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Ukraine
Weißrussen auf dem Maidan in Kiew

Weißrussen sind in der Ukraine nach den Russen die größte Minderheit. Sie staunen über die Protestkultur in Kiew. Viele schauen nicht nur zu, sondern machen selbst mit.

Von Sabine Adler | 30.01.2014
    Regierungsgegner demonstrieren auf einem zentralen Platz in Kiew.
    Auch Weißrussen sind unter den Demonstranten in Kiew (dpa/picture alliance/Christophe Petit Tesson)
    In der Ukraine entscheidet sich die Zukunft des postsowjetischen Raums, ist Anatoli Lebedko überzeugt. Der Chef der oppositionellen Bürgerpartei hat wie viele weißrussische Regierungskritiker Kiew besucht und schaut mit Hoffen und gleichzeitig Bangen ins Nachbarland.
    Solange die Protestbewegung keine Todesopfer gefordert hat, glaubte Anatoli Lebedko, dass in der Ukraine eher Verhältnisse wie in Westeuropa herrschten: Mit einer echten Opposition, auch im Parlament, freien und fast fairen Wahlen, selbst wenn die Präsidenten wie Viktor Janukowitsch hervorbrächten. Auch die Medien seien unabhängiger als in Weißrussland.
    Doch nach den Todesopfern auf dem Maidan sieht er leider mehr Gemeinsamkeiten zwischen dem Regime Janukowitsch und der Autokratie von Lukaschenko. Auch Wladimir Neklajew, oppositioneller Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2010, sieht inzwischen mehr Ähnlichkeiten. Janukowitsch wie Lukaschenko seien für ihre Länder das größte Problem. Nicht nur Oppositionelle fahren derzeit vermehrt aus Weißrussland nach Kiew, auch Bürger, die selbst nicht politisch aktiv sind. Darja Katkowskaja ist Juristin und nahm aus purer Sympathie an den Demonstrationen teil.
    "An einem Tag habe ich mitprotestiert, an dem anderen habe ich alles beobachtet. Mir gefiel die technische Ausstattung, die großen Bildschirme auf dem Maidan, auf denen man über alles informiert wird. Und die Selbstverteidigung, die die Demonstranten organisieren, dass zum Beispiel Betrunkene nicht durchgelassen werden. Auch, wie die Verpflegung organisiert ist, die Versorgung mit warmer Kleidung. Ja sogar Telefonkarten fürs Handy bekommt man kostenlos, weil jemand sie gespendet hat. Und man kann sein Telefon aufladen."
    Die Spendenbereitschaft sei ein Zeichen für den Rückhalt des Maidan in der Bevölkerung. Proteste in Weißrussland nach wieder einmal gefälschten Wahlen werden regelmäßig mit aller Härte niedergeschlagen. Fast alle Kandidaten, die gegen Alexander Lukaschenko angetreten waren, landeten im Gefängnis. Wer für sie auf die Straße ging, ebenso. Jede Art von Unterstützung der Opposition zieht in Weißrussland Schikanen nach sich. Die weißrussische Juristin, die auf dem Kiewer Maidan war, beeindruckte die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der dortigen Demonstranten, die handeln, ohne erst auf einen Befehl zu warten. Als Anwältin lobt sie außerdem:
    "Es gibt für Betroffene, die schnell juristischen Beistand brauchen, viel mehr Anlaufstellen als in Minsk. Ukrainische Anwälte engagieren sich sehr aktiv und absolut freiwillig. Die Mehrzahl der Ukrainer besteht darauf, dass sie rechtmäßig behandelt werden, das ist ebenfalls angenehm."
    Parteichef Anatoli Lebedko befürchtet, einen Misserfolg des Maidan, denn der wäre nicht nur eine enorme Enttäuschung, sondern brächte große Motivierungsprobleme für alle Oppositionellen in den autokratisch geführten postsowjetischen Ländern. Andrej Strischak, ein junger Gewerkschaftsfunktionär, wollte sich in Kiew selbst ein Bild machen, wer auf die Straße protestieren geht, denn den weißrussischen Medien vertraute er nicht.
    "Die Propaganda in Weißrussland verbreitet, dass es sich um Verbrecher und Banditen, um Terroristen und Extremisten handelt. Genau so sprach man in Kiew im Janukowitsch-Lager über die Maidan-Leute, bezeichnete sie sogar als Feinde der Ukraine. Am interessantesten aber fand ich, dass beide Gruppierungen den Weg nach Europa wollen. Die Maidan-Leute sehen die Zollunion sehr kritisch, aber seltsamerweise hat bei den Janukowitsch-Leuten niemand die Zollunion unterstützt."
    Die Weißrussen erleben seit Jahren am eigenen Leib, was es heißt, mit Russland eine Zollunion zu bilden. Vor Schikanen hat sie das nicht bewahrt, wie der sogenannte Kalikrieg im Sommer bewies. Doch der weißrussischen Regierung wäre es sogar nicht unrecht, wenn die Ukraine Russland den Rücken kehrt, weil Moskau dann nicht mehr beide Länder subventionieren müsste, und Minsk vielleicht mehr Hilfe aus dem Kreml bekäme.