Zagatta: Herr Schöppner, dieser Wahlkampf ist ja in vielem recht ungewöhnlich. Zeigt er jetzt auch die Grenzen der Meinungsforschung auf?
Schöppner: Nein, es zeigt eigentlich eher die Grenzen der Politik auf. Also, Sie haben wirklich recht: Was in den letzten Wochen passiert ist, ist schon etwas irrational, also Journalisten fragen 'Was für einen Einfluss hat die Fußballweltmeisterschaft und Hartz und die Sharping-Demission und Telecom und die Flut und Irak', usw. Also ständig wird getan, als wenn ein Ereignis - jetzt FDP – das Wählerverhalten auf den Kopf stellen kann. Das ist nicht so, aber Sie haben recht: Es hat sich die Masse verändert. Es wird nämlich nicht mehr Kompetenz, sondern lediglich eine politische Stimmung, ich möchte fast sagen ein Bauchgefühl, gewählt.
Zagatta: Und wer hat da die Nase am Sonntag vorne?
Schöppner: Das wollen wir mal sehen. Das können wir nicht wissen. Also, Bauchgefühl heißt: Wie ist die Agenda, die Wirkung von den Informationen und von den Dingen und Informationen, die die Parteien gerne gewissermaßen dem Wähler vermitteln wollen, und da gibt es sicherlich eine Zweiteilung. Die Union versucht ja schon die ganze Zeit dieses Thema Arbeitslosigkeit, Wirtschaft, Schlusslichtdebatte warm zu halten. Eigentlich mit Recht, denn die ganzen Rahmendaten, auch in den Meinungen der Bevölkerung, sind so, dass die die eigentliche Steilvorlage für die Union sein müssten. Auf der anderen Seite kommuniziert die SPD mehr die Themen Solidarität, Kümmerer-Bewusstsein, Friedensliebe und kommt damit zum Schluss besser durch, weil möglicherweise die Leute zwar wissen, wie schlecht die Situation in Deutschland ist, aber sie erstens vielleicht nicht gut vermittelt wurde und sie vielleicht auch nicht mehr hören können.
Zagatta: Was sagen denn Ihre letzten Umfragen? Wer wird gewinnen am Sonntag?
Schöppner: Also, wir können es nicht sagen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen, zumal das Thema Irak, von dem ja die SPD in den letzten 14 Tagen mit dem Höhepunkt des 11. Septembers gelebt hat, jetzt etwas verblasst. Wenn man mal von den beiden politischen Lagern insgesamt ausgeht, dann könnte man die beiden etwa als gleichstark bewerten, wobei als weitere Unwägbarkeit natürlich auch noch hinzu kommt: Schafft die PDS die 5 Prozent beziehungsweise die drei Wahlbezirke?
Zagatta: Wie erklärt sich eigentlich ein Meinungsforscher, dass das Thema Arbeitslosigkeit den Wahlkampf so lange beherrscht hat und plötzlich so in den Hintergrund gedrängt wird?
Schöppner: Ja, da gibt es eigentlich eine Erklärung, die da heißt: Das Thema ist nach wie vor virulent. Die Union hat es aber nicht verstanden, ihren Kompetenzvorsprung, besser gesagt den Eindruck der Kompetenz deutlich zu machen. Der zuerst geschickte Schachzug der Union, Stoiber sozusagen als absoluten Kandidaten der Mitte zu positionieren und damit ein Gegengewicht zu den Rechts-außen-Diskussionsbeiträgen der SPD und der Grünen zu liefern, kehrte sich zum Schluss eigentlich in gewisser Weise in eine negative Haltung um, denn dieser sogenannte Weichzeichner-Effekt hat nun dazu geführt, dass viele Wähler sagen, die Union wird es auch nicht besser machen, und entscheidend wird für die Wahl sein, ob es der Union gelingt, aus dieser Lethargie - nach dem Motto, es ist fast Gott gegeben, dass wir 4 Millionen Arbeitslose haben – noch einmal einen Aufschwung, einen neuen Schwung, so ein Gefühl, mit der Union wird es doch besser, zu vermitteln. Aber da ist natürlich nicht mehr allzu viel Zeit.
Zagatta: Herr Schöppner, Graf Lambsdorff hat es gerade angesprochen, diese Auseinandersetzung um Jürgen Möllemann, um seine neuerlichen Angriffe gegen den Zentralrat der Juden. Schadet das der FDP oder bringt ihr das vielleicht sogar Stimmen, weil sie da irgendwo im Lager rechts außen oder auch vielleicht im rechtsradikalen Lager auf Stimmenfang geht?
Schöppner: Also, da ist schwer zu sagen. Auf der einen Seite muss man natürlich sagen: Alle die, die aus dem Lager der FDP-Wähler mit dieser Position Möllemanns nicht einverstanden sind, sind bereits im Juni abspenstig geworden, denn das ist ja im Prinzip keine neue Information, und da hat es ja einen leichten Einbruch der FDP gegeben. Auf der anderen Seite ist Zwistigkeit immer schlecht, gerade vor Wahlen, also wenn eine Partei den Eindruck eines Streites hinterlässt. Auf der anderen Seite kann es aber schon dazu dienen, die letzten Wählerreserven zu mobilisieren, und die letzten Tage vor der Wahl dienen ja vor allen Dingen dazu, das weite Wählerpotenzial so für die eigene Partei zu mobilisieren. Also, insofern möchte ich fast meinen, es ist eher ein Nullsummeneffekt.
Zagatta: Aber Sie sagen "meinen". Ist das Geschäft, das Sie betreiben, eigentlich eine Wissenschaft oder ist das so etwas wie vielleicht gehobene Kaffeesatzleserei?
Schöppner: Oh nein. Sie dürfen nicht vergessen, dass alles das, was wir machen, auf Basis von Umfragen, die wir wöchentlich, teilweise zwei Mal in der Woche, an repräsentativen Wählern im Durchschnitt machen. Interessant ist da nicht nur die einzelne Umfrage, sondern der Trend. Wenn Sie mich fragen, wie meine persönliche Meinung, meine persönliche Wertung ist, dann geht da einerseits natürlich die Erfahrung aus den Umfragen und zum anderen natürlich aus den Reaktionen der Wähler auch in der Vergangenheit ein. Also, ich glaube, Kaffeesatzleserei ist ein bisschen sehr negativ formuliert, mit Verlaub.
Zagatta: Haben Sie denn noch Informationen, die Sie noch nicht veröffentlichen können? Wissen Sie, wer die Wahl gewinnt oder wissen Sie genau so viel wie wir?
Schöppner: Nein, gucken Sie mal: Erstens machen wir keine Prognosen. Demoskopie ist ja im günstigsten Fall Historie, also ein Meinungsbild der Deutschen, das gestern und meinetwegen vorgestern herrschte. So schnell sind wir, aber wir können natürlich nicht das Meinungsbild von morgen im Prinzip prognostizieren, also insofern machen Journalisten immer den Fehler, dass sie Prognosen mit Diagnosen verwechseln. Das zweite ist, dass wir ja im Rahmen bestimmter Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Also, wenn wir 1000 oder selbst wenn wir 2000 aus 60 Millionen Wahlberechtigten befragen, dann bleibt da natürlich immer noch ein Zufallsspielraum, und dieser Zufallsspielraum ist etwa plus, minus 2,5 Prozent. Wenn also meinetwegen derzeit gesagt wird, die Union liegt, nur um eine Zahl zu nennen, bei 38 Prozent, dann heißt das, das die Union derzeit irgendwo zwischen 36 und 40 Prozent liegt. Genauer können wir nicht messen, und Kaffeesatzleserei ist sicherlich, dann so zu tun, als wenn eine Variation um einen Prozentpunkt zum Beispiel im Vergleich zur Vorwoche schon der große, der maximale Trend ist. Also, da wird dieses Instrumentarium absolut überspitzt. Es geht ja sogar noch weiter, dass ein demoskopisch richtiges, ein politisch falsches Ergebnis sein kann. Also insofern, wählen zum Beispiel 38 und 39 die eine beziehungsweise die andere Partei, respektive 39 und 38 Prozent, dann ist das natürlich ein politischer Unterschied - wer ist stärkste Partei? -, aber wenn man das mal von der Statistik, von der Mathematik her sieht, ist das beides ein demoskopisch, ein statistisch richtiges Ergebnis.
Zagatta: Der Emnid-Geschäftsführer, Klaus-Peter Schöppner. Herr Schöppner, herzlichen Dank.
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