Donnerstag, 25. April 2024

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Umfrage an Hochschulen
"Alte Flexibilität ist verloren gegangen"

Zu viel Bürokratie, zu wenig Zeit für die Lehre: Eine aktuelle Umfrage des Allensbach-Instituts zeigt, dass viele Professoren und Dozenten mit der aktuellen Lehrsituation unzufrieden sind. Die Bologna-Reform wurde dabei besonders schlecht bewertet, sagte Projektleiter Thomas Petersen im DLF.

Thomas Petersen im Gespräch mit Kate Maleike | 21.12.2016
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen am Mittwoch (12.04.2006) eine Vorlesung im Fach Maschinenbau. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat haben im Rahmen der Exzellenzinitiative die RWTH Aachen auf ihre Liste der Elite-Unive.
    Die Bologna-Reform kommt in der aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts schlecht weg. (Oliver Berg / dpa)
    Kate Maleike: Eine zunehmende Bürokratie an den Hochschulen schadet der Lehre – so bringt es eine Umfrage auf den Punkt, die das Allensbach-Institut heute vorgelegt hat. Im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes waren dafür im Oktober rund 1.000 Professoren, Juniorprofessoren und Privatdozenten beziehungsweise Privatdozentinnen befragt worden. Und bei diesem na, sagen wir mal, Stimmungsbericht sind noch andere interessante Aussagen herausgekommen. Über die wollen wir jetzt sprechen mit Dr. Thomas Petersen, er ist der Projektleiter beim Allensbach-Institut und hat die Befragung durchgeführt. Guten Tag, Herr Petersen!
    Thomas Petersen: Guten Tag!
    Maleike: Was wurde denn berichtet, was genau schadet der Lehre und wie?
    Petersen: Diese Schlussfolgerung, dass die Bürokratie der Lehre schadet, ziehen wir daraus, dass wir schon vor 40 Jahren eine solche Umfrage gemacht haben, und gefragt haben, wie viel Zeit die Professoren und Lehrer verwenden für ihre verschiedenen Tätigkeiten. Und da sehen wir, dass von 1976 42 Prozent der Arbeitszeit auf Lehre entfielen, und heute sind es noch 28. Gewachsen ist dagegen der Anteil der Tätigkeiten, die mit Forschung und Lehre gar nicht direkt was zu tun haben. Akademische Selbstverwaltung, Schreiben von Anträgen und ähnlichen Dingen.
    "Es gibt viele negative Äußerungen über Bologna"
    Maleike: Was sind weitere wichtige Erkenntnisse Ihrer Umfrage?
    Petersen: Es gibt eine ganze Vielzahl. Wir haben versucht, die Lage von Forschung und Lehre in ihrer ganzen Breite darzustellen. Dazu gehört beispielsweise die Frage, wie die Professoren und anderen Lehrenden ihre eigenen Institute sehen. Und da gibt es ein größeres Selbstbewusstsein als damals. Der Anteil derjenigen, die sagen, wir haben vorzügliche Forscher, die zu den Besten ihres Faches gehören, hat merklich zugenommen.
    Eine andere Geschichte: Wir haben uns um den Bologna-Prozess noch mal gekümmert. Das ist jetzt 15 Jahre her, kann man sagen, das wird man nicht mehr rückgängig machen können. Und trotzdem wollten wir mal Bilanz ziehen. Und da sehen wird, dass im Grunde die Ziele, mit denen der Bologna-Prozess angestoßen wurde – dass es leichter werden soll, Hochschulen zu wechseln, dass die Absolventen besser auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind –, aus Sicht der Lehrer vollkommen gescheitert sind. Es gibt viele negative Äußerungen über Bologna, aber kaum positive.
    Maleike: Wie haben Sie denn danach gefragt? Haben Sie gefragt, ist der Bologna-Prozess gescheitert, oder haben Sie danach gefragt, welche Reformen beuteln euch?
    Petersen: Weder noch. Wir haben eine Liste vorgelegt und haben gefragt: Im Folgenden haben wir einige Aussagen zum Bologna-Prozess – welchen dieser Aussagen würden Sie zustimmen? Und dann wird eine Liste vorgelegt, und da wählten 79 Prozent der Befragten die Aussage aus, der Bologna-Prozess habe zu mehr Bürokratie an den Hochschulen geführt. Und 72 Prozent sagen, es habe die Lehre unflexibler gemacht, und ebenfalls fast zwei Drittel sagen, es gebe höhere Prüfungsbelastungen.
    Was ich persönlich besonders bemerkenswert finde, ist, dass 62 Prozent sagen, Bologna habe dazu geführt, dass die Studenten kein selbstständiges Denken ausbilden können. Und die positiven Listenpunkte sind von maximal 25 Prozent ausgewählt worden.
    Maleike: Das heißt, Ihre Umfrage hat noch mal belegt, aus Sicht der Hochschullehrer ist Bologna gescheitert, und zwar krachend?
    Petersen: So würde ich es ausdrücken, ja.
    "Die Berufschancen der Absolventen werden besser beurteilt"
    Maleike: Kommen wir noch mal zurück auf weitere Aussagen. Gibt es was Positives, wo Sie sagen können, aus den 40 Jahren, die ja zwischen der schon genannten Umfrage von 1976 und heute liegen, gibt es da eine positive Entwicklung auch in bestimmten Bereichen?
    Petersen: Ganz eindeutig besser beurteilt werden die Berufschancen der Absolventen beispielsweise, oder auch die Gefahr, dass talentierte Studenten bzw. Assistenten an der Hochschule keine Chance haben könnten. Das hat sich wesentlich verbessert. Der Anteil derer, die sagen, wir haben viele Forschungsergebnisse, die nützlicher Anwendung in der Praxis versprechen, ist von 48 auf 60 Prozent gestiegen. Und der Anteil derer, die sagen, wir haben an unserem Institut hervorragende Wissenschaftler, die zu den führenden Leuten in unserem Fach zählen, ist von 45 auf 59 Prozent gestiegen.
    Es ist auch nicht so, wie oft behauptet wird, dass die Assistenten und Doktoranden mehr ausgebeutet würden als früher, und dass also der Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre so stark abgeschnitten wäre. Jedenfalls haben die Klagen nicht zugenommen. Also es gibt durchaus positive Aspekte.
    Maleike: Wobei wir natürlich wissen, dass leider sehr viele Privatdozenten zum Beispiel auch prekär beschäftigt sind. Das haben ja andere Studien auch gezeigt, das ist dann vielleicht in ihrer Umfrage nicht so deutlich geworden.
    Petersen: Wir haben auch danach gefragt, wie zufrieden die Leute mit ihrem Einkommen sind, beispielsweise, und auch da muss man sagen, da hat sich seit 1976 nicht sehr viel verändert. Die Zufriedenheit ist – na ja, geht so. Die meisten sind zufrieden, auch durchaus die Juniorprofessoren und Privatdozenten.
    Maleike: Wie sieht es denn eigentlich aus mit den Chancen der Frauen in der Wissenschaft? Haben Sie dazu auch was herausgefunden?
    Petersen: Die haben sich aus Sicht der Befragten erheblich verbessert. Es ist doch schön, wenn man so eine alte Umfrage hat, dann kann man richtige Vergleiche anstellen. Da gibt es die Frage, wenn Sie mal an die Besetzung der Stellen von Nachwuchswissenschaftlern in Ihrem Fach denken, haben Ihrem Eindruck nach weibliche Nachwuchswissenschaftler geringere oder größere Chancen, eine Anstellung an der Hochschule zu bekommen? 1976 war das ganz eindeutig, da sagte praktisch überhaupt niemand, sie hätten größere Chancen, aber sehr viele, sie hätten geringere. Heute ist es umgekehrt. Aus der Frauendiskriminierung der 70er-Jahre ist aus Sicht der Befragten heute eine Männerdiskriminierung geworden.
    "Mehr Spielraum für individuelle Abweichung lassen"
    Maleike: Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich denn jetzt aus dem, was Sie herausgefunden haben? Was wünschen sich die Befragten?
    Petersen: Man wird die Zeit nicht zurückdrehen können. Aber was offensichtlich verloren gegangen ist, ist die alte Flexibilität. Da gibt es minutiöse Beschreibungen über Stundenpläne und Modulinhalte, und der Professor hat im Grunde gar keine Wahl mehr, spontan auf irgendwas zu reagieren oder sich hinzustellen und zu sagen, gucken Sie mal, was ich hier tolles Neues herausgefunden habe. Das geht alles nicht mehr. Ich glaube, man muss es sozusagen ein bisschen – dieses Korsett der Lehre und damit eben indirekt auch der Forschung durchlüften und wieder mehr Spielraum für individuelle Abweichung lassen.
    Maleike: Zu viel Bürokratie, zu wenig Zeit und Luft für die Lehre. Eine Allensbach-Umfrage liefert jetzt ein frisches Stimmungsbild aus den Reihen von Professoren, Juniorprofessoren und Privatdozenten beziehungsweise Privatdozentinnen und zeigt auch, wie sich das Bild seit 1976 verändert hat. In "Campus & Karriere" war das dazu der Projektverantwortliche Doktor Thomas Petersen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Petersen: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.