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"Umfragen haben mich noch nie interessiert"

Die CSU habe sich nach einer nicht ganz einfachen Phase nach 2008 wieder stabilisiert, sagt Hans-Peter Friedrich, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Als Grundtenor der Wahlkämpfe im Jahr 2011 erwartet er die Entscheidung zwischen dem "mutigen und technologieorientierten" bürgerlichen Lager und der "ängstlichen Verweigerung" durch die Grünen.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Christel Blanke |
    Blanke: Herr Friedrich, fürchten Sie sich vor 2011?

    Friedrich: Nein, überhaupt nicht. Ich gehe mit großem Optimismus in das Jahr, ich glaube, dass es ein gutes Jahr wird.

    Blanke: Ich habe gedacht, Sie fürchten sich, weil die CSU das "Jahr der Frau" ausgerufen hat.

    Friedrich: Nein, nein, im Gegenteil, auch das ist etwas, was ich durchaus mit Freude sehe.

    Blanke: Gut, reden wir später über ein paar Frauen. Ich würde aber zuerst gerne ein anderes Thema ansprechen, worüber alle im Moment sprechen, und zwar die Wetterprobleme der Bahn. Bevor Sie Landesgruppenchef wurden, waren Sie in der Fraktion zuständig für den Bereich Verkehr unter anderem. Man fragt sich ja, wieso kommt die Bahn immer wieder an diesen Punkt. Das ist ja nicht nur im Winter so, das ist auch im Sommer so, wenn es sehr heiß wird. Hat sich das abgezeichnet, hat die Bahn Fehler gemacht?
    Friedrich: Die hoch modernen Züge, die wir heute haben, sind nicht mehr vergleichbar mit dem, was früher an Material da war. Also ich komme aus einer Eisenbahnerstadt - Hof -, wo man eben früher bei minus 20 Grad angefangen hat, mit dem Schneidbrenner die Bremsen zu lockern. Das können Sie natürlich heute bei diesen hoch modernen Zügen nicht mehr machen. Die kriegen in extremen Wettersituationen Probleme. Aber ich gebe zu, dass es schon sehr bedenklich ist, dass wir im Sommer dieses Problem mit den Klimaanlagen hatten und jetzt wieder diese enormen Probleme. Also da wird sich auch die Herstellerindustrie mal fragen müssen, ob sie nicht ein bisschen weiterentwickeln muss, was sie da an Material den Unternehmen anbietet. Also da hat die Bahn sicher große Schwierigkeiten zu bewältigen, und das wird sicher auch eine große organisatorische Herausforderung in der Zukunft sein.

    Blanke: Hat die Bahn womöglich sich im Inland kaputtgespart zu Gunsten von Auslandsinvestitionen oder auch dem geplanten Börsengang?

    Friedrich: Die Bahn ist ein großes, international aufgestelltes Unternehmen. Natürlich, es ist ein Konzern, bei dem der Personenverkehr auf der Schiene nur ein kleiner Ausschnitt ist. Also das, was uns bewegt - ich selber bin ja auch leidenschaftlicher Bahnfahrer, auch mit allen Schwierigkeiten, die ich schon mitgemacht habe -, was uns bewegt, ist ja nur ein kleiner Ausschnitt des großen Geschäftes der Bahn. Aber ja, ich denke, man muss von der Bahn natürlich verlangen, wenn sie diesen Bereich auch in der Zukunft behalten will - wir erleben im Nahverkehr ja schon etwas anderes, nämlich dass Privatbahnen immer mehr Anteile gewinnen -, wenn sie diesen Bereich des Personenfernverkehrs behalten will, dann muss sie auch besser werden.

    Blanke: Sollte der Bund auf die 500-Millionen Euro jährlich verzichten, die er künftig von der Bahn künftig haben will zur Haushaltskonsolidierung, wie es Oppositionspolitiker fordern?

    Friedrich: Die Bahn ist ein Unternehmen, das auch Gewinne erwirtschaften soll und Gewinne abwirft, die zum Teil re-investiert werden, auch in ausländische Geschäfte, in verschiedenste Zukunftsprojekte. Aber ich glaube, dass es nur fair und gerecht ist, dass der Eigentümer der Bahn - das sind ja in dem Fall nicht die Aktionäre, sondern der Bund - eine gewisse Rendite sich ausschüttet. Insofern ist es, glaube ich, keine unberechtigte Forderung, denn Sie müssen auf der anderen Seite sehen, dass der Bund ja enorme Finanzmittel zur Verfügung stellt für das Unternehmen Bahn, um die Schieneninfrastruktur instand zu halten und auf Vordermann zu bringen. Insofern ist das, glaube ich, schon ein gerechter Ausgleich.

    Blanke: Kommen wir zu den Frauen, Herr Friedrich. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will die Regeln für die Zuwanderung von Fachkräften lockern. Sie, Herr Friedrich, sind dagegen und verweisen immer wieder auf den 1. Mai, dann nämlich, wenn der Arbeitsmarkt in Deutschland für alle Osteuropäer geöffnet wird. Aber kommen dann wirklich die Arbeitskräfte, die wir brauchen?

    Friedrich: Das Problem, dass wir Fachkräftemangel in absehbarer Zeit bekommen werden - in Deutschland, in Europa, wahrscheinlich in der gesamten industriellen Welt, kann man nicht weg diskutieren. Das liegt daran, dass wir eine immer stärker technologisierte Welt haben, dass immer mehr hoch komplizierte und komplexe Arbeitsprozesse entstehen und man natürlich hoch qualifizierte Menschen braucht - auf der einen Seite, auf der anderen Seite durch die demografische Entwicklung gerade in den Industrieländern ein geringes Potenzial zur Verfügung haben. Also, es ist ein generelles Problem, es ist nicht ein Problem nur der deutschen Wirtschaft, sondern der gesamten entwickelten Welt, dieses demografische Problem. Die Frage ist: Kann man es lösen, indem man Fachkräfte von einem Land zum anderen hin- und herschiebt? Ich sage: Natürlich gibt es in einer globalisierten Welt immer Wanderungsbewegungen, das ist überhaupt keine Frage, und ich denke, das ist auch gut, das ist auch unter vielen Gesichtspunkten richtig. Aber jedes Land sollte sich bemühen, in allererster Linie mal das eigene Potenzial optimal zu entwickeln und zu nutzen. Da haben wir in Deutschland erhebliches Potenzial, und wir haben in Europa erhebliches Potenzial. Und ich denke, wir sollten allmählich in Deutschland dazu übergehen, auch stärker europäisch zu denken und uns zum Beispiel bewusst zu machen, dass wir 22 Millionen Arbeitslose in Europa haben, die unsere gemeinsamen wirtschaftlichen Perspektiven belasten. Und deswegen denke ich, sollten wir uns auch nicht nur umschauen nach Arbeitskräften in Deutschland, sondern auch in Europa, und erst dann fragen: Was gibt es denn für Möglichkeiten, auch noch aus fernen Ländern wie China, wie Vietnam Fachkräfte zu holen? Da haben wir heute alle Möglichkeiten, wenn es notwendig ist, wir brauchen keine Veränderung der rechtlichen Lage.

    Blanke: Wenn wir aber uns Deutschland ansehen: Die meisten Langzeitarbeitslosen sind nicht hoch qualifiziert, sondern gering qualifiziert. Ist es nicht etwas einfach, sich vorzustellen, man könne die alle ausbilden und dann wären wir unser Problem schon los?

    Friedrich: Aber natürlich, das stellt sich auch niemand vor. Aber zum einen muss, glaube ich, die Bereitschaft der Wirtschaft weiter aufrecht erhalten werden, junge Leute auszubilden. Ich freue mich sehr, dass der Pakt, den die Wirtschaft geschlossen hat mit der öffentlichen Hand zum Thema Ausbildung, gut funktioniert. Ich glaube, es muss ein stärkeres Bewusstsein auch dafür geben, dass wir inzwischen auf eine Rente mit 67 zugehen, das heißt, auch 50-Jährige, 55-Jährige noch qualifizieren und fortbilden müssen. Da muss es, glaube ich, noch Verbesserungen geben. Wir müssen das Arbeitskräftepotenzial, das sich bietet, durch Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch besser nutzen, als wir das in der Vergangenheit gemacht haben. Also da gibt es einiges an Potenzial. Und ich glaube, wie gesagt, wir sollten uns mal umschauen, was sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft tut. Ab 1. Mai werden die Tschechen, werden die Polen beispielsweise - unsere östlichen Nachbarn - die Möglichkeit haben, ungehindert nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten. Und ich denke, wir sollten diese Entwicklung erst mal abwarten und dann fragen, welche rechtlichen Veränderungen sind denn notwendig?

    Blanke: Im Moment streitet die Bundesarbeitsministerin sich ja nicht nur mit Ihnen über die Zuwanderung, sondern vor allem mit der Opposition, Stichwort "Hartz IV". Eine der Forderungen heißt: Mindestlohn für Zeitarbeiter. Wenn Ihnen der 1. Mai und die Arbeitnehmerfreizügigkeit so viele Sorgen machen, dann müsste es doch auch für Sie ein Anliegen sein, deutsche Arbeitnehmer vor Lohndumping zu schützen?

    Friedrich: Also, die Arbeitnehmerfreizügigkeit macht mir keine Sorgen. Nein, ich sehe durchaus auch Chancen, nicht nur Gefahren, das hält sich immer die Waage. Aber Sie haben natürlich recht. Wir müssen für den Fall - 1. Mai -, dass sich viele Polen, viele Tschechen auf den Weg nach Deutschland machen, vorbereitet sein. Das bedeutet, dass wir die Tarifbedingungen, die es heute schon in der Zeitarbeit gibt aufgrund von Tarifverträgen - da sind auch Mindestlöhne in den Tarifverträgen vereinbart -, dass wir diese Tarifbedingungen übertragen auch auf die Arbeitskräfte, die aus Osteuropa zu uns kommen. Und wir sind entschlossen, dies auch rechtzeitig in Kraft zu setzen.

    Blanke: Das heißt, für Sie Mindestlohn in der Zeitarbeit kein Problem. Aber für die FDP, Ihren Koalitionspartner. Wie kriegen Sie die dazu, "ja" zu sagen?

    Friedrich: Na ja, wir verhandeln mit der FDP seit geraumer Zeit. Ich glaube, sie sieht das Problem im Grundsatz genau so. Wir streiten und ringen um die einzelnen Fragen, wie man es jetzt technisch umsetzt, also beispielsweise die Frage: Wird die Übertragung auf die Zuwanderungs-Einpendler stattfinden im Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz oder im Entsendegesetz? Also, im Ergebnis muss man halt die Übertragung sicherstellen, egal in welcher Rechtsmaterie. Es gibt ein bisschen Auseinandersetzung noch um die Frage "equal pay", das heißt, ab wann soll der Arbeitnehmer, der ausgeliehene Arbeitnehmer, die gleiche Bezahlung erhalten wie der im Entleiherbetrieb vorhandene Arbeitnehmer - die dort vorhandene Belegschaft. Da sind wir auf gutem Weg auch in den Verhandlungen mit der FDP, und ich denke, da werden wir auch was zustande bringen.

    Blanke: Die zweite Forderung der Opposition, an der sie nicht vorbei will, ist: mindestens ein Sozialarbeiter an jeder Schule. Darauf müsste man sich doch einigen können, das klingt eigentlich nicht so kompliziert?

    Friedrich: Also es kann nicht sein, dass die Opposition, nachdem wir ihr verfassungswidriges Gesetz reparieren mussten - denn ich möchte noch einmal daran erinnern: Das Hartz IV Gesetz, das das Verfassungsgericht für ungültig erklärt hat, ist von Rot-Grün ausgedacht, entwickelt und beschlossen worden. Wir sind jetzt dabei, dieses rot-grüne verfassungswidrige Gesetz zu verändern, verfassungsgerecht zu machen. Und jetzt hat die SPD nicht das Recht, das dadurch zu blockieren, dass sie alle möglichen irrsinnig kostspieligen Forderungen stellt. Man muss eines immer sehen: Alles, was wir finanzieren - und ich weiß natürlich, dass es da viele Wünsche gibt, die man sich ausdenken kann -, alles was wir finanzieren, müssen wir auch von dem Steuerzahler, müssen wir von den Bürgern, die arbeiten, holen. Insofern hat alles auch seine Grenzen.

    Blanke: Die SPD sagt, diese Sozialarbeiter könne man locker finanzieren, wenn man auf die Einführung des Betreuungsgeldes ab 2013 verzichtete.

    Friedrich: Also diese Vorschläge der SPD, wie gesagt, die schauen wir uns genau an auf die Finanzierbarkeit, auf die Zumutbarkeit auch gegenüber denjenigen, die letzten Endes das Geld dafür dem Staat geben müssen. Aber ich sehe nicht, dass wir Milliardenforderungen, wie die SPD sie jetzt erhebt, tatsächlich umsetzen können. Dafür fehlen einfach die Spielräume.

    Blanke: Sagt Hans-Peter Friedrich, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag und heute zu Gast im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Friedrich, Sie ahnen es - ich hab's schon angekündigt -, wir sprechen über eine weitere Frau: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Auch sie steht Ihren Wünschen nicht immer offen gegenüber. Sie fordern die unverzügliche Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die vor ein paar Monaten höchstrichterlich als verfassungswidrig eingestuft wurde. Wie soll denn diese Speicherung Ihrer Einschätzung nach aussehen, damit sie das Verfassungsgericht nicht wieder kassiert?

    Friedrich: Also zunächst mal muss man sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht für verfassungswidrig erklärt wurde, sondern für grundsätzlich geeignet und notwendig, aber die Ausführung, wie sie in diesem Gesetz gemacht wird . . .

    Blanke: . . . nämlich die Speicherung ohne Anlass . . .

    Friedrich: . . . nämlich die Abrufung ohne die Festlegung von bestimmten Gründen ist infrage gezogen worden. Wir stehen ja vor folgenden Problemen: Wir hatten in der Vergangenheit relativ einfach die Möglichkeit - oder die Sicherheitskräfte hatten die Möglichkeit -, dann, wenn sie einen Terroristen oder einen Terrorismus-Verdächtigen festgenommen haben, sich von dem Telefonunternehmen sagen zu lassen, mit wem hat der in den letzten vier Wochen telefoniert - Saudi-Arabien, Algerien, wo auch immer -, und konnte dann feststellen, da und dorthin hat er Kontakte gehabt. Und das war natürlich für die Sicherheitsbehörden hilfreich. Wir haben jetzt die Situation, dass die Telefonunternehmen diese Daten nicht mehr speichern, weil sie sie nicht mehr brauchen für ihre Abrechnungszwecke. Das heißt, früher hat man ja für jedes Gespräch eine Rechnung bekommen, das ist heute nicht mehr der Fall, es gibt eine Flatrate. Viele Unternehmen löschen ein, zwei Tage, nachdem das Telefonat stattgefunden hat, die Feststellbarkeit dieses Kontaktes. Da muss man jetzt, sagt die Europäische Union, sicherstellen, dass es möglich ist, solche organisierte Kriminalität oder Terrorismus auch dadurch zu bekämpfen, dass man den Unternehmen sagt, ihr müsst die Kontakte noch ein bisschen aufheben, damit wir dann, wenn wir einen Verdächtigen festnehmen, im Nachhinein feststellen können, was hat der für Verbindungen und Kontakte. Das ist eine Richtlinie der Europäischen Union. Die müssen wir umsetzen, die müssen wir natürlich verfassungsgemäß umsetzen. Das wollen wir tun und fordern die Bundesjustizministerin auf, das ebenfalls zu machen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat andere Vorstellungen. Sie will diese Vorratsdatenspeicherung nicht haben, sondern sie will nur in die Zukunft Speichermöglichkeiten haben. Das reicht nicht aus, um dem Anliegen der Sicherheitsbehörden gerecht zu werden.

    Blanke: Aber dann noch mal die Frage, dann wollen Sie nach wie vor alle Daten speichern von jedem und jeder, ohne Anlass, ohne Verdacht. Warum glauben Sie, dass das Verfassungsgericht das dieses Mal mitmachen würde?

    Friedrich: Nein, das ist ja unbestritten, dass man das Unternehmen zwingen kann, einfach die Daten nicht nach drei Tagen zu löschen, sondern noch ein bisschen länger aufzuheben, um für den Fall, dass die Sicherheitskräfte hinterher Zugriff haben müssen, das sicherzustellen. Und dann geht es ja darum - die können ja nicht beliebig auf diese Daten zugreifen - dann geht es darum, dass natürlich dann die gesamten rechtsstaatlichen Vorschriften, wie ein Zugriff auf diese Daten erfolgen muss, mit richterlichem Beschluss und so weiter, und unter welchen Voraussetzungen und unter welchen Bedingungen, die müssen natürlich verfassungsmäßig auch ausgestattet sein. Aber dass man Vorratsdaten speichern kann über einen Zeitraum von mehreren Monaten und dass das auch sinnvoll und notwendig ist - übrigens findet das in allen Ländern statt, in den USA ist das ganz normal, in Europa muss es jetzt gesondert angeordnet werden -, aber das scheint außer Frage zu sein, denn die Sicherheitskräfte, die Polizei sagt uns überall, wir kommen in vielen Fällen einfach nicht mehr weiter. Wir können bestimmte Dinge nicht mehr aufklären, weil sich nicht mehr feststellen lässt, mit wem hat der unter Mordverdacht stehende in den letzten zwei Wochen telefoniert. Wenn Sie einen Mord aufklären müssen und können noch nicht einmal mehr feststellen, ob es in den letzten ein, zwei Wochen einen Kontakt zwischen dem Tatverdächtigen und dem Opfer gegeben hat, wie wollen Sie da als Polizei aufklären? Das muss im Grunde jedem einleuchten. Wir wollen eigentlich im Grunde nur den Standard herstellen, der früher, als man die Daten aufgehoben hat für Abrechnungszwecke, gegolten hat. Und ich denke, da ist auch kein großes Problem dabei.

    Blanke: Herr Friedrich, die schwarz-gelbe Koalition ist nun weit über ein Jahr im Amt. Sie hatten uns allen mehr Netto vom Brutto versprochen. Am Anfang des Jahres 2011 heißt die reale Situation aber weniger Netto vom Brutto. Kommen Sie in diesem Jahr dahin, Ihr Wahlversprechen zu halten?

    Friedrich: Wir haben gleich zum 1.1.2010, also so ziemlich genau vor einem Jahr, umgesetzt unser Wahlversprechen schon in einer ersten Tranche. Wir haben damals die Bürger in Deutschland um achteinhalb Milliarden zusätzlich entlastet durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetzt, allein viereinhalb Milliarden für die Familien. Ich glaube, das war schon mal ein großer Schluck, der auch notwendig war, gerade für die stark finanziell belasteten Familien. Und weitere Schritte, die uns vorschweben - wir haben als CSU ja mal die Zahl 15 Milliarden uns vorgenommen vor über einem Jahr -, die weiteren Schritte, die folgen können, hängen natürlich davon ab, wie sich die Finanzsituation des Bundes entwickelt. Das muss man ganz klar sehen, es hängt vieles von der Konjunktursituation ab, ob sich die Einnahmesituation weiterhin so günstig entwickelt, wie es sich im Jahr 2010 angedeutet hat. Wenn das so ist, werden weitere Entlastungsschritte möglich sein.

    Blanke: Was würden das für Schritte sein, realistischerweise?

    Friedrich: Wobei wir uns jetzt schon Gedanken machen, welche Schritte das sein könnten. Und da steht für uns ganz oben auf der Agenda das Thema Mittelstandsbauch. Das ist also ein stärkeres Ansteigen der Steuerkurve für die mittleren Einkommen, das etwas abzuflachen und diesen Mittelstandsbauch sozusagen zu begradigen. Das ist ein Ziel, das so über den Daumen zweieinhalb Milliarden kosten würde. Das ist etwas, was wir zuallererst auf den Weg bringen wollen. Wir wollen weitermachen mit unseren Vorstellungen auch der Steuervereinfachung. Wir haben ein erstes Paket ja verabschiedet, das jetzt im Jahr 2011 in Kraft treten und 2012 umgesetzt werden soll, Stück für Stück mit verschiedenen Maßnahmen. Auch da wird es weitere Schritte geben können, wenn wir Spielräume haben. Und das wird sich im Laufe dieses Jahres herausstellen, wenn wir die neue Steuerschätzung haben, ob der Aufschwung und damit auch die Einnahmen für den Staat tatsächlich so stabil und nachhaltig sind, wie wir uns das wünschen.

    Blanke: Auch Ihr Koalitionspartner, die FDP, fordert weiter Steuerentlastungen, und so, wie es aussieht, wird sie in diesem Jahr auch jede Menge Anlass haben, darauf zu pochen. Wir stehen vor sieben Landtagswahlen 2011 und die FDP bei Umfragen bei drei bis fünf Prozent. Müssen wir uns auf eine neue Profilierungsschlacht einstellen?

    Friedrich: Ich glaube, dass sich die Steuerdiskussion und das, was wir an bundespolitischen Notwendigkeiten haben, unabhängig von Landtagswahlen und sonstigem darstellt. Für uns ist wichtig, dass wir unserer bundespolitischen Verantwortung gerecht werden. Ich glaube, das sehen auch die Kollegen von der FDP so. Dass die Landtagswahlen natürlich auch dazu beitragen werden, dass wir in der einen oder anderen Frage auch sehr klare Positionierungen der Parteien, auch der Koalitionsparteien, haben werden, davon gehe ich aus. Aber das ist ja nicht schädlich, im Gegenteil. Solche klaren Positionierungen zeigen ja auch dem Wähler, wo die Alternativen, wo seine Möglichkeiten im Einzelnen sind. Insofern ist das ja zu begrüßen.

    Blanke: Also wieder Wildsäue und Gurkentruppen?

    Friedrich: Na ja, man muss ja nicht mit solchen Kraftausdrücken um sich werfen, sondern ich glaube, dass es angemessen ist, den Menschen im Einzelnen deutlich zu machen, was wollen die verschiedenen Parteien, wie stellen sie sich die Zukunft dieses Landes vor, wo wollen sie hin. Und da sehen wir natürlich große Auseinandersetzungen auf der einen Seite zwischen dem bürgerlichen Lager von CDU/CSU und FDP, die die Zukunft mit Innovation, mit Annehmen von Herausforderungen auch ergreifen will, während wir auf der anderen Seite die Grünen haben, die mehr ängstlich verweigern überall da, wo es möglich ist, jede Neuerung, jede Veränderung, jedes Großprojekt. Und da laufen im Grunde die großen Auseinandersetzungen auch des Jahres 2011. Zukunft ergreifen, mutig und technologieorientiert oder ängstliche Verweigerung durch die Grünen, das wird der Grundtenor auch der Wahlkämpfe, die vor uns stehen, sein.

    Blanke: Die drei bis fünf Prozent der FDP muss die CSU natürlich wahrscheinlich erst mal nicht fürchten, aber es wird eine Umfrage erwartet in den nächsten Tagen. Was, wenn die CSU in Bayern womöglich tatsächlich diesmal unter 40 Prozent landet? Muss dann Ihr Parteichef Horst Seehofer wieder allen zeigen in Bayern, dass er sich von den Berlinern nichts sagen lässt?

    Friedrich: Sehen Sie, da haben Sie in mir genau den Falschen erwischt, der Ihnen zu Umfragen irgendetwas sagen kann, denn Umfragen haben mich noch nie interessiert. Und ich halte Umfragen - ich meine, das mag sehr unterhaltsam sein für die Öffentlichkeit oder für das politische Geschehen, aber Umfragen sind irrelevant. Entscheidend ist das, was am Ende in den Wahlurnen liegt. Und da gab es schon für manche Partei, die sich in Umfragen auf einer Woge der Zuneigung gewähnt hat, ein böses Erwachen, als letzten Endes dann am Wahlabend doch etwas anderes herauskam. Also, Umfragen sind nicht das Thema, sondern entscheidend ist, dass wir unsere Arbeit machen. Die CSU hat sich nach einer nicht so ganz einfachen Phase nach 2008 stabilisiert. Da hat Horst Seehofer einen wichtigen, entscheidenden Anteil daran. Die CSU ist ja breit aufgestellt, auch auf allen Ebenen, vor allem in der Kommunalpolitik, und sie hat eine klare und kraftvolle Führung. Und wir werden im Jahr 2011 Politik für dieses Land, für Deutschland mitgestalten.

    Blanke: Vor ein paar Wochen sah es aber noch so aus, als würde die Parteibasis nichts lieber tun, als den Parteichef Seehofer durch Karl-Theodor zu Guttenberg zu ersetzen. Ist das vom Tisch?

    Friedrich: Also, wir haben es wirklich nicht nötig, Personaldiskussionen zu führen. Personaldiskussionen sind notwendig bei der SPD. Da werden sie mit Sicherheit in diesem Jahr auch geführt werden, und ich hoffe sehr, dass sie bei der FDP schnell beendet sein werden.

    Blanke: Für Ihre Klausurtagung in Wildbad-Kreuth, die ja in wenigen Tagen beginnt, haben Sie einen für manche überraschenden Gast eingeladen, die Theologin Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, die zurücktrat damals, weil sie angetrunken Auto gefahren war. Es gibt Landtagsabgeordnete, die meinen, dass diese Einladung auf konservative Stammwähler irritierend wirken könnte, weil Frau Käßmann in allen politischen Fragen anderer Ansicht ist als die CSU. Vergraulen Sie Ihre Wähler?

    Friedrich: Wir haben in Kreuth diese Einrichtung des Kamingesprächs traditionell seit vielen Jahren, und wir haben dort in den vergangenen Jahren - ich bin seit 20 Jahren dabei - bei diesen Kaminabenden außerordentlich interessante Gespräche geführt, nicht nur mit Menschen, die uns politisch nahe stehen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Wolf Biermann, damals mit Martin Walser - also, wirklich sehr, sehr interessante Abende, die hinter verschlossener Tür stattfinden, wo man sich intellektuell austauschen kann. Und ich glaube, dass Frau Käßmann jemand ist, der ja auch viele Menschen in Deutschland bewegt - wir haben das auch beim Kirchentag erlebt -, und dass sie uns auch etwas zu sagen hat, und ich freue mich auf das Gespräch mit ihr. Ich glaube, dass wir viele Gemeinsamkeiten feststellen werden, was nicht verwundert. Wir sind eine christliche Partei und Frau Käßmann ist auch eine Christin, und insofern sind wir da auf einer gemeinsamen Wellenlänge. Politisch haben wir mit Sicherheit die eine oder andere Differenz, aber auch das ist normal, dass politisch nicht alle immer der gleichen Meinung sind. Auch diese Auseinandersetzung muss man führen, und sie kann spannend und interessant sein.

    Blanke: Und Sie haben ja gesagt, Sie fürchten sich nicht vor Frauen, Sie fürchten sich nicht vor 2011. Ich möchte trotzdem noch einmal auf das Fürchten kommen, und zwar mit Blick auf die Landtagswahlen. Sie haben die Grünen angesprochen. Die schwimmen auf einer Welle des Erfolgs, zumindest in den Umfragen, die Sie ja nicht so wichtig finden. Die SPD holt auf. Muss sich die Union vor dem Wahljahr 2011 fürchten?

    Friedrich: Nein. Also, wir sind ja, glaube ich, gut aufgestellt in der Bundespolitik. Wir haben eine kraftvolle Bundeskanzlerin, die gleichzeitig als Parteivorsitzende, glaube ich, zeigt, dass sie die Richtlinien der Politik vorgibt und dieses Land auch in eine Zukunftsfähigkeit führt. Und ich glaube, dass aus Berlin deswegen auch Rückenwind für unsere Wahlkämpfer in den Ländern kommen wird. Wir haben in Baden-Württemberg, einem Stammland der Union, mit Stefan Mappus jemanden, der, glaube ich, auch in der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 sehr viel Geschick und Einfühlungsvermögen gezeigt hat, und ich glaube, dass er auch in den Augen der Bevölkerung der richtige Ministerpräsident für dieses Land ist und ein gutes Ergebnis für die CDU holen wird. Im Übrigen glaube ich auch an ein gutes Ergebnis für die FDP in Baden-Württemberg. Und bei den anderen Wahlen wird man sehen. Ich glaube, Julia Klöckner ist ein Glücksfall für die CDU in Rheinland-Pfalz. Wir werden in Sachsen-Anhalt sehen, dass die SPD viel schwächer ist als sie momentan vorgibt. Also, ich bin nicht pessimistisch für das, was da auf uns zukommt. Am Ende des Jahres, denke ich, wird die CDU zufrieden sein.

    Blanke: Herr Friedrich, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Friedrich: Gerne.