Die letzte Wahl des EU-Parlaments 2014 wurde von einer wirkmächtigen Neuerung geprägt: Den Spitzenkandidaten. Erstmals konkurrierten zwei Politiker der größten politischen Lager, der sozialdemokratischen S&D und der christlich-konservativen EVP, um den Posten des Kommissionspräsidenten. Es gab einen richtigen Wahlkampf mit Kundgebungen, Plakaten und sogar einem TV-Duell. Damals gewann bekanntlich Jean-Claude Juncker das Rennen gegen Martin Schulz. Die nächste Wahl könnte mit einer weiteren Neuerung aufwarten, den transnationalen Listen. Bisher können die Abgeordneten für das Europaparlament nur in ihren jeweiligen Mitgliedsländern gewählt werden. Nur dort kandidieren sie, nur dort führen sie Wahlkampf. Kandidaten auf transnationalen Listen hingegen könnten von den Bürgern aller Mitgliedsländer gewählt werden.
Profil schärfen, sichtbarer sein
Für Jo Leinen, EU-Abgeordneter der SPD, sind diese Listen die logische Fortentwicklung der Spitzenkandidaten-Idee:
"Bei der letzten Europa-Wahl hatten wir Martin Schulz als Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Familie in Europa. Aber gewählt werden konnte er nur in Deutschland. Und wenn wir die Spitzenkandidaten nächstes Jahr 2019 bei den Europa-Wahlen wiederholen, dann sollten diese Personen auch in allen Mitgliedsländern von allen Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden können. Und das geht nur, wenn man europäische Wahllisten hat, wo an der Spitze der Kandidat oder die Kandidatin steht, die Chef der europäischen Regierung werden will, nämlich Präsident der europäischen Kommission."
Transnationale Listen würden das Profil der europäischen Parteien stärken und sie damit für die Bürger sichtbarer machen, argumentiert Jo Leinen. Bis jetzt, beklagt er, würden Europa-Wahlen zu sehr von den nationalen Interessen der einzelnen Parteien bestimmt. Gäbe es transnationale Listen, bekämen die Wähler zwei Stimmen. Mit der einen könnten sie weiterhin Abgeordnete der nationalen Parteien ins Parlament wählen. Die andere könnte an einen Kandidaten der europäischen Parteien vergeben werden.
"Und damit hätte der Bürger noch mehr die Chance zu sagen, welches Europa er will. Will er ein konservatives Europa, ein linkes Europa, ein grünes, ein liberales?"
Mehr Distanz?
Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok hält hingegen nichts von europäischen Kandidatenlisten. Brok ist zwar ebenfalls ein Verfechter der Spitzenkandidaten. Transnationale Listen, so sagt er, würden die EU-Abgeordneten aber eher vom Bürger entfernen, statt sie ihm näher zu bringen.
"Ich möchte den Bürger kennen und der muss mich kennen. Deswegen möchte ich Kandidat sein in Nordrhein-Westfalen, von Ostwestfalen-Lippe, und nicht ein Kandidat auf einer europäischen Liste von Lissabon bis Warburg. Ich möchte näher am Bürger sein."
Dass gerade jetzt wieder über die transnationalen Listen gestritten wird, ist nicht nur den anstehenden Wahlen geschuldet. Denn mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU im März 2019 würden im Parlament mit einem Schlag 73 Sitze frei. Befürworter der transnationalen Listen sehen darin die Chance, europaweit gewählte Abgeordnete ins Parlament zu holen, ohne anderen Ländern Sitze wegnehmen zu müssen. Der Politikwissenschaftler Josef Janning kritisiert allerdings:
"Das ist im Grunde Symbolpolitik."
Zumindest mehr Aufmerksamkeit
Schließlich würden nur 27 der insgesamt 751 Sitze im EU-Parlament über die europäischen Listen besetzt werden. Janning kann der Einführung transnationaler Listen bei gleichbleibendem Wahlsystem aber zumindest einen pro-europäischen Werbeeffekt abgewinnen:
"Das würde schon Aufmerksamkeit erzeugen, das würde auch mediales Interesse erzeugen und damit das europäische Parlament ein Stück stärker ins Gespräch bringen."
Bis dahin muss das Vorhaben aber noch viele Hürden überwinden. Anfang Februar soll im Parlament über den Vorschlag abgestimmt werden. Wenn er dort eine Mehrheit findet, müssen schließlich noch die 28 Staats- und Regierungschefs darüber entscheiden. Ob die Wählerinnen und Wähler also bereits nächstes Jahr Kandidaten ins Parlament wählen können, die europaweit um Stimmen werben und nicht nur auf nationaler Ebene, bleibt ungewiss.