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Umsonst gehungert?

Jahrelang setzten Skispringer alles daran, am Saisonhöhepunkt zu wenig Gewicht auf die Waage zu bringen wie möglich. Nun kam eine Studie zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass der Einfluss des Gewichtes auf die Weite der Sprünge massiv überschätzt wurde.

Von Daniel Theweleit |
    Technik war schon immer ein wichtiger Aspekt im Skispringen. Der Anzug, die Skier, das Wachs und die Bindungen werden immer weiter perfektioniert. Und anhand der Daten aus Computersimulationen und Windkanalstudien entstand das Modell des perfekten Springers. Es etablierte sich eine schlichte Erfolgsformel: Je leichter, desto besser, hieß es während vieler Jahre. Professor Sascha Schmidt von der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel beschäftigt sich eigentlich mit den Effekten von Regeländerungen im Sport. Quasi nebenbei hat er herausgefunden, dass die alte Grundannahme schon immer ein Trugschluss gewesen sein könnte:

    "Das Ergebnis hat uns selbst überrascht, weil in Windkanaltests und Computersimulationen ein sehr signifikanter Zusammenhang zwischen Gewicht und Weite ausgemacht wurde, wo weniger Gewicht auch zu höherer Weite führt. Es war natürlich erstaunlich, dass wir bei der Analyse der Wettkampfdaten, also wenn Sie wirklich im Feld sind und alle weiteren Faktoren, die einen Wettbewerb ausmachen mit einbezieht, dass Gewicht gar nicht mehr so im Vordergrund steht."

    Schmidt und sein Team haben alle Weltcupsprünge der vergangenen zehn Jahre ausgewertet. Dabei konnten sie feststellen, dass die Sportler unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren heute ganz ähnliche Weiten erzielen wie vor 2004. Damals wurde die erlaubte Skilänge an den individuellen Body Mass Index gekoppelt. Dieser BMI setzt Gewicht und Körpergröße miteinander ins Verhältnis, je leichter ein Springer, desto kürzer die Skier. Das erhoffte Aussterben der Papieradler ist tatsächlich eingetroffen. Bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City wies rund ein Fünftel der Skispringer einen BMI unter 18,5 auf. Laut der Weltgesundheitsorganisation waren sie untergewichtig. Die Sportart drohte ihre Protagonisten in die Magersucht zu treiben. Die neue Studie legt nun nahe, dass die Hungerkuren der Springer waren überhaupt nicht nötig waren:

    "Die Ergebnisse aus den Computersimulationen stimmen nicht mit den Ergebnissen aus der Realität überein, was aber nicht heißt, dass sie falsch sind. Sondern es heißt nur, das die Realität viel komplexer ist, und sich nicht ganz einfach im Labor abbilden lässt: Und dass viele Faktoren eine Rolle spielen, die man so gar nicht simulieren kann. Wie wir gesehen haben, hat das Gewicht zwar einen Einfluss, aber nicht so einen maßgeblichen, dass man einfach sagen kann: Wer leicht ist, fliegt weit. Sondern die Komposition aus Technik, aus Sprungkraft aus Fluggefühl, aber auch aus der psychischen Verfassung des Springers, diese Komposition macht am Ende die Weite aus."

    Schwere Springer sind in der Regel sind athletischer. Mit Kraft können sie Gewichtsnachteile mehr als kompensieren. Tendenziell sind im Moment muskulöse Typen wie Gregor Schlierenzauer oder Thomas Morgenstern, Leute mit vergleichsweise hohem BMI, besonders erfolgreich. Die Regeländerungen sind ein voller Erfolg. Seit der Einführung einer neuen Bindung, mit deren Hilfe sich mehr Auftrieb erzeugen lässt, springen einige Athleten sogar mit kürzeren Skiern als erlaubt. Das alte Ideal von maximal langen Brettern unter möglichst leichten Männern hat ausgedient. Und weil neuerdings die Windverhältnisse in die Sprungwertung einfließen, herrschen ausgeglichener Bedingungen als je zuvor.