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Ukrainische Partei "Diener des Volkes"
Zwischen Reformen und Oligarchen

Mit vielen neuen Gesichtern hat die Partei "Diener des Volkes" von Wolodymyr Selenskyi vor einem Jahr die ukrainischen Parlamentswahlen gewonnen. Die Abgeordneten konnten wichtige Gesetze verabschieden – aber ihre Unerfahrenheit und der Einfluss von Oligarchen sind ein Problem.

Von Peter Sawicki | 21.07.2020
Die neu gewählten Abgeordneten des ukrainischen Parlaments stehen während der Vereidigung.
Seit einem Jahr gewählt: Die Abgeordneten des ukrainischen Parlaments bei ihrer Vereidigung (SERGEI SUPINSKY / AFP)
Als im Juli 2019 das ukrainische Fernsehen über den Tag der Parlamentswahl berichtete, fieberte auch Halyna Yanchenko mit. Nach der Wahl des Schauspielers Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten zwei Monate zuvor, sollte die Erneuerung der Politik vollendet werden.
Es klappte. Aus dem Stand holte Selenskyjs neue Partei "Diener des Volkes" 43 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit. Dem eigenen Vorbild folgend, hatte er nur auf neue Kräfte gesetzt – Halyna Yanchenko gehörte dazu. Nach dem ersten Jahr als Abgeordnete bemerkt sie zunächst, dass sie mehr arbeitet als früher:
"Das ist aber nichts im Vergleich zum psychologischen Aspekt, der mit der Verantwortung einhergeht. Ich habe außerdem begriffen, dass gute Initiativen allein nicht ausreichen. Diskussionen darüber mit verschiedenen Akteuren gehören auch dazu."
Wichtige Vorhaben wurden umgesetzt
Für Yanchenko bedeutet das etwa, bürgernah zu arbeiten. In ihrer Sprechstunde geht sie gerne mit Interessierten joggen und trinkt mit ihnen danach Kaffee. Inhaltlich liegt ihr Fokus auf dem Kampf gegen Korruption. Als Aktivistin hat sich Yanchenko damit schon zuvor intensiv befasst. Es ist ein Thema, das die Menschen im Land umtreibt. Kurz nach der Wahl erließen die "Diener des Volkes" ein Gesetz, das die Immunität von Abgeordneten aufhebt – für Yanchenko ein Meilenstein:
"Die Immunität von ukrainischen Abgeordneten war praktisch unantastbar. Es konnte keine Anklage erhoben werden, bevor nicht das ganze Parlament grünes Licht gab. Dieses Verfahren hat aber nicht funktioniert. Wenn alle wissen, dass gegen jemanden ermittelt werden soll, dann wird diese Person alles tun, um Beweise zu vernichten."
Es war auch ein Erfolg für Präsident Selenskyj. Zügig wurde eine Reihe weiterer Reformen umgesetzt. Beispielsweise wurde das Oberste Antikorruptionsgericht gestärkt.
Risse in der Fraktion
Doch mit der Zeit taten sich die "Diener des Volkes" schwerer, Gesetze zu erlassen. Das zeigte sich auch im Mai beim sogenannten Bankengesetz. Es verbietet, verstaatlichte Geldhäuser an die früheren Eigentümer zurückzugeben – eine Auflage des Internationalen Währungsfonds, der der Ukraine Kredite gewährt. Obwohl der Präsident persönlich für das Gesetz warb, waren Stimmen der Opposition nötig.
Petro Baykovskyy, Politologe an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw, sieht darin ein Muster: "Die ‚Diener des Volkes‘ sind eine Partei ohne Ideologie, eine Art Ansammlung von Selenskyjs Fans, die er rekrutiert hat. Als er anfangs viel Zustimmung hatte, konnte er voll auf sie zählen. Nachdem seine Werte aber anfingen zu sinken, haben sich einige offenbar gedacht – wenn der Präsident an Zustimmung verliert, sollten wir andere Interessen vertreten."
Unerfahrenheit der Abgeordneten ein Problem
Baykovskyy meint, es habe sich nicht bewährt, nur auf frische Personen zu setzen. Nach seiner Rechnung bestehen die "Diener des Volkes" zu etwa einem Drittel aus Leuten ohne Fachkompetenz. Das berge ein Risiko:
"Politiker ohne viel Ahnung sind sehr leicht zu beeinflussen. Die meisten Neuen hatten zwar zuvor wohl nichts mit Oligarchen zu tun. Diese haben sich aber Zutritt verschafft. Mächtige Leute wie Ihor Kolomoyskyj oder Rinat Achmetow kontrollieren viele Massenmedien. Für ukrainische Politiker wiederum sind Medienauftritte oft essentiell. Das kostet aber etwas. Und zwar nicht Geld, sondern ein passendes Stimmverhalten."
Oligarchen nehmen Einfluss auf die Politik
Es zeigt sich also – Oligarchen wirken weiter direkt auf Politiker ein. Laut Experten liegt das auch am Präsidenten selbst: Statt den Einfluss von Oligarchen zu begrenzen, versuche Wolodymyr Selenskyj, zwischen ihren Interessen zu vermitteln. Diese Strategie, so die Befürchtung, könnte aber dauerhaft zulasten von Reformen gehen.
Die Abgeordnete Halyna Yanchenko bestreitet einen Einfluss durch Oligarchen nicht. Sie betont aber, dass man grundsätzlich auf dem richtigen Weg sei:
"Ich finde, wenn wir von etwa 20 Abgeordneten ausgehen, die beeinflusst werden, dann ist das nicht viel. Das Kernteam der Fraktion besteht aus ehrlichen Personen, denen ich vertraue. Sie sind nicht korrupt. Ich unterstütze diese Leute, denn sie haben gute Ideen und die realen Probleme von Menschen im Blick."
Große Reformen, schiebt sie hinterher, bedürften manchmal viel Zeit.