Struck: Guten Morgen Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Struck, bevor wir übers Geld sprechen kurz noch zu einem anderen Thema. Sie kennen den Vorschlag der Länderwirtschaftsminister zur Neuregelung des Ladenschlusses: Montag bis Freitag 6 bis 22 Uhr, Samstags 6 bis 20 Uhr. Unterstützen Sie, unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion diesen Vorschlag?
Struck: Nein, das kann ich so nicht sagen. Für uns steht fest, dass der Sonntag frei bleibt mit Ausnahme der Regelung, die es jetzt schon gibt. Vor Weihnachten uns so weiter gibt es offenbar keine Differenzen mit den Länderwirtschaftsministern. Wir haben im vergangenen Jahr nach der Ladenschlußdebatte, die es ja regelmäßig in den Sommerferien gibt, die Bundesregierung gebeten, Gutachten einzuholen über die Auswirkungen von Änderungen beim Ladenschluß. Diese Gutachten, von denen es zwei gibt, liegen vor. Die Bundesregierung, das zuständige Ministerium, das Arbeits- und Sozialministerium, aber auch das Wirtschaftsministerium werten diese Gutachten aus. Wir werden dann nach Auswertung dieser Gutachten entscheiden. Klar ist eigentlich, dass die Behauptung, man würde durch Veränderung der Ladenschlußzeiten auch mehr Arbeitsplätze schaffen, eine alte FDP-Behauptung, so nicht stimmt, denn das Ladenschlußgesetz ist ja verändert worden. Ich will mich jetzt aber nicht festlegen auf weitere Öffnungszeiten oder höhere Öffnungszeiten.
Heinemann: Warum nicht?
Struck: Nein, weil ich die Auswertung dieser Gutachten abwarten will. Es macht ja keinen Sinn, Gutachten einzuholen und sich vorher schon festzulegen, was dann das eigene Ergebnis sein soll.
Heinemann: Herr Struck, Sachsens Wirtschaftsminister Schommer appellierte vor einer halben Stunde hier im Deutschlandfunk an die Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag, damit auch an Sie, die Abstimmung im hohen Haus freizugeben, das heißt vom Fraktionszwang zu befreien. Sind Sie dazu bereit?
Struck: Diese Forderung verstehe ich nicht ganz. Was heißt Abstimmung freigeben? Bei uns kann jeder abstimmen, so wie er es für richtig hält.
Heinemann: Es gibt ja einen Fraktionszwang.
Struck: Ja, es gibt eine Fraktionsdisziplin, sagen wir, und ich denke, dass die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sich dann auch an den Mehrheitsbeschluß der Fraktion halten werden. Ich halte weitere Änderungen bei den Ladenöffnungszeiten für denkbar, will mich jetzt aber nicht festlegen. Mir scheinen aber nur so auf Anhieb – das ist meine persönliche Meinung – die Öffnungszeiten, die für den Samstag vorgesehen sind, viel zu lang.
Heinemann: Kommen wir zu unserem ersten Thema: wohin mit den fünf Milliarden Mark oder was damit tun, die der Staat jetzt an Zinsen einspart?
Struck: Wir haben uns gerade jetzt am vergangenen Wochenende im Kreise der Haushälter der SPD-Bundestagsfraktion, also der Mitglieder im Haushaltsausschuß, darauf festgelegt, dass wir zwei politische Schwerpunkte mit diesen Zinsersparnissen ausfüllen wollen. Der erste Schwerpunkt betrifft den Bereich Forschung und Bildung und der zweite Schwerpunkt den weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur einschließlich der deutschen Bahn. Da gibt es enormen Nachholbedarf, sowohl was den Straßenbau angeht als auch was die Modernisierung der Bahn angeht. Zum letzteren werden wir mit Sicherheit intensive Gespräche auch mit dem Vorstand der deutschen Bahn AG führen. Es hat keinen Sinn, pauschal irgendeinen Beschluß zu fassen, von diesen etwa fünf Milliarden D-Mark soll die Bahn so und so viele Milliarden kriegen. Ich höre von den Grünen, dass dort über zwei Milliarden Mark geredet wird, wenn man nicht genau weis, wofür das Geld sinnvoll aufgewendet werden soll.
Heinemann: Sind diese Bereiche Bahn und Bildung denn von der Bundesregierung bisher vernachlässigt worden?
Struck: Nein, nicht vernachlässigt, aber es gibt dort noch eindeutig Aufgaben, die zu erledigen sind, insbesondere auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, was Ortsumgehungen, Bundesautobahnen, Bundesstraßen angeht. Dort ist durch die vergangenen 10, 20, 30 Jahre eine Menge versäumt worden. Es gibt großen Reparaturbedarf an Bundesautobahnen, aber eben auch Neubaubedarf. Den wollen wir versuchen zu erfüllen mit den Zinsersparnissen.
Heinemann: Länder und Kommunen rechnen damit, dass sie weniger Steuern einnehmen werden, wenn die UMTS-Bieter ihre Kosten steuerlich geltend machen. Muß der Bund die Länder nicht fairerweise entschädigen?
Struck: Nein, das muß er nicht. Die Länder bekommen keinen Pfennig aus den UMTS-Erlösen und auch nicht aus den Zinsersparnissen direkt, sondern indirekt werden insbesondere die Länder natürlich profitieren von den Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, die wir planen. Die werden ja schließlich nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern ganz konkret in allen 16 Bundesländern durchgeführt. Die Befürchtung der Länder, die Steuerausfälle seien sehr groß, kann ich nur zum Teil nachvollziehen, denn wir gehen alle davon aus, dass natürlich auch mit den neuen UMTS-Lizenzen die Wirtschaft gerade im Telekommunikationsbereich sich entwickeln wird und letztlich dann auch Steuern wieder hereinkommen werden.
Heinemann: Herr Struck, blicken wir nach vorne. "Der Politikwechsel findet nicht statt", so Oskar Lafontaines Abrechnung mit der Politik seiner ehemaligen Freunde. "Wenn demnächst die paritätische Finanzierung der Rentenversicherung aufgegeben wird, ist der Triumpf der Unternehmer vollkommen", so Lafontaine in diesem Sommer. Erwarten Sie einen heißen Rentenherbst?
Struck: Nein, den erwarte ich nicht. Im übrigen will ich mich auch zu Oskar Lafontaine nicht weiter äußern. Wer draußen ist ist draußen, und er hat ja schließlich diese Entscheidung selbst vollzogen. Es hat ihn niemand dazu gezwungen. Ich finde diese Kommentierung der Bundespolitik schon etwas eigenartig, aber das muß er mit sich selbst abmachen. Was die Rentenstrukturreform angeht, werden wir im September einen Referentenentwurf vorlegen. Das zuständige Ministerium und die Fachleute der SPD-Fraktion erarbeiten diesen Referentenentwurf. Dann werden wir noch einmal mit der CDU und der CSU darüber reden, ob sie sich vorstellen können, diese Rentenstrukturreform mitzutragen und wenn ja unter welchen Bedingungen. Das Gesetzgebungsverfahren wird dann im Oktober eingeleitet und soll spätestens im Frühjahr abgeschlossen werden. Was wir noch machen müssen ist: Wir müssen Überzeugungsarbeit insbesondere im Gespräch mit einzelnen Gewerkschaften, nicht mit allen Gewerkschaften leisten. Die SPD-Fraktion führt deshalb zur Zeit etwa 20 Regionalkonferenzen in ganz Deutschland durch, um auch hier für dieses Modell, das wir beschlossen haben, zu werben.
Heinemann: Wohl auch noch mit einigen Parteifreunden. Gerade hat der mitgliederstärkste SPD-Bezirk westliches Westfalen der Bundesregierung die rote Karte gezeigt. Ihre Parteifreunde fordern, die private Vorsorge wie Lafontaine paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu finanzieren. Also unterm Strich mehr Lafontaine und weniger Schröder?
Struck: Dieser Beschluß des SPD-Bezirks westliches Westfalen ist eine Meinungsbildung innerhalb dieses großen SPD-Bezirks. Die Meinungsbildung innerhalb der Partei ist abgeschlossen. Wir haben sowohl einen Präsidiumsbeschluß der SPD als einen Parteivorstandsbeschluß, Parteiratsbeschluß. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit deutlicher Mehrheit dieses Konzept beschlossen. Diejenigen, die unterlegen sind, versuchen natürlich, nun noch auf anderen Wegen eine Änderung dieser Meinung herbeizuführen. Ich sehe nicht, dass das geschieht. Insbesondere halte ich auch das Argument, die private Altersvorsorge müsse paritätisch finanziert werden, für falsch. In der Vergangenheit ist auch niemandem, der einen privaten Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen hat, von seinem Arbeitgeber dazu die Hälfte für die Prämie mitgegeben worden, es sei denn, man hat, Herr Heinemann, Betriebsrentenvereinbarungen getroffen. Da gibt es schon verschiedene Bereiche, und zu unserem Konzept gehört auch, dass wir die Gewerkschaften und die Arbeitgeber bitten wollen, in ihren Tarifvereinbarungen eine solche Betriebsrente oder eine Mitfinanzierung der privaten Altersvorsorge durch den Arbeitgeber zu vereinbaren. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass das auch in vielen weiteren Bereichen noch gelingen kann.
Heinemann: Sie sprachen eben von den Unterlegenen, Herr Struck. Von Ihrem saarländischen Amtskollegen und Parteifreund Heiko Maaß stammt der Satz, "bei der Rente müssen wir beweisen, ob wir noch eine linke Volkspartei sind oder uns nur noch in Pragmatismus üben", und er fügte hinzu, "ureigene sozialdemokratische Themenfelder seien unter die Räder gekommen". Muß die SPD-Fraktion und die Fraktionsführung gegenüber der Regierung nicht langsam mal richtig Farbe bekennen?
Struck: Wir sind und bleiben eine linke Volkspartei. Das steht völlig außer Frage. Wir haben, wie die Vergangenheit zeigt, den Reformstau in Deutschland jetzt aufgelöst, und zwar auch in einer Weise, von der die Arbeitnehmer sehr viel profitieren. Ich kann nicht erkennen, dass wir unsere Identität verletzt haben oder unsere sozialdemokratischen Positionen verlassen haben. Ich halte solche Äußerungen für wenig hilfreich in dieser Diskussion. Es ist völlig klar, dass wir eine Rentenstrukturreform brauchen allein wegen der –demographischen Entwicklung in unserem Land. Da helfen solche plakativen Vorwürfe überhaupt nicht weiter. Es gibt keine Alternative zu dem, was Walter Riester und auch die SPD-Bundestagsfraktion dazu vorgelegt und beschlossen haben. Jetzt kommt es nur darauf an, dass man Überzeugungsarbeit leistet, dass vor allen Dingen gerade auch die jüngeren Menschen in Deutschland wissen und sich entsprechend verhalten, dass eine private zusätzliche Altersvorsorge nötig ist, weil sonst ein Rentenniveau von 68 bis 70 Prozent im Jahre 2030 mit der gesetzlichen Rentenversicherung alleine nicht zu erreichen sein wird.
Heinemann: Russland liefert fast täglich eindrucksvolle Beweise einer mangelnden Sicherheitskultur. Gerhard Schröder, SPD, möchte dennoch einem Verkauf der Hanauer Brennelementefabrik zustimmen. Unterstützen Sie den Bundeskanzler dabei?
Struck: Ja, ich unterstütze ihn sehr.
Heinemann: Keine Sicherheitsbedenken?
Struck: Nein. Wir wissen, dass die Atomwaffen, die noch in Russland lagern, schon umgewandelt werden sollen in Brennelemente für Kernkraftwerke, also sozusagen privatisiert werden aus dem militärischen Bereich. Das ist absolut richtig. Wir wollen, dass die Atomrüstung weiter zurückgefahren wird auch durch Russland, und dieses Werk, das von Hanau dann nach Russland geliefert werden soll, ist das geeignete Instrument, mehr Abrüstung zu erreichen und mehr zivile Nutzung zu erreichen.
Heinemann: Haben Sie keine Sicherheitsbedenken?
Struck: Nein, ich habe keine Sicherheitsbedenken. Natürlich macht man sich immer Gedanken, wenn man die Bilder aus Moskau sieht, aber es kann ja nicht dazu führen, dass wir sagen, dieses Land ist so chaotisch, dass man keinerlei Hilfe leisten kann, wenn dieses Land versucht, seine Atomwaffen zurückzufahren.
Heinemann: Bundesaußenminister Joschka Fischer ist wieder einmal im Bundessicherheitsrat gescheitert in der Frage einer Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei. Kann Deutschland international noch länger von einem Mann vertreten werden, der zu Hause ständig vorgeführt wird?
Struck: Ja, natürlich! Joschka Fischer macht seinen Job sehr gut. Das ist unstrittig. Er ist im Kreise der Außenminister hoch anerkannt, nicht nur der europäischen Außenminister.
Heinemann: Im Bundessicherheitsrat offenbar nicht so?
Struck: Der Bundessicherheitsrat ist eine andere Institution. Der Bundessicherheitsrat muß über Anträge von Firmen entscheiden, die Verhandlungen mit anderen Regierungen über die Lieferung von kontrollpflichtigen Gütern führen. Der Bundessicherheitsrat hat insbesondere auch deshalb so entschieden, weil es schon eine Zusage aufgrund einer Voranfrage der alten Bundesregierung gab. Es ist wichtig, dass wir in solchen Fragen schon uns an die internationalen Regeln halten.
Heinemann: Kurz zum Schluß noch: Bescheide für Voranfragen gelten immer nur vorbehaltlich, unverändert der Umstände, in denen sie gestellt wurden?
Struck: Das ist schon richtig. Auf der anderen Seite dürfen wir überhaupt nicht vernachlässigen, dass die Türkei ein NATO-Staat ist und dass es hier darum geht, in der Türkei eine Munition zu produzieren, die NATO-Munition ist. Es wird also auf eine andere Munition umgestellt und ich kann nicht erkennen, warum diese Entscheidung falsch gewesen ist.
Heinemann: Zum Beispiel wegen der Kurden. Das können wir aber jetzt nicht mehr ausweiten. – Im Deutschlandfunk sprachen wir mit Peter Struck, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Heinemann: Herr Struck, bevor wir übers Geld sprechen kurz noch zu einem anderen Thema. Sie kennen den Vorschlag der Länderwirtschaftsminister zur Neuregelung des Ladenschlusses: Montag bis Freitag 6 bis 22 Uhr, Samstags 6 bis 20 Uhr. Unterstützen Sie, unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion diesen Vorschlag?
Struck: Nein, das kann ich so nicht sagen. Für uns steht fest, dass der Sonntag frei bleibt mit Ausnahme der Regelung, die es jetzt schon gibt. Vor Weihnachten uns so weiter gibt es offenbar keine Differenzen mit den Länderwirtschaftsministern. Wir haben im vergangenen Jahr nach der Ladenschlußdebatte, die es ja regelmäßig in den Sommerferien gibt, die Bundesregierung gebeten, Gutachten einzuholen über die Auswirkungen von Änderungen beim Ladenschluß. Diese Gutachten, von denen es zwei gibt, liegen vor. Die Bundesregierung, das zuständige Ministerium, das Arbeits- und Sozialministerium, aber auch das Wirtschaftsministerium werten diese Gutachten aus. Wir werden dann nach Auswertung dieser Gutachten entscheiden. Klar ist eigentlich, dass die Behauptung, man würde durch Veränderung der Ladenschlußzeiten auch mehr Arbeitsplätze schaffen, eine alte FDP-Behauptung, so nicht stimmt, denn das Ladenschlußgesetz ist ja verändert worden. Ich will mich jetzt aber nicht festlegen auf weitere Öffnungszeiten oder höhere Öffnungszeiten.
Heinemann: Warum nicht?
Struck: Nein, weil ich die Auswertung dieser Gutachten abwarten will. Es macht ja keinen Sinn, Gutachten einzuholen und sich vorher schon festzulegen, was dann das eigene Ergebnis sein soll.
Heinemann: Herr Struck, Sachsens Wirtschaftsminister Schommer appellierte vor einer halben Stunde hier im Deutschlandfunk an die Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag, damit auch an Sie, die Abstimmung im hohen Haus freizugeben, das heißt vom Fraktionszwang zu befreien. Sind Sie dazu bereit?
Struck: Diese Forderung verstehe ich nicht ganz. Was heißt Abstimmung freigeben? Bei uns kann jeder abstimmen, so wie er es für richtig hält.
Heinemann: Es gibt ja einen Fraktionszwang.
Struck: Ja, es gibt eine Fraktionsdisziplin, sagen wir, und ich denke, dass die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sich dann auch an den Mehrheitsbeschluß der Fraktion halten werden. Ich halte weitere Änderungen bei den Ladenöffnungszeiten für denkbar, will mich jetzt aber nicht festlegen. Mir scheinen aber nur so auf Anhieb – das ist meine persönliche Meinung – die Öffnungszeiten, die für den Samstag vorgesehen sind, viel zu lang.
Heinemann: Kommen wir zu unserem ersten Thema: wohin mit den fünf Milliarden Mark oder was damit tun, die der Staat jetzt an Zinsen einspart?
Struck: Wir haben uns gerade jetzt am vergangenen Wochenende im Kreise der Haushälter der SPD-Bundestagsfraktion, also der Mitglieder im Haushaltsausschuß, darauf festgelegt, dass wir zwei politische Schwerpunkte mit diesen Zinsersparnissen ausfüllen wollen. Der erste Schwerpunkt betrifft den Bereich Forschung und Bildung und der zweite Schwerpunkt den weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur einschließlich der deutschen Bahn. Da gibt es enormen Nachholbedarf, sowohl was den Straßenbau angeht als auch was die Modernisierung der Bahn angeht. Zum letzteren werden wir mit Sicherheit intensive Gespräche auch mit dem Vorstand der deutschen Bahn AG führen. Es hat keinen Sinn, pauschal irgendeinen Beschluß zu fassen, von diesen etwa fünf Milliarden D-Mark soll die Bahn so und so viele Milliarden kriegen. Ich höre von den Grünen, dass dort über zwei Milliarden Mark geredet wird, wenn man nicht genau weis, wofür das Geld sinnvoll aufgewendet werden soll.
Heinemann: Sind diese Bereiche Bahn und Bildung denn von der Bundesregierung bisher vernachlässigt worden?
Struck: Nein, nicht vernachlässigt, aber es gibt dort noch eindeutig Aufgaben, die zu erledigen sind, insbesondere auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, was Ortsumgehungen, Bundesautobahnen, Bundesstraßen angeht. Dort ist durch die vergangenen 10, 20, 30 Jahre eine Menge versäumt worden. Es gibt großen Reparaturbedarf an Bundesautobahnen, aber eben auch Neubaubedarf. Den wollen wir versuchen zu erfüllen mit den Zinsersparnissen.
Heinemann: Länder und Kommunen rechnen damit, dass sie weniger Steuern einnehmen werden, wenn die UMTS-Bieter ihre Kosten steuerlich geltend machen. Muß der Bund die Länder nicht fairerweise entschädigen?
Struck: Nein, das muß er nicht. Die Länder bekommen keinen Pfennig aus den UMTS-Erlösen und auch nicht aus den Zinsersparnissen direkt, sondern indirekt werden insbesondere die Länder natürlich profitieren von den Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, die wir planen. Die werden ja schließlich nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern ganz konkret in allen 16 Bundesländern durchgeführt. Die Befürchtung der Länder, die Steuerausfälle seien sehr groß, kann ich nur zum Teil nachvollziehen, denn wir gehen alle davon aus, dass natürlich auch mit den neuen UMTS-Lizenzen die Wirtschaft gerade im Telekommunikationsbereich sich entwickeln wird und letztlich dann auch Steuern wieder hereinkommen werden.
Heinemann: Herr Struck, blicken wir nach vorne. "Der Politikwechsel findet nicht statt", so Oskar Lafontaines Abrechnung mit der Politik seiner ehemaligen Freunde. "Wenn demnächst die paritätische Finanzierung der Rentenversicherung aufgegeben wird, ist der Triumpf der Unternehmer vollkommen", so Lafontaine in diesem Sommer. Erwarten Sie einen heißen Rentenherbst?
Struck: Nein, den erwarte ich nicht. Im übrigen will ich mich auch zu Oskar Lafontaine nicht weiter äußern. Wer draußen ist ist draußen, und er hat ja schließlich diese Entscheidung selbst vollzogen. Es hat ihn niemand dazu gezwungen. Ich finde diese Kommentierung der Bundespolitik schon etwas eigenartig, aber das muß er mit sich selbst abmachen. Was die Rentenstrukturreform angeht, werden wir im September einen Referentenentwurf vorlegen. Das zuständige Ministerium und die Fachleute der SPD-Fraktion erarbeiten diesen Referentenentwurf. Dann werden wir noch einmal mit der CDU und der CSU darüber reden, ob sie sich vorstellen können, diese Rentenstrukturreform mitzutragen und wenn ja unter welchen Bedingungen. Das Gesetzgebungsverfahren wird dann im Oktober eingeleitet und soll spätestens im Frühjahr abgeschlossen werden. Was wir noch machen müssen ist: Wir müssen Überzeugungsarbeit insbesondere im Gespräch mit einzelnen Gewerkschaften, nicht mit allen Gewerkschaften leisten. Die SPD-Fraktion führt deshalb zur Zeit etwa 20 Regionalkonferenzen in ganz Deutschland durch, um auch hier für dieses Modell, das wir beschlossen haben, zu werben.
Heinemann: Wohl auch noch mit einigen Parteifreunden. Gerade hat der mitgliederstärkste SPD-Bezirk westliches Westfalen der Bundesregierung die rote Karte gezeigt. Ihre Parteifreunde fordern, die private Vorsorge wie Lafontaine paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu finanzieren. Also unterm Strich mehr Lafontaine und weniger Schröder?
Struck: Dieser Beschluß des SPD-Bezirks westliches Westfalen ist eine Meinungsbildung innerhalb dieses großen SPD-Bezirks. Die Meinungsbildung innerhalb der Partei ist abgeschlossen. Wir haben sowohl einen Präsidiumsbeschluß der SPD als einen Parteivorstandsbeschluß, Parteiratsbeschluß. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit deutlicher Mehrheit dieses Konzept beschlossen. Diejenigen, die unterlegen sind, versuchen natürlich, nun noch auf anderen Wegen eine Änderung dieser Meinung herbeizuführen. Ich sehe nicht, dass das geschieht. Insbesondere halte ich auch das Argument, die private Altersvorsorge müsse paritätisch finanziert werden, für falsch. In der Vergangenheit ist auch niemandem, der einen privaten Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen hat, von seinem Arbeitgeber dazu die Hälfte für die Prämie mitgegeben worden, es sei denn, man hat, Herr Heinemann, Betriebsrentenvereinbarungen getroffen. Da gibt es schon verschiedene Bereiche, und zu unserem Konzept gehört auch, dass wir die Gewerkschaften und die Arbeitgeber bitten wollen, in ihren Tarifvereinbarungen eine solche Betriebsrente oder eine Mitfinanzierung der privaten Altersvorsorge durch den Arbeitgeber zu vereinbaren. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass das auch in vielen weiteren Bereichen noch gelingen kann.
Heinemann: Sie sprachen eben von den Unterlegenen, Herr Struck. Von Ihrem saarländischen Amtskollegen und Parteifreund Heiko Maaß stammt der Satz, "bei der Rente müssen wir beweisen, ob wir noch eine linke Volkspartei sind oder uns nur noch in Pragmatismus üben", und er fügte hinzu, "ureigene sozialdemokratische Themenfelder seien unter die Räder gekommen". Muß die SPD-Fraktion und die Fraktionsführung gegenüber der Regierung nicht langsam mal richtig Farbe bekennen?
Struck: Wir sind und bleiben eine linke Volkspartei. Das steht völlig außer Frage. Wir haben, wie die Vergangenheit zeigt, den Reformstau in Deutschland jetzt aufgelöst, und zwar auch in einer Weise, von der die Arbeitnehmer sehr viel profitieren. Ich kann nicht erkennen, dass wir unsere Identität verletzt haben oder unsere sozialdemokratischen Positionen verlassen haben. Ich halte solche Äußerungen für wenig hilfreich in dieser Diskussion. Es ist völlig klar, dass wir eine Rentenstrukturreform brauchen allein wegen der –demographischen Entwicklung in unserem Land. Da helfen solche plakativen Vorwürfe überhaupt nicht weiter. Es gibt keine Alternative zu dem, was Walter Riester und auch die SPD-Bundestagsfraktion dazu vorgelegt und beschlossen haben. Jetzt kommt es nur darauf an, dass man Überzeugungsarbeit leistet, dass vor allen Dingen gerade auch die jüngeren Menschen in Deutschland wissen und sich entsprechend verhalten, dass eine private zusätzliche Altersvorsorge nötig ist, weil sonst ein Rentenniveau von 68 bis 70 Prozent im Jahre 2030 mit der gesetzlichen Rentenversicherung alleine nicht zu erreichen sein wird.
Heinemann: Russland liefert fast täglich eindrucksvolle Beweise einer mangelnden Sicherheitskultur. Gerhard Schröder, SPD, möchte dennoch einem Verkauf der Hanauer Brennelementefabrik zustimmen. Unterstützen Sie den Bundeskanzler dabei?
Struck: Ja, ich unterstütze ihn sehr.
Heinemann: Keine Sicherheitsbedenken?
Struck: Nein. Wir wissen, dass die Atomwaffen, die noch in Russland lagern, schon umgewandelt werden sollen in Brennelemente für Kernkraftwerke, also sozusagen privatisiert werden aus dem militärischen Bereich. Das ist absolut richtig. Wir wollen, dass die Atomrüstung weiter zurückgefahren wird auch durch Russland, und dieses Werk, das von Hanau dann nach Russland geliefert werden soll, ist das geeignete Instrument, mehr Abrüstung zu erreichen und mehr zivile Nutzung zu erreichen.
Heinemann: Haben Sie keine Sicherheitsbedenken?
Struck: Nein, ich habe keine Sicherheitsbedenken. Natürlich macht man sich immer Gedanken, wenn man die Bilder aus Moskau sieht, aber es kann ja nicht dazu führen, dass wir sagen, dieses Land ist so chaotisch, dass man keinerlei Hilfe leisten kann, wenn dieses Land versucht, seine Atomwaffen zurückzufahren.
Heinemann: Bundesaußenminister Joschka Fischer ist wieder einmal im Bundessicherheitsrat gescheitert in der Frage einer Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei. Kann Deutschland international noch länger von einem Mann vertreten werden, der zu Hause ständig vorgeführt wird?
Struck: Ja, natürlich! Joschka Fischer macht seinen Job sehr gut. Das ist unstrittig. Er ist im Kreise der Außenminister hoch anerkannt, nicht nur der europäischen Außenminister.
Heinemann: Im Bundessicherheitsrat offenbar nicht so?
Struck: Der Bundessicherheitsrat ist eine andere Institution. Der Bundessicherheitsrat muß über Anträge von Firmen entscheiden, die Verhandlungen mit anderen Regierungen über die Lieferung von kontrollpflichtigen Gütern führen. Der Bundessicherheitsrat hat insbesondere auch deshalb so entschieden, weil es schon eine Zusage aufgrund einer Voranfrage der alten Bundesregierung gab. Es ist wichtig, dass wir in solchen Fragen schon uns an die internationalen Regeln halten.
Heinemann: Kurz zum Schluß noch: Bescheide für Voranfragen gelten immer nur vorbehaltlich, unverändert der Umstände, in denen sie gestellt wurden?
Struck: Das ist schon richtig. Auf der anderen Seite dürfen wir überhaupt nicht vernachlässigen, dass die Türkei ein NATO-Staat ist und dass es hier darum geht, in der Türkei eine Munition zu produzieren, die NATO-Munition ist. Es wird also auf eine andere Munition umgestellt und ich kann nicht erkennen, warum diese Entscheidung falsch gewesen ist.
Heinemann: Zum Beispiel wegen der Kurden. Das können wir aber jetzt nicht mehr ausweiten. – Im Deutschlandfunk sprachen wir mit Peter Struck, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio