukowytsch verbunden ist."
    Nachweisen lässt sich das freilich nicht. Immerhin: Kurtschenko bestreitet, seine Geschäfte mit Hilfe von Kontakten zu Präsident Janukowytsch auszubauen.
    Das Beispiel "Forbes Ukraine" ist kein Einzelfall in der Ukraine. Die derzeit politisch Verantwortlichen versuchten, alle einflussreichen Medien im Land unter ihre Kontrolle zu bringen, hat Oxana Romaniuk beobachtet. Sie ist Direktorin des unabhängigen Kiewer Instituts für Massenmedien.
    "Die Zensur in der Ukraine ist nicht mehr so primitiv wie früher, als direkte Anweisungen aus dem Präsidialamt kamen. Es ist viel einfacher, kritische Medien zu kaufen. Dann wird eine so genannte neue Redaktionspolitik eingeführt - der Chefredakteur muss sensible Themen direkt mit dem Eigentümer abstimmen. Das passiert natürlich alles nur mündlich, Aufzeichnungen darüber gibt es nicht."
    Die ehemaligen Forbes-Journalisten aber wollen nicht aufgeben, kritisch zu berichten. Sie werde schon eine Möglichkeit finden zu publizieren, zeigt sich Daria Martschak zuversichtlich, selbst wenn sie damit kaum sehr viel Geld verdienen werde.
    Unser Land ist seit über einem Jahr in der Rezession, es fehlt an Geld selbst für die Renten und die Beamtengehälter. Unsere Auslandsschulden werden immer größer, und wir können die Gasrechnung an Russland nicht bezahlen. Das alles versucht die Regierung zu verschleiern. Meine Aufgabe ist es, die wirtschaftliche Situation genau so zu schildern, wie sie wirklich ist.
    "Forbes Ukraine" stellt inzwischen neue Redakteure ein, zu einem deutlich höheren Gehalt als früher. Journalisten-Vereinigungen appellieren nun an Forbes in den USA: Es soll dem Verlag von Gashändler Kurtschenko die Lizenz für den renommierten Titel entziehen.