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Umstieg auf Erneuerbare kostet "ein bis zwei Milliarden" jährlich

Ganz festlegen will er sich nicht, doch "teurer wird es schon", sagt Rainer Brüderle (FDP) über die geplante schnellere Einführung erneuerbarer Energien.

15.04.2011
    Christoph Heinemann: Bund und Länder beraten heute über den beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie. Dabei geht es – und spätestens an diesem Punkt geht es uns alle an – auch um Kosten. Die Herrschaften müssen nämlich irgendwann auch einmal festlegen, welchen Strompreis wir uns und ein hochentwickeltes Industrieland sich überhaupt leisten kann.
    Am Telefon ist Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Guten Morgen.

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Brüderle, die Süddeutsche Zeitung berichtet über Mehrbelastungen von rund drei Milliarden Euro pro Jahr. Können Sie das bestätigen?

    Brüderle: Nein, kann ich nicht. Das ist spekulativ, weil es in der Tat davon abhängt, was das Ergebnis der Prüfung der Reaktoren ist. Davon hängt wieder ab, wie stark die Zahlungen für den Klimafonds von den Energieversorgungsunternehmen, die das zunächst ja auf ein Sperrkonto jetzt einzahlen, sich verändern dabei. Das ist doch schwer einschätzbar. Aber man kann sagen, das war im Beitrag schon richtig gesagt, teurer wird es schon, Geld wird es kosten. Wenn man schneller umsteigen will, wenn man die Netzentgelte für Speichernutzungen freistellen will, wie wir es machen wollen, wenn man die Energieeffizienz durch Zuwendungen steigern will, wenn man die Leitungen schneller umsetzen will, wird das Aufwendungen bringen. Aber die Größenordnung drei Milliarden kann ich weder bestätigen, noch dementieren, aber sie kommt mir etwas hoch vor.

    Heinemann: Mit welchem Betrag rechnen Sie denn?

    Brüderle: Ich kann das aus den eben genannten Gründen nicht sagen und es hat auch keinen Sinn, jetzt in der Öffentlichkeit mit Zahlen herumzuspekulieren. Aber eine Größenordnung von ein bis zwei Milliarden kann das schon ausmachen.

    Heinemann: Herr Brüderle, die Industrie ist beunruhigt. Martin Kneer, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Metalle, sagte am Mittwoch bei uns in der Sendung "Zur Diskussion":

    O-Ton Martin Kneer: Wenn man im Energiemix einen wesentlichen Baustein herausnimmt, dass man eben dann äquivalent Grundlaststrom unter den Kriterien sicher, sauber und bezahlbar für die Industrie zur Verfügung stellt. Sonst können wir in Deutschland nicht weiter produzieren wettbewerbsfähig.

    Heinemann: Herr Brüderle, sicher, sauber und bezahlbar, es ist Ihr Job, den Mann zu beruhigen. Bitte schön.

    Brüderle: Natürlich! Genau das ist die Prämisse, die wir ansetzen, und wir müssen wissen, wenn wir sehr viel schneller, beschleunigter umsteuern, dass es Konsequenzen haben wird. Das wird von den Marktentwicklungen abhängen, es wird von den Exportkonstellationen abhängen. Wir brauchen auch dringend einen europäischen Strommarkt. Wir haben bisher noch nicht die entsprechenden Grenzkoppelstellen, etwa mit Frankreich, um das zu erreichen, was jetzt sinnvollerweise bei regenerativen Energien stattfinden muss, dass wir dort Solarenergie produzieren, wo die Sonne mehr scheint - in Deutschland sind es nur etwa 800 Sonnenscheinstunden pro Jahr, in Südeuropa sind es 3000 -, dass wir Windenergie dort produzieren, wo der Wind am kräftigsten weht. Deshalb brauchen wir ja europäische Verknüpfungsbereiche dabei. Und es ist völlig richtig gesagt: Wenn wir das überdrehen, wird es natürlich zu Produktionsverlagerungen kommen. Deshalb muss das, denn Preiseffekte wird es geben, maßvoll bleiben, muss es verkraftbar sein, damit wir nicht eine Politik der Deindustrialisierung in Deutschland einleiten, denn ein Wiederaufschwung Deutschlands ist entscheidend über den gewerblichen, industriellen Sektor, der in Deutschland immer noch mit verbundenen Dienstleistungen ein Drittel des Kuchens, den wir gemeinsam erarbeiten, ausmacht, gelungen, dass wir ihn funktionsfähig halten. Das sind ganze Wertschöpfungsketten. Aber alles wird nicht gehen, dass wir noch schneller als im Energiekonzept geplant – das ist der allgemeine politische Wille – umsteuern, und dass es ohne Effekte da bleibt für die Preise, das ist unwahrscheinlich.

    Heinemann: Herr Brüderle, gucken wir noch mal auf den Preis. Der schnellt jetzt schon in die Höhe. Ende Februar 53 Euro pro Megawattstunde, Ende März, also einen Tsunami und ein Moratorium später, knapp 60 Euro pro Megawattstunde. Bei welchem Preis ist für Sie das Ende der Fahnenstange erreicht?

    Brüderle: Dass es Schwankungen im Preis gibt, das ist normal in der Marktwirtschaft, und auch an der Strombörse gibt es Schwankungen dabei. Manchmal hängt es auch von Konstellationen in den Nachbarländern ab. Es wird ja auch zeitweise Strom importiert nach Deutschland. Deshalb müssen wir Kapazitäten hochfahren. Unser entscheidender Engpassfaktor – das ist in dem Beitrag gar nicht so herausgestellt worden – ist, dass wir die Netze wesentlich schneller ausbauen müssen, denn regenerative Energie heißt dezentrale Energieerzeugung, und dann weht halt der Wind in der Nordsee und der Stromverbrauch ist in Bayern, dann muss man die Leitungen herstellen, damit er hinkommt. Es fehlen aktuell etwa 3.500 Kilometer Stromleitungen jetzt schon, Tendenz steigend.

    Heinemann: Wenn man das berücksichtigt, die Solarenergie sowieso, wie Kritiker sagen, vergebene Liebesmühe ist in einem Land, das von der Sonne nicht gerade verwöhnt wird – die FAZ rechnete vor, Windkraftanlagen in Deutschland liefern ganze 55 Tage im Jahr nur Volllast, das heißt die errechneten Kilowattstunden -, ist diese ganze Energiewende nicht sinnlos, unsinnig?

    Brüderle: Nein, sie ist nicht sinnlos, aber sie hat Konsequenzen. Dazu muss ich bekennen: Wir können nicht in bisherigen Abläufigen weiterarbeiten, dass wir acht, neun Jahre brauchen, bis wir eine Stromleitung gebaut haben. Das geht nicht mehr, das muss schneller gehen. Hier müssen die Schritte der Planung vereinfacht werden.

    Heinemann: Das heißt, entwickelt sich der Rechtsstaat jetzt zum Ökostaat?

    Brüderle: Zum Ökostaat wird er sich nicht entwickeln, aber wir haben das ja nach der Wiedervereinigung auch getan, dass wir Planungsverfahren vereinfacht haben. Und diejenigen, die wollen – ich will das auch -, dass wir schneller zu den regenerativen Energien kommen, die müssen aktiv auch für die Stromleitungen eintreten, sonst ist das alles unredlich. Es macht ja auch keinen Sinn, dass wir in Deutschland sehr viel schneller – es ist eh eine Brückentechnologie – aus der Kernenergie rausgehen und dafür Atomstrom aus Nachbarländern, aus der Slowakei oder aus Frankreich, importieren. Da müssen wir schon redlich sein und deshalb muss man die Leitungen bauen und – wir werden das ja schon tun – die Kapazitäten von Kohlekraftwerken und von Gaskraftwerken mehr nutzen, und wir werden auch nach meiner Einschätzung Gaskraftwerke bauen müssen, und zwar relativ schnell bauen müssen, weil wir die Grundlast brauchen. Es ist nämlich so: der Wind weht nicht immer dann, wenn wir in Berlin das Licht einschalten.

    Heinemann: Und deshalb haben Sie bei dem inzwischen berühmten Hintergrundgespräch beim Bundesverband der Industrie kürzlich zu Protokoll gegeben, dass Sie im Prinzip herzlich wenig von der Energiewende halten. – Herr Brüderle, warum hauen Sie nicht mal auf den Tisch und sagen, Basta, Freunde, ohne mich?

    Brüderle: Erst einmal ist das falsch wiedergegeben.

    Heinemann: Ich zitiere mal kurz aus dem Protokoll. Darf ich das ganz kurz vorlesen? "Der Minister bestätigte, wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien." Begeisterung klingt anders.

    Brüderle: Also erst mal, ich habe vorm Parlament dargelegt, was meine Haltung ist, und von nicht genehmigten und mir nicht zugestellten Protokollen nehme ich öffentlich keine Stellung. Aber zum Kernpunkt: Wir müssen in der Tat diesen Umsteuerungsprozess mit Vernunft machen, er muss machbar sein, wir wollen schneller dorthin, wir wollen umsteuern, aber es muss auch bezahlbar bleiben und es muss technisch gehen und wir müssen bereit sein, Konsequenzen zu ziehen. Deshalb ist das Gespräch mit den Ländern wichtig. Da müssen Trassen schneller gebaut werden, da geht es nicht, dass man in Mecklenburg-Vorpommern die Stromleitung bis an die Grenze nach Schleswig-Holstein gebaut hat, und dort kriegt man die Ausgleichsmaßnahmen nicht hin, dann wird nicht weiter fortgesetzt. Da müssen alle ein Stück sich bewegen, etwas schneller werden und die Dinge kraftvoller unterstützen. Sonst ist der Umsteuerungsprozess nicht ganz glaubwürdig.

    Heinemann: Das heißt, Rainer Brüderle mischt bereits ideologisch die Farben der Liberalen zusammen? Gelb und Blau ergibt bekanntlich Grün.

    Brüderle: Nein, das ist zu einfach. Wir wollten schon alle, deshalb Brückentechnologie, umsteuern. Angesichts der Ereignisse in Japan ist der politische allgemeine Wille, es zu beschleunigen. Aber meine Aufgabe ist, dass man darstellt, was die Konsequenzen sind, bis hin zu den Preisen, bis hin zu Auswirkungen auf die Wirtschaft, und dass wir einen Prozess vorschlagen, der auch machbar ist, den wir umsetzen können. Auch Umsteuern muss man mit Vernunft machen.

    Heinemann: Wann wird das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet?

    Brüderle: Das hängt davon ab, was jetzt die Reaktorkommission an Ergebnissen bringt, wie viele wie und in welchem Tempo abgeschaltet werden muss. Das kann man präzise nicht sagen, weil wir es ernst nehmen müssen. Wenn wir zusätzlich überprüfen, müssen wir das Ergebnis der Prüfung abwarten. Wenn man das Ergebnis schon kennt, bevor wir prüfen, ist das auch nicht redlich.

    Heinemann: Könnten Sie sich ein Moratorium des Moratoriums vorstellen?

    Brüderle: Ich kann mir vorstellen, dass wir als Ergebnis eine gemischte Entscheidung haben anschließend, aber das ist rein spekulativ, und ich bin wirklich der Auffassung, das soll man die Fachleute wirklich seriös und präzise prüfen lassen, ob neue Erkenntnisse vorliegen, ob man Konsequenzen ziehen muss und wie viel man Konsequenzen ziehen muss. Man muss die Ängste der Menschen wirklich ernst nehmen und akzeptieren, und wir brauchen, ob Stromleitungen oder Gaskraftwerke, ob Kohlekraftwerke oder über Restnutzungszeiten von Kernkraftwerken, die Akzeptanz der Bevölkerung. Das ist die Lehre von Stuttgart. Ohne Akzeptanz der Menschen geht es nicht.

    Heinemann: Herr Brüderle, kurz noch ein anderes Thema. Ihr künftiger Parteichef Philipp Rösler schließt Steuersenkungen in dieser Legislaturperiode aus. Wenn denn noch Geld in der Kasse sein sollte, hat er gesagt, dann sollte damit der Haushalt konsolidiert werden. Sehen Sie das auch so?

    Brüderle: Richtig ist, wir haben die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben, das heißt Priorität für Haushaltssanierung, weil wir auch uns verpflichtet haben, bis 2016 faktisch die Neuverschuldung auf null zu führen. Das Zweite ist, das sagen auch die Sachverständigen bei der Gemeinschaftsdiagnose zur wirtschaftlichen Entwicklung, dass wir Steuererhöhungen vermeiden müssen. Es geht um die sogenannte Kalte Progression, 100 Euro Mehrverdienst, 70 Euro Abzug, das sind Steuererhöhungen, die aus dem Tarif heraus resultieren, und die meines Erachtens müssen wir ausgleichen. Das Ergebnis kann nicht sein, dass wir Haushaltssanierung hinkriegen, Wirtschaftsaufschwung hinkriegen und Steuererhöhungen in der Mitte, bei den Facharbeitern, bei den mittleren Einkommen haben.

    Heinemann: So gesehen sprechen Sie sich für Steuersenkungen aus?

    Brüderle: Ich spreche mich aus zumindest für Vermeidung von Steuererhöhungen. Kalte Progression ist eine Steuererhöhung.

    Heinemann: In den "Informationen am Morgen" sprachen wir im Deutschlandfunk mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Danke schön und auf Wiederhören!

    Brüderle: Danke schön! Auf Wiederhören.

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