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Umgang mit Online-Kommentaren
Kluge Antworten auf Hassbotschaften

Propaganda, Beleidigungen und Hass. Viele Medien müssen in ihren Online-Angeboten mit schwierigen Kommentaren umgehen. Die Verantwortlichen reagieren unterschiedlich – unter anderem mit mehr Beteiligung der Nutzer.

Von Thomas Klatt | 24.10.2017
    Kommentar auf der Internetseite "iShareGossip" (2011)
    Hasskommentar in einem Online-Portal (dpa / picture alliance / Stephan Jansen)
    "Mein Hauptvorwurf an die Medien ist, dass die Journalisten die Schleusen geöffnet haben, ohne sich darüber klar zu machen, was sie tun. Es war weder eine Vorstellung da, was auf einen zukommt. Noch war eine klare Vorstellung, was man erreichen will, noch war klar, in welcher Rolle man sein Publikum beteiligen will, als Rezipient, als Bürger, als Experte. Und jeder glaubte gleich, er hat jetzt hier ne Diskursfläche geschaffen, was absurd ist. Viele wollten einfach mal nur lautstark ihre Meinung sagen und gut ist", schimpft der Kommunikationswissenschaftler Andreas Vogel. Wenn einfach jeder alles sagen dürfe, zumal noch anonym, könne man keinen vernünftigen Gedankenaustausch mehr erwarten.
    "Und das ist mein Hauptvorwurf an die Nutzung von Facebook. Da wird ein Raum genutzt, bei dem die Kommunikationshoheit gar nicht bei den Verlagen liegt. Ich kann ja verstehen, das bringt große Reichweiten, die eigene Foren nicht gebracht haben, weshalb viele ihre eigenen Foren zugeschlossen haben. Aber man darf sich dann nicht wundern. Wenn man mitheult, dann ist das so."
    Kommentarseiten moderieren
    Vielmehr müsse die Auseinandersetzung auf Online-Kommentarseiten qualifiziert moderiert werden mit Kenntnis darüber, wer nun genau an der Diskussion teilnimmt. Natürlich dürften sich Redaktionen aus Angst vor Kritik nicht abschotten. Vielmehr sollten sie mit Lesern, Hörern und Zuschauern den Kontakt suchen. Und das könne durchaus auch sehr persönlich werden.
    "Es kommt drauf an bei diesem Hassbürger, wo kommt der her? Wenn das ein Leser von mir ist, ein Zuhörer von mir ist, wo ich das weiß, dass er das ist, dann würde ich den in der Tat zu Hause aufsuchen."
    So weit will man bei der Sächsischen Zeitung in Dresden nicht gehen. Aber in Zeiten zunehmenden Bürger-Unmutes würden neue Wege der Leserbindung immer wichtiger, meint Redakteur Heinrich Maria Löbbers, "weil wir feststellen, dass genau das den Leuten fehlt, den Kontakt zu den Journalisten zu haben und Einblick in die redaktionelle Arbeit zu haben. Zu verstehen, was machen die da eigentlich in der Zeitung."
    "Leserplenum einberufen"
    Löbbers erklärt: "Was wir zum Beispiel gemacht haben, ist, ein Leserplenum einzuberufen, wo wir ein Dutzend, 15 Leser haben, die sich einmal im Monat treffen mit der Redaktion und auch Forderungen aufstellen zum Beispiel was den Umgang mit Leserbriefen angeht, müssen die alle abgedruckt werden? Versuchen, eine Art Leserparlament zu haben."
    Aber nicht jeder will mit sich reden lassen. Den fanatischen und unverbesserlichen "Lügenpresse"-Krakelern müsse man ihre Grenzen aufzeigen. Bei extremen Hetzkommentaren macht Alexander Völkel vom Dortmunder Onlineportal "Nordstadtblogger" vor der Löschung noch einen Screenshot, damit er ihn an die ermittelnde Staatsanwaltschaft schicken kann.
    "Gegen Hassmails pflegen wir einen ganz offensiven Umgang. Wir setzen uns mit Kommentatoren auseinander. Wir sprechen sie auch an, sofern identifizierbar. Ansonsten gehen wir, wenn es wirklich volksverhetzende Inhalte sind, gehen wir sehr rigide gegen vor, weisen auch hin, dass wir sie löschen, und wenn es justitiabel ist, erstatten wir auch Anzeige. Es gibt kein Recht auf einen Kommentar und erst recht nicht für Hass und Hetze, und das machen wir dann auch sehr deutlich."
    Neue Medienformate entwickeln
    Viele User seien sich allerdings der Tragweite ihres Tuns oftmals gar nicht bewusst, wenn sie ihren Unmut über die sozialen Netzwerke verbreiten und damit öffentlich machen. Da brauche es mehr Aufklärung und neue Medienformate, meint der Presseforscher Andreas Vogel.
    "Mein Plädoyer ist: intelligente Systeme der Beteiligung des Publikums, die auch Freiflächen für Publikum lassen, das selber Programm gestaltet, das könne schon mal gute Berührungspunkte sein, die den Journalisten keine Ressourcen kosten, weil man da andere Begleiter braucht als Journalisten. Das wären eben mehr Medienpädagogen, Sozialarbeiter, alles Leute, die mit Film, Hörfunk, Zeitung umgehen können, aber keine Journalisten sind."