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Umstrittene Gaspipeline
Ungarns Regierung setzt auf Russland

Wegen des Ukraine-Konflikts wurde der Bau einer neuen russischen Gaspipeline eigentlich von der Europäischen Union auf Eis gelegt. Dem EU-Land Ungarn ist das offenbar egal: Premier Orban hat seine ganz eigene Agenda.

Von Jan-Uwe Stahr | 14.11.2014
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    Viktor Orban setzt in der Energiepolitik auf staatlich verordnete Preissenkungen und eine Renationalisierung der ungarischen Energiewirtschaft. (picture alliance / dpa)
    Die Regierung habe einen Putsch gegen das Parlament begangen, einen Putsch auch gegen das ungarische Volk. So erregte sich Viktor Orban im Jahre 2008. Es ging um einen, seiner Ansicht nach undurchsichtigen, Erdgas-Liefervertrag zwischen Russland und Ungarn. Die Energie-Abhängigkeit von Russland sei gefährlich. Das sei nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern auch eine Frage der Sicherheitspolitik und der Freiheit, schimpft der damalige Oppositionsführer.
    Heute, als Ministerpräsident, scheint Viktor Orban mit einer Energie-Abhängigkeit von Russland keine Probleme mehr zu haben: Erst kürzlich beschloss seine Regierung, mit dem Bau einer neuen russischen Gaspipeline, der sogenannten South-Stream-Pipeline, in Ungarn zu beginnen. Auch gegen den erklärten Willen der EU. Denn diese hatte in ihren Mitgliedsländern einen Baustopp gegen das russische Projekt verfügt - Hintergrund ist der Ukraine-Konflikt mit Russland.
    Warum Ungarn jetzt aus der energiepolitischen Linie der Europäischen Union ausschert, erklärt Attila Holoda, ehemals stellvertretender Staatssekretär der Fidesz-Regierung und jetzt unabhängiger Energieexperte, so: Orban betreibe eine populistische Energiepolitik. Er möchte sie auf jeden Fall fortsetzen, aber er bekäme dafür keine Unterstützung von den westlichen Ländern, sagt Holoda.
    Orbans Energiepolitik setzt auf staatlich verordnete Preissenkungen und eine Renationalisierung der ungarischen Energiewirtschaft. Und damit auf das Gegenteil von dem, was die EU fordert: einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb auch bei Strom- und Gas. Ministerpräsident Orban suchte sich Unterstützer im Osten. Und fand sie: Russland finanziert jetzt den Bau zweier neuer Atomkraftwerksblöcke in Ungarn und die Verlegung der South-Stream-Pipeline.
    Orientierung nach Russland hat auch technische Gründe
    Über 80 Prozent seines Erdgases bezieht Ungarn heute aus Russland. Vermarktet wird es dort bisher von privaten, überwiegend ausländischen Energieunternehmen aus Westeuropa. Diese sollen jetzt nach und nach durch staatlich kontrollierte, ungarische Unternehmen ersetzt werden. Um die Energiepreise niedrig zu halten, sagt die Regierung. Energie-Experte Holoda sieht aber noch andere Motive: Ungarische Oligarchien, die der Regierung sehr nahe stehen, wollten so die Möglichkeiten bekommen, das große Geld zu machen.
    Die Orientierung nach Russland und der mangelnde Wettbewerb auf dem ungarischen Gasmarkt habe aber auch technische Gründe, gibt Holoda zu bedenken. Ein Pipelinesystem, das Gas auch aus dem Westen nach Osten transportieren kann, fehlt bisher weitgehend. Hier sei die EU-Politik in der Verantwortung. Sie müsse helfen, so bald wie möglich die Gaspipeline-Infrastruktur für die südosteuropäischen Länder zu verbessern. Nur so könnten diese Länder unabhängiger von Russland werden.
    Andererseits kann die derzeitige ungarische Regierung mit einem russischen Gasmonopol offenbar ganz gut leben. Der unabhängige Energie-Experte Holoda erklärt das so: Orban wisse: Ohne eine gut ausgebaute europäische Gas-Infrastruktur und einen voll liberalisierten Markt hingen alle Verbraucher von seiner Regierung ab.
    Welchen Preis die Ungarn aber für diese Energiestrategie bezahlen müssen, weiß momentan kaum einer.