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Umbau des Energiesystems
Rund 1,1 Billionen Euro für die Wende

In Deutschland sollen Wind und Sonne die Energieversorgung in kürzerer Frist übernehmen. Bis Mitte des Jahrhunderts soll im Stromsektor der Umstieg im Wesentlichen geschafft sein. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hat sich mit Kosten und technischen Herausforderungen der Energiewende auseinandergesetzt und in Berlin eine Studie vorgelegt.

Von Philip Banse | 05.11.2015
    Ausgetrocknete Böden und Wasserdampf aus Kohlekraftwerken - In Jänschwalde kümmert der Klimawandel kaum einen Kraftwerksmanager (Aufnahme von 2015)
    Würden Kohle und Öl deutlich teurer werden und der Ausstoß einer Tonne CO2 100 Euro kosten, dann würde die Umstellung auf erneuerbare Energien sogar noch Geld sparen. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Muss man sich langfristig auf weiter steigende Strompreise einstellen?
    "Tendenziell ja, zumindest wenn der Umbau des Energiesystems auch weiterhin von den Stromkunden gezahlt wird. Denn wenn wir bis 2050 die energiebedingten CO2-Emissionen um 80 bis 85 Prozent senken wollen, wird das wahrscheinlich alles in allem von heute bis 2050 rund 1,1 Billionen Euro kosten", sagt Hans-Martin Henning vom Fraunhofer Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.
    "Das ist eine große Zahl. Man kann das aber versuchen in Relation zu stellen. Wenn man das aufs Jahr umrechnet, sind das so rund 30 Milliarden Euro und sind ungefähr 0,8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Dann ist es auch nicht mehr ganz so eine erschreckende Zahl."
    30 Milliarden also pro Jahr. Dieser Preis gilt jedoch nur unter zwei Voraussetzungen: Fossile Energieträger wie Kohle und Öl werden nicht deutlich teurer. Und: CO2 darf weiter weitgehend umsonst in die Luft geblasen werden. Würden Kohle und Öl deutlich teurer werden und der Ausstoß einer Tonne CO2 100 Euro kosten, dann würde die Umstellung auf erneuerbare Energien sogar noch Geld sparen. Aber das hält Energieforscher Henning eben nicht für sehr wahrscheinlich. Denn auch andere Länder würden wegwollen von Kohle und Öl.
    "Dann werden fossile Energieträger kostengünstig bleiben, einfach weil die Nachfrage auf dem Weltmarkt abnehmen wird. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man sie teuer macht, dadurch, dass CO2-Emissionen bepreist werden, denn ansonsten gibt es wenig makro-ökonomische Triebkräfte einen solchen Umstieg wirklich zu stimulieren."
    Raus aus der Kohleverstromung
    So ein System, das CO2 ein Preisschild gibt, gibt es ja, der Europäische Emissionshandel, aber der funktioniert nicht gut. Die umfangreichen Simulationen des Fraunhofer Instituts haben einen Faktor gefunden, der die Energiewende in jedem Szenario senkt billiger macht: Ein möglichst schnelles Ende der Stromgewinnung aus Kohle:
    "Weil wir letztlich damit Platz schaffen für CO2-Emissionen aus Erdgas, aus Energieträgern also, die spezifisch niedrigere CO2-Emissionen haben. Und damit machen wir das System in Summe kostengünstiger. Auch weil wir etwas geringere Mengen an erneuerbaren Energiewandlern haben."
    Also Raus aus der Kohleverstromung, Emissionshandel reparieren. Eine weitere Stellschraube, um die Energiewende effizient zu gestalten, sei die Sanierung von Gebäuden. Denn wenn weniger Wärmer verbraucht wird, muss weniger produziert werden. Energieforscher Henning fordert, dass alle Gebäude in Deutschland auf das energetische Niveau heutiger Neubauten gebraucht werden. Dafür müssten aber jedes Jahr mehr als zwei Mal so viele Gebäude saniert werden derzeit:
    "Das ist schon eine Verzweieinhalbfachung ungefähr dessen, was wir heute als Sanierungsrate haben, damit wir das wirklich bis 2050 auch im Bestand umgesetzt haben. Das ist schon ordentlich."
    Bürgerbetriebene Energieanbieter fördern
    Die Studie zeigt aber auch: Wenn der Umbau des Energiesystems einmal geschafft ist, kostet Energie genauso viel wie heute. Zwar muss dann kaum mehr etwas für Brennstoffe ausgegeben werden, aber das System an sich ist viel komplexer und anspruchsvoller: Wenn viel Strom vorhanden ist, muss viel verbraucht oder gespeichert werden, als Wärme oder in Batterien oder auch Elektroautos. Technisch sei das dank Internet, Digitalisierung und technischer Innovation möglich, da ist sich Energieforscher Henning sicher:
    "Meines Erachtens ist die große Hürde eher: Wie kann das im gesellschaftlich-politisch-wirtschaftlichen Raum umgesetzt werden? Wie müssen wir den Marktrahmen entwickeln, um diese Investitionen anzureizen? Wie können wir die Bürger mitnehmen, dass sie nicht nur akzeptieren, sondern besser sogar partizipieren, um das wirklich zu einem gesellschaftlichen Projekt zu machen?"
    Die Politik müsse daher dezentrale, bürgerbetriebene Energieanbieter fördern. Außerdem müsse ein flexibler Stromtarif her: Billig, wenn viel Strom da ist und verbraucht werden muss, teuer, wenn Strom rar ist.