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Ulrike Guérot
"Man ziert sich gerade sehr, in der Europapolitik klare Positionen zu beziehen"

Wie sieht das europäische Konzept gegen nationalen Egoismus und Abschottung aus? Von Bundeskanzlerin Angela Merkel habe es dazu beim Weltwirtschaftsforum in Davos wenig Konkretes gegeben, monierte Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot im Dlf. Das betreffe auch das deutsch-französische Verhältnis.

Ulrike Guérot im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Ulrike Gúerot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung, zu Gast in einer Talksendung.
    Ulrike Gúerot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung (imago)
    Sandra Schulz: Morgen wird US-Präsident Donald Trump ja in Davos erwartet, genauer gesagt seine Rede. Seinen Auftritt vor dem Weltwirtschaftsforum hat er ja Anfang der Woche schon aufgemischt mit seinen Strafzöllen auf Solarpaneele und Waschmaschinen. Gestern stemmten sich europäische Staatschefs verbal gegen nationalen Egoismus. Der französische Präsident Macron und der italienische Ministerpräsident Gentiloni forderten eine stärkere internationale Rolle der EU. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte:
    O-Ton Angela Merkel: "Wir glauben, dass Abschottung uns nicht weiterführt. Wir glauben, dass wir kooperieren müssen, dass Protektionismus nicht die richtige Antwort ist. Und wir glauben, dass dann, wenn wir untereinander der Meinung sind, dass die Dinge nicht fair zugehen, dass die Mechanismen nicht reziprok sind, dass wir dann multilaterale Lösungswege suchen sollten und nicht unilaterale, die letztlich die Abschottung und den Protektionismus nur befördern."
    Schulz: Angela Merkel gestern in Davos. – Aber wie soll Europa das eigentlich stemmen, diesen Kampf gegen Abschottung? Unter anderem darüber können wir in den nächsten Minuten sprechen. Am Telefon ist Professor Ulrike Guerot, Politikwissenschaftlerin an der Donau-Universität Krems und Gründerin des European Democracy Lab, einer Denkfabrik, die sich über europäische Fragen beugt. Schönen guten Morgen!
    Ulrike Guerot: Guten Morgen.
    Merkel und Macron ohne konkrete Forderungen
    Schulz: Das Werben für Zusammenhalt und gegen Abschottung, ist das Pfeifen im Walde?
    Guerot: Na ja. Die Rede von Frau Merkel war schon eher eversiv. Es war ein starkes Plädoyer. Aber mit konkreten Forderungen ist weder sie, noch Herr Macron angetreten, und das konnte man schon merken, dass man da auch ein bisschen, ich sage mal, doch im Dunkeln gestochert ist. Die EU ist nicht unbedingt hervorgetreten jetzt mit klaren Ansagen, was sie dagegen tun möchte, gegen diese Abschottung.
    Schulz: Dieser große Zusammenhang, in dem das stehen könnte, den sehen Sie so konkret gar nicht, sondern das ist jetzt wirklich die Auseinandersetzung über die wirtschaftlichen Signale, den Protektionismus, der Donald Trump ja offenbar vorschwebt?
    Guerot: Genau. Ich glaube, es geht tatsächlich um eine politische Positionierung. Wir hatten ja letztes Jahr in Davos das Bekenntnis des chinesischen Premierministers sehr stark für den Freihandel. Interessanterweise dieses Mal von Herrn Trump, dem amerikanischen Präsidenten, wo man das Gegenteil erwarten würde in der klassischen Wahrnehmung des freien Westens, dass natürlich jetzt die Amerikaner als die Protektionisten daherkommen. Das erschüttert ein bisschen auch das westliche Selbstverständnis. Und da konnte man gestern schon sehen, dass Macron, Frau Merkel, Gentiloni, Trudeau übrigens auch natürlich, der kanadische Premierminister, im Grunde die Viererriege waren, die gesagt haben, wir stellen uns dagegen, wir brauchen weiter ein offenes Weltsystem, Weltwirtschaftssystem, aber vor allen Dingen auch ein offenes politisches System.
    Das ist auch alles gut gewesen. Ich will ja gar nichts dagegen sagen. Das was mir bei der Rede von Frau Merkel, die Sie ja gerade eingespielt haben, ein bisschen gefehlt hat, ist, dass man das tatsächlich mal ausbuchstabiert hätte, und das ist nicht geschehen. Es ging ja dann um die starke Rolle Europas und wenn man jetzt diese Rede mal genau anguckt – 35 Minuten waren es ja -, findet man wirklich sehr, sehr wenig, wo sie sagt, was will denn da Europa konkret tun.
    "Europa hat keinen Konsens"
    Schulz: Aber das Problem ist doch auch, dass dieses Ausbuchstabieren, so wie Sie es sagen, oder der Anspruch, das konkret zu machen, dass Europa da überhaupt keinen Konsens hat.
    Guerot: Keinen Konsens, nicht nur das, sondern auch natürlich nicht immer mit einem guten Beispiel vorangeht. Natürlich haben auch wir protektionistische Maßnahmen mit Blick auf Afrika, Agrarpolitik und so weiter und so fort. Das ist das eine. Und in der Tat gibt es keinen Konsens, weil natürlich Deutschland selber, ich sage mal, im Fokus ist von strittigen oder von kritischen Stimmen, wenn es darum geht, wohin exportieren wir. Sie hatten ja eben auch Waffenhandel als eines der großen Themen. Handelsbilanzunterschiede innerhalb der Eurozone sind ein ganz anderes starkes strittiges Thema. Bankenunion wurde angesprochen. Das sind alles diese Themen, wo im Grunde die Europäische Union auch hinter der Realität ihrer politischen Ambitionen zurückbleibt.
    "Man hätte ganz viele klare Punkte formulieren können"
    Schulz: Das ist schon oft kritisiert worden. Aber wenn wir jetzt gerade im Gespräch sind und Sie ja auch anmerken, die geschäftsführende Kanzlerin sei nicht konkret geworden, in welchen Punkten hätte sie denn auch in der schwierigen Situation in Berlin im Moment konkret werden können?
    Guerot: Na ja. Macron war da. Es war angekündigt als eine Rede für Europa, die im Wesentlichen allerdings wenige wirklich europäische Elemente enthalten hat. Wir haben am Vortag noch oder ein paar Tage vorher gesehen den deutsch-französischen Schulterschluss anlässlich des 55. Jahrestages des Elysée-Vertrages. Macron und Merkel waren beide präsent. Man hätte die Reden von Macron, die ja auf dem Tisch liegen, die Athener Rede, die Sorbonner Rede, noch mal zusammennehmen können, wenn man schon einen gemeinsamen Auftritt hat, und ganz viele klare Punkte formulieren können mit Blick auf Bankenunion, mit Blick auf Eurozone, mit Blick auf Eurozonen-Governance und so weiter, all die Fragen, die jetzt ganz im Raum stehen auch mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen, und das hätte man schon mal durchdeklinieren können: Erstens, zweitens, drittens, das ist die Eurozone, so werden wir handeln, so wird unsere Finanzpolitik aussehen und so weiter. Das ist schon eher nicht geschehen.
    Ein ganz konkreter Punkt: Frau Merkel spricht von der Vollendung der Bankenunion in dieser Rede, sagt aber im Nachsatz, eine Haftungsunion kann es natürlich nicht geben. Das ist natürlich schon ein Problem vor dem Hintergrund des dritten Punkts der Bankenunion, der nämlich ein gemeinsamer Einlagenfonds ist. Insofern ist mir das schon ein bisschen halbgar gekocht vorgekommen, was da gestern gesagt wurde, so sehr ich das starke Plädoyer in dem politischen Kontext verstehe.
    Mehr "Daumen runter" als "Daumen hoch" bei Youtube
    Schulz: Aber sehen Sie dieses Tandem Macron-Merkel, Frankreich-Deutschland, sehen Sie das denn überhaupt? Denn bei diesen Vorschlägen, die Macron vorgelegt hat, da sind ja auch viele Punkte drin, zu denen man in Berlin im Moment vielleicht ganz froh ist, dass man sich gar nicht dazu verhalten kann. Dieser Vorschlag für einen eigenen europäischen Haushalt, das will doch mehrheitlich, wenn wir jetzt auf die Regierungskoalition schauen, die sich möglicherweise abzeichnet, das Regierungslager nicht.
    Guerot: Ja, das ist genau das Problem. Und insofern - noch mal zurück zu der Rede von gestern oder den beiden Reden – war das auch nicht sehr überzeugend. Übrigens ganz interessant, ich habe die Rede gestern auf YouTube gesehen, aber da gibt es ja immer diese "Daumen hoch", "Daumen runter". Und es war ganz interessant, dass bei Merkels Rede doppelt so viele Daumen nach unten zeigen wie nach oben.
    Übrigens auch ganz interessant kontrastiert dann zu der Wahrnehmung in der Presse. Wenn Sie das gestern ein bisschen gegoogelt haben, war ja jetzt die deutsche Wahrnehmung dieser Rede erst mal, Frau Merkel tritt wieder auf, sie ist wieder da nach langem Schweigen, sie bietet ein europäisches Konzept an, und es war eher eine, ich sage mal, willkommene Wahrnehmung in der Presse – übrigens auch immer mit dem Unterton, jetzt ist sie wieder da und Macron ist nicht mehr alleine und kann nicht mehr ganz alleine den europäischen Ruf hier abnehmen. Das fand ich schon ein bisschen deplatziert, weil ich finde, Sie haben völlig recht: Das deutsche Commitment, jetzt einen französischen Handschlag zu geben, das ist noch nicht sehr sichtbar. Wir müssen die Koalitionsverhandlungen abwarten. Man ziert sich da gerade sehr, in der Europapolitik klare Positionen zu beziehen. Das alles ist ein Zuwarten, was jetzt schon wirklich mehrere Monate dauert.
    Auch vor diesem Hintergrund hätte ich mir jetzt gestern von Frau Merkel in Davos ein bisschen mehr Konkretisierung erwartet, zumal ja Macron auch präsent war und zumal wir gerade den Jahrestag gefeiert haben – übrigens auch mit eher banalen Forderungen. Die Elektromobilität oder die Zusammenarbeit bei der Produktion von irgendwelchen Solarenergien als deutsch-französischen Schulterschluss zu zelebrieren anlässlich des 55. Jahrestages, ist auch ein bisschen, ich sage mal, neben der politischen Bedeutung dieses Tandems in der Situation, in der wir jetzt stehen.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner