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Ukraine
Urlaub von der Front

In der Ostukraine herrscht Waffenstillstand - offiziell. Aber immer noch gibt es täglich Schusswechsel und Kämpfe in Luhansk und Donezk zwischen den pro-russischen Kämpfern und der ukrainischen Armee. Der Westen wirft Russland vor, weiterhin Soldaten in der Ostukraine stationiert zu haben. Die russische Führung bestreitet das. Doch auch die freiwilligen pro-russischen Kämpfer verlassen das Gebiet nicht, sondern weiten ihr Einflussgebiet sogar aus.

Von Mareike Aden | 13.10.2014
    Russische Separatisten im Norden von Donezk
    Russische Separatisten im Norden von Donezk (AFP/BULENT KILIC)
    Vor der Metrostation Aviamotornaja haben sie ihren kleinen Stand aufgebaut: "Hilfe für den Donbass" steht auf der Sammel-Box aus Plastik. Drei junge Männer und eine Frau verteilen Flugblätter. Einer hält eine große Flagge in der Hand - rot mit einer Handgranate. Das ist das Parteisymbol der Nationalbolschewiken, einer radikalen politischen Splittergruppe in Russland. Ihre Ideologie vereinigt Nationalismus und Kommunismus. Der Mann mit der Flagge heißt Dmitrij, ein 30-jähriger Russe. Gerade macht er, wie er selbst sagt "Fronturlaub", nach drei Monaten im Donbass:
    "Es gibt dort keinen Waffenstillstand. Es wird weiter geschossen und es wird weiter getötet, deshalb gibt es viel zu tun: Minen sind zu räumen, in den Städten muss für Ruhe und Ordnung gesorgt werden. Und die ukrainische Armee hält sich auch nicht an die Waffenruhe. Freiwillige Kämpfer werden also weiterhin gebraucht."
    Deshalb will Dmitrij so bald wie möglich zurück. Er trägt nun Kleidung in Tarnfarben - als er im Sommer in den Krieg zog, waren es noch Sportklamotten. In Russland will er nur ein paar Wochen bleiben. Vor allem will er den Verantwortlichen seiner Berufsschule erklären, warum er die Ausbildung unterbrochen hat. Nach einem Hochschulabschluss in Geschichte hatte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger aufgenommen. Nirgendwo könne er dafür bessere Erfahrungen sammeln als in einem Kriegsgebiet wie dem Donbass, glaubt Dmitrij. Seine Ausbilder haben dafür Verständnis, sagt er. In den letzten Monaten hatte er als Sanitäter gearbeitet, zuletzt in Luhansk. Dabei wurde auch er beschossen.
    "Es ist schon interessant, ja sogar angenehm, wenn jemand direkt auf dich zielt. Das heißt ja, dass sie in dir eine Bedrohung sehen. Da fühlt man sich aufgewertet und denkt: Oh, sie verschwenden ihre Munition für mich."
    An der Stellwand vor der Metrostation hängt ein Gruppenfoto von einigen Männern in Uniformen, mit Sturmgewehren: darauf sind auch Dmitrij und seine vier Freunde zu sehen - Valentin, Grigorij und Wjiatschislaw aus Lettland und Alexander aus Südrussland. Sie waren zusammen in den Krieg gezogen und blieben auch im Donbass meist zusammen. Keiner von ihnen habe jemanden getötet, sagt Dmitrij, da sie vor allem für Aufklärungsmissionen eingesetzt werden. Einer der Letten - Wjiatschislaw - wurde allerdings verwundet. Er wird nun in Russland behandelt, aber die Verletzung sei nicht schlimm, versichert Dmitrij. Die anderen drei sind noch immer in der Ukraine. Seit die Männer aus Lettland auch in Propaganda-Videos zu sehen sind, hat sie der lettische Geheimdienst im Blick. Wohnungen ihrer Verwandten wurden durchsucht.
    "Man hat ihnen schon gesagt, dass sie Probleme bekommen werden und beschuldigt sie des Terrorismus. Als an ihrer Berufsschule das neue Schuljahr losging, hat man dort gesagt: Hier sind Männer zur Schule gegangen, die jetzt in der Ukraine kämpfen. Sie seien schlechte Menschen, weil sie gegen europäische Werte in den Krieg gezogen seien. Naja, so ein europäischer Mist wurde da halt erzählt."
    Dmitrij glaubt immer noch an daran, dass er für die richtige Sache kämpft, dass er im Donbass die "Russische Welt" gegen die USA verteidigen muss - für ihn der Erzfeind Russlands. Wenn Wladimir Putin sich nicht auf einen Waffenstillstand eingelassen hätte, sagt er, wäre die ukrainische Armee längst aus dem Osten der Ukraine vertrieben worden. Der russische Präsident habe den Donbass verraten.
    "Wenn es um Putin geht, machen sich die freiwilligen Kämpfer aus Russland keine Illusionen, aber die einheimischen Kämpfer, die haben ihn durch eine rosa Brille betrachtet und sind nun enttäuscht. Sie fragen sich, wie und warum das passiert ist."
    Bald will er zurückkehren in die Ostukraine - begleitet von mindestens drei Freiwilligen aus Russland, die noch nicht im Einsatz waren. Sie alle stellen sich darauf ein, bis weit ins nächste Jahr zu bleiben. Deshalb muss sich Dmitrij noch eine neue Ausrede für seine Eltern einfallen lassen: Im Sommer, hatte er ihnen erzählt, dass er als Sanitäter in einem Kinderferienlager arbeite. Nun ist der Sommer vorbei, der Krieg aber nicht.