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'Umorganisation bei der Bundesanstalt für Arbeit notwendig'

Capellan: Bernhard Jagoda wird sich heute zu den Vorwürfen gegen seine Behörde äußern. Er wird aber auch die Arbeitslosenzahlen für den Januar bekannt geben und eines ist jetzt schon klar: die haben die Vier-Millionen-Grenze mal wieder überschritten. Wir haben vor den Nachrichten bereits darüber berichtet. Vor knapp einer Stunde habe ich ein Gespräch mit Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Harald Schartau aufgezeichnet. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob denn die Zeit für Bernhard Jagoda nicht abgelaufen ist, sollte sich die verheerende Kritik an seiner Behörde wirklich bewahrheiten?

    Schartau: Die Zahlen an sich müssen eigentlich der letzte Anlas dafür sein, dass wir uns mit der Organisation der Bundesanstalt für Arbeit grundsätzlich befassen, weil ich glaube, man muss die gesamte Arbeitsverwaltung vom Kopf auf die Füße stellen. Im Mittelpunkt muss dabei das Problem an sich stehen, und das Problem ist aus zwei Blickwinkeln zu sehen. Erstens: Menschen die ihre Arbeit verlieren, müssen eine erstklassige Hilfestellung zurück in einen Beruf bekommen. Unternehmen die eine freie Stelle haben, müssen eine erstklassige Beratung bekommen, wen sie neu auf diese Stelle setzen können. An dieser Stelle glaube ich fängt es schon an mit Begriffen wie Arbeitsverwaltung oder selbst der Begriff Arbeitsamt ist für eine solche moderne Dienstleistung vollkommen ungeeignet.

    Capellan: Herr Schartau, können wir noch kurz bei Jagoda bleiben. Ist er für diese Ineffizienz, die ja nun dort zu Tage getreten ist, bekannt geworden ist, persönlich verantwortlich?

    Schartau: Die Fixierung auf eine Person an der Spitze einer Bundesanstalt, die über Jahrzehnte besteht, halte ich für vollkommen unproduktiv, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass man sich mit der Person beschäftigt und nicht ans System geht.

    Capellan: Wurde denn da Ihrer Ansicht nach bewusst manipuliert? Wurden da Zahlen geschönt, wohl wissend, dass Arbeitsämter gar nicht so effizient sind, wie sie vorgeben, es zu sein? Oder war das eher eine Entwicklung aus Unwissenheit?

    Schartau: Ich glaube nicht, dass dort mit Böswilligkeit gearbeitet wurde, aber trotz allem muss eindeutig gesagt werden, egal wie die Zahlen jetzt bei einer weiteren Nachprüfung aussehen, dass die Effizienz der Arbeitsverwaltung zumindest in den fünf überprüften Arbeitsämtern bei weitem nichts mit der Realität zu tun haben. Die Ineffizienz kommt über die Zahlen eindeutig zum Ausdruck, und das gibt Anlas genug, über eine Veränderung des Systems der Vermittlung nachzudenken.

    Capellan: Was muss reformiert werden? Da gab es gestern Äußerungen vom Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, von Klaus Zimmermann, der beklagte, dass nur zehn Prozent der Mitarbeiter an Arbeitsämtern mit der eigentlichen Vermittlung beschäftigt seien. Halten Sie das für vorstellbar, dass das wirklich so ist?

    Schartau: Ja, das ist so. Das ist eine seit einiger Zeit bekannte Zahl. Das deutet auch sofort auf das Kernproblem hin, nämlich dass bei der eigentlichen Ursache, Menschen verlieren ihre Arbeit und müssen nun innerhalb möglichst kürzester Zeit in eine neue Beschäftigung vermittelt werden, dass diese Dienstleistung von den Arbeitsämtern eine Aufgabe unter vielen ist. Für mich ist es aber die zentrale. Hinzu kommt, dass auf der anderen Seite bekannt ist, dass maximal 50, in vielen Fällen nur 30 Prozent der offenen Stellen überhaupt noch den Arbeitsämtern gemeldet werden. Das heißt auch auf der Seite, dass sich das Arbeitsamt auch bemühen muss, eben einen großen Teil der offenen Stellen überhaupt in Erfahrung zu bringen und nicht darauf zu warten, dass sie nur gemeldet werden, ist ein erhebliches Defizit vorhanden. So ein System ist ineffizient und kann nicht funktionieren.

    Capellan: Sollte man das ganze privatisieren?

    Schartau: Von Privatisierung halte ich in diesem Zusammenhang nichts. Ich halte aber sehr viel von Dezentralisierung, von eindeutiger Festlegung der Aufgaben, zum Beispiel auf Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung, und ich halte sehr viel davon, dass vor Ort ganz eng auch mit privaten Vermittlern, mit Zeitarbeitsunternehmen zusammengearbeitet wird.

    Capellan: Wenn die jetzigen Arbeitsvermittler tatsächlich versagt haben sollen - Sie bestätigen das ja indirekt -, wofür brauchen wir dann eigentlich noch mehr solcher Vermittler, wie sie ja mit dem viel gerühmten Job-Aktiv-Gesetz der Bundesregierung geplant sind?

    Schartau: Ich glaube, dass der Vorwurf gegen die Vermittler an sich ungerechtfertigt ist. Nein, ich glaube, dass die Vermittler, das heißt der kleinste Teil der Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit, eigentlich der wichtigste Teil der Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit sind. Das mehr an Vermittlern, was jetzt mit Job aktiv gemacht wurde, heißt eigentlich, bei einem riesigen Apparat muss, um überhaupt zusätzliche Akzente in die Vermittlung hineinzusetzen, im Augenblick zusätzliche Einstellung gemacht werden. Ich bin allerdings der Auffassung, dass es zu einer vollkommenen Umorganisation der vorhandenen Beschäftigten kommen muss und zu einer Umorganisation auch der eingesetzten Mittel, nämlich zurück an die Stelle, wo Arbeitslosigkeit entsteht und wo sie bekämpft werden muss. Dezentralisierung, effektive Gestaltung als ein moderner Dienstleister vor Ort und alles, was nach Verwaltung riecht, muss auf den Prüfstand und alles, was nach Vermittlung aussieht, muss verstärkt werden.

    Capellan: Da würde ja eine Menge Geld zur Verfügung stehen. Für die Arbeitsvermittlung werden etwa 20 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Was sollte man mit diesem Geld nun besser machen?

    Schartau: Ich glaube man muss einfach das System unserer "Arbeitsverwaltung" vollkommen umdenken. Der wichtigste Punkt ist, dass es vor Ort, also dezentral, Dienstleistungsagenturen für Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung gibt. Diese Dienstleistungsagenturen werden an ihrer Effizienz gemessen, und Effizienz heißt schnelle Besetzung frei werdender Stellen, schnelle Vermittlung von Leuten, die ihre Arbeit verloren haben. Die Konzentration der Mittel und der Leute auf diese dezentralen Dienstleistungsagenturen ist Punkt 1. Punkt 2 ist: alles was auf übergelagerten Ebenen, das heißt auf der Ebene beispielsweise der Landesarbeitsämter und vor allen Dingen auf der Ebene der Bundesanstalt in Nürnberg noch an zusätzlicher Verwaltung, an Personal oder an operativer Tätigkeit gemacht wird, muss an dem Ziel gemessen werden, ob es die örtlichen Dienstleistungsagenturen stärkt oder ob es ihnen eher durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand Knüppel zwischen die Beine wirft.

    Capellan: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sollen diese Agenturen ja nicht privater Natur sein. Das haben Sie eben gesagt. Wie sollen die Mitarbeiter motiviert werden? Warum soll das dann besser laufen als bisher?

    Schartau: Ich glaube, dass die Vorschläge in diese Richtung auf die Einstellung vieler engagierter in den Arbeitsämtern heute trifft, dass ich mit solchen Vorstellungen auch offene Türen einrenne, weil die Ineffizienz sich an zwei einfachen Sachen festmachen lässt: einerseits an dem Punkt, dass eben immer weniger Unternehmen ihren Personalbedarf über die Arbeitsämter decken, und zweitens, dass viele Menschen ihre Arbeit verlieren, außerordentlich unzufrieden sind über die Hilfestellung durch die Arbeitsämter. Beide Punkte müssen jetzt positiv umgewandelt werden und die hohe Aufgabe der Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung vor Ort muss darin bestehen, auf dem Arbeitsmarkt die Dauer der Arbeitslosigkeit wesentlich zu verkürzen, einen exakten Überblick über die freien Stellen vor Ort zu haben und von Arbeitslosen, die zu ihnen kommen, eben auch als Hilfesteller angesehen zu werden.

    Capellan: Herr Schartau, lassen Sie uns einen Blick zum Schluss werfen auf die Arbeitslosenzahlen des Januars, die heute von Bernhard Jagoda vorgestellt werden. Die sollen unbereinigt bei etwa 4,3 Millionen liegen. Ich habe mal nachgesehen. Ich habe das letzte Interview mit Ihnen geführt am 7. August letzten Jahres. Da hatten wir 3,8 Millionen Arbeitslose. Damals haben Sie sich hoffnungsvoll gezeigt und gesagt, die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung werden bald greifen. Haben Sie sich damals verkalkuliert?

    Schartau: Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit dem Job-Aktiv-Gesetz haben zum 1. Januar überhaupt erst Gesetzesgestalt bekommen und die konjunkturelle Entwicklung ist seit August in einem Maße schlecht geworden, dass Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik an sich an dieser konjunkturellen Auswirkung wenig verbessern können. Trotzdem sind die Zahlen, die heute kommen, eine erneute und ganz massive Ermahnung an Konjunkturpolitik und an Arbeitsmarktpolitik, weitere Schritte in den Weg zu leiten, um zumindest die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen.

    Capellan: Weitere Schritte auch noch vor der Bundestagswahl? Wenn ich ein Beispiel herausnehme: Der Kanzler hat gesagt, die Verschmelzung von Arbeits- und Sozialhilfe die stünde an, aber nicht mehr vor der Wahl. Ist das der richtige Weg?

    Schartau: Ich glaube, dass das Ziel, die Zusammenlegung zu machen, mittlerweile endgültig klar ist, spätestens auch mit dem Wort von Gerhard Schröder. Ich kann dazu sagen, dass in Vorbereitung dieser gesetzlichen Regelung zum Beispiel in einer Reihe von Städten Nordrhein-Westfalens diese Zusammenarbeit auch schon unter Härtebedingungen, also unter Praxisbedingungen versucht wird und dass diese Erfahrungen ermuntern, diese Schritte jetzt weiter zu gehen, weil das Ziel ist ja nicht einfach nur eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, sondern das Ziel ist, Menschen die lange Zeit arbeitslos sind oder in der Sozialhilfe sind und unbedingt eine Arbeit brauchen, eine kompakte Hilfestellung zu geben, zurück auf die eigenen Beine zu kommen. Da kann Geschwindigkeit gar nicht groß genug sein.

    Capellan: Harald Schartau, Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen. - Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio