Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Umfrage unter Athlet*innen
Politische Äußerungen sollen verboten bleiben

Regel 50 der Olympischen Charta verbietet politischen Protest bei Olympischen Spielen. Laut einer IOC-Umfrage unter Athlet*innen soll das so bleiben. Protestbekundungen bei Siegerehrungen wären demnach weiter verboten. Der Verein Athleten Deutschland und Andere üben Kritik.

Von Mathias von Lieben | 22.04.2021
Siegerehrungim Mannschaftswettbewerb der Florettfechter bei den Pan am Games in Lima. US-Goldmedaillengewinner Imboden kniet während der Hymne.
Kniefall während der Siegerehrung soll bei Olympischen Spielen weiterhin verboten bleiben (Twitter)
67 Prozent der an der Umfrage rund 3.500 beteiligten Athlet*innen aus 185 Ländern halte Protest auf dem Podium für unangebracht. Das sagte die Vorsitzende der IOC-Athletenkommission Kirsty Coventry am späten Mittwochabend nach der Sitzung der IOC-Exekutive. 70 Prozent hätten sogar gefordert, dass auch auf dem Spielfeld sowie bei offiziellen Zeremonien nicht protestiert werden dürfe. Die Konsequenz: Regel 50 der Olympischen Charta soll laut IOC in dieser Hinsicht auch für Tokio unverändert bleiben, politische Neutralität gewahrt werden. Widerspruch kommt von Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland:
"Unsere Meinung ist, dass wenn ein Athlet, eine Athletin ein Anliegen verfolgt, das sich im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt, dass sie auch auf dem Podium diese Haltung äußern darf. Das IOC zeigt damit ganz klar, dass es das aus seiner Sicht legitime Ziel verfolgt, die politische Neutralität zu wahren und eben die Rechte des einzelnen Athleten, die grundlegenden Rechte des Einzelnen, eben nicht höher bewertet."
Der frühere Basketball-Nationalspieler Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland
Der frühere Basketball-Nationalspieler Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland (Maurizio Gambarini / dpa)
"Diese Haltung ist alles andere als zeitgemäß, überrascht aber wohl niemanden", kritisiert auch Dagmar Freitag, Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses gegenüber dem SID.
Dagmar Freitag (SPD), Bundestagsabgeordnete, steht nach einer Pressekonferenz zum Stand der geplanten Olympia-Bewerbung 2032 im Hotel «Vier Jahreszeiten» .
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag (picture alliance/dpa | Fabian Strauch)

Zweifel an der Umfrage als Entscheidungsgrundlage

In den vergangenen Monaten ist der Druck auf das Internationale Olympische Komitee gestiegen, Lockerungen von Regel 50 zuzulassen. So hatte das Nationale Olympische Komitee der USA im Dezember angekündigt, Sportler*innen nicht mehr für friedlichen Protest bestrafen zu wollen.
Anlass war der gewaltsame Tod von George Floyd, auf den auch Athlet*innen mit Protest aufmerksam machen wollten. Laut IOC-Athletenkommission sprachen sich jedoch viele Umfrageteilnehmenden für alternative Möglichkeiten der Meinungsäußerung aus. Zum Beispiel durch Slogans wie "Frieden" oder "Respekt" auf der Sportkleidung, einer Anti-Diskriminierungs-Aktion bei der Eröffnungsfeier – oder einem speziellen Bereich im olympischen Dorf für Demonstrationen. Für Johannes Herber viel zu wenig:
"Wir bezweifeln, ob eine solche Umfrage die Grundlage dafür sein sollte, um eine pauschale Einschränkung der Meinungsfreiheit zu legitimieren. Denn Meinungsfreiheit ist auch ein Mittel für Machtkritik, es erwächst aus einem Schutzbedürfnis von Minderheiten. Und ich glaube das ist sehr stark in Zweifel zu ziehen, dass eine Mehrheit über ein Recht von Minderheiten abstimmt."
Die weltweite Sportlervereinigung Global Athlete geht einen Schritt weiter: Das IOC würde mit dieser Entscheidung fundamentale Athlet*innen-Rechte unterdrücken. Zudem sei die Methodik der Umfrage fehlerhaft und tendenziös.