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Umwelt
Atomkraft-Debatte leicht erklärt

In Deutschland sind noch acht Atomreaktoren in Betrieb. Dass diese bis spätestens 2022 vom Netz gehen, daran besteht kein Zweifel. Was aber mit dem Atommüll passieren wird, das steht noch nicht fest. Ulrich Dornsiepen versucht in seinem Buch "Atommüll-wohin?" die Debatte für Laien aufzuschlüsseln.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 10.08.2015
    Salzstock Gorleben, 840 Meter Tiefe, Blick auf den Fahrstuhl, bergmännisch: die Seilfahrtanlage
    Wissenschaftler sprechen sich für den Standort Gorleben aus (Deutschlandradio / Axel Schröder)
    Um weit in die Zukunft zu schauen, lohnt gelegentlich der Blick zurück. Also beginnt Ulrich Dornsiepen bei den alten Griechen. Die dachten noch, dass die Materie aus kleinsten, unteilbaren Bausteinen aufgebaut sei, aber "leider" – schreibt, Dornsiepen:
    "Hatten die Alten Griechen nicht recht mit ihrer Idee der Unteilbarkeit der Atome, denn sonst hätten wir das Problem mit dem Atommüll nicht. Wir benutzen nämlich den Zerfall und die Teilung von Atomen, um die dabei frei werdende Energie in elektrische Energie umzuwandeln."
    Genau das geschieht von Grundremmingen bis Brokdorf. Acht Atomreaktoren sind derzeit vom Süden bis zum Norden der Republik noch in Betrieb. Der letzte Meiler soll im Jahr 2022 vom Netz gehen, Deutschland steigt dann aus der Atomkraft aus – eine Lehre aus der Fukushima-Katastrophe. Übrig bleiben unter anderem gut 28.000 Kubikmeter Brennstäbe. Das entspricht in etwa dem anderthalbfachen Volumen des Brandenburger Tors. Dieser Müllberg ist ein einziges Problem: Denn niemand weiß bislang, wohin mit dem hoch radioaktiven Erbe aus mindestens sechs Jahrzehnten deutscher Atomkraft-Nutzung.
    "Alle Leute sagen, es ist extrem wichtig – aber bitte nicht vor meiner Haustür!"
    Gegen Atommüll vor der eigenen Haustür
    Meint Ulrich Dornsiepen, Autor des 175 Seiten schmalen Buches mit dem schnöden und zugleich ratlosen Titel "Atommüll – wohin?" In drei Kapiteln beschreibt der Geologe vor allem die physikalischen und geologischen Grundlagen der deutschen Endlager-Suche. Wobei er sich gelegentlich im Gestrüpp der wissenschaftlichen Details verheddert – was insofern schade ist, als dass Dornsiepen sich ausdrücklich nicht an ein Fachpublikum, sondern an den "interessierten Laien" wendet. Gelegentlich klingt das verschroben-humorvoll, etwa im Abschnitt über Atommodelle:
    "Denken (wir) uns, dass ein Elektron ein Samen einer Pusteblume ist. Davon schneiden wir den Samen ab und behalten nur den kleinen, leichten Fallschirmpuschel.Beim Uran wären es 92 Puschel, verteilt auf 7 Schalen und etwa 440.000 Puschel im Kern, zusammengepresst zu einer kleinen Murmel."
    So possierlich das klingt: Die gesellschaftliche Debatte klammert Dornsiepen leider fast komplett aus. Seien es die Bürgerproteste gegen den Standort Gorleben oder die schwierige Arbeit der eigens gegründeten Endlager-Kommission im Bundestag. Gegner und Befürworter der Atomkraft sollen in diesem Gremium bis 2016 Kriterien für die Endlager-Suche erarbeiten, eine Aufgabe, die polarisiert. Das Thema braucht deshalb mehr Öffentlichkeit und darf nicht allein der Wissenschaft überlassen bleiben, meint die Bundestags-Abgeordnete Julia Verlinden von den Grünen. Der Salzstock Gorleben liegt direkt in ihrem Wahlkreis:
    "Das heißt also, diese Debatte Atommüll, wohin eigentlich damit, und wie gehen wir damit um? Wie gehen wir auch mit dem Rückbau von Atomkraftwerken um? Welche Beteiligungsformate brauchen wir eigentlich, und wie führen wir eigentlich diese gesellschaftliche Debatte? Das ist eine Aufgabe, die natürlich auch von anderen gesellschaftlichen Akteuren mit getragen werden kann."
    Gesellschaftliche Debatte ausgeblendet
    Ulrich Dornsiepen verpasst diese Gelegenheit in seinem Buch leider. Das ist schade, zumal der Autor durchaus kritisch auf die schon Jahrzehnte andauernde politische Auseinandersetzung blickt. Da sei viel Legendenbildung und Opportunismus im Spiel:
    "Eine ganze Menge. Die Debatte müsste viel ehrlicher geführt werden, und man muss unvoreingenommener mit den Dingen umgehen."
    Konkreter wird Dornsiepen nicht. Politische Statements seien nicht sein Metier. Hoch anzurechnen ist dem Autor hingegen, dass er dem Leser eine Idee von den eigentlich unvorstellbaren zeitlichen Dimensionen der Endlager-Suche vermittelt.
    "Es ist immer schwierig für einen Laien, deutlich zu machen, dass eine Million Jahre für einen Geologen ein Klacks ist. Das ist also nichts, wenn Sie das vergleichen mit dem Alter der Erde von viereinhalb Milliarden Jahren!"
    Trotzdem noch einmal die Nachfrage: Warum nicht einfach einen riesigen Beton-Sarkophag bauen wie in Tschernobyl und die Castoren dort hineinstellen?
    "Die ältesten Betonbauten, die wir haben, sind 150 Jahre alt. Das heißt, wir wissen nichts über die Langzeit-Sicherheit von Beton. Wir können darüber keine Prognosen stellen."
    Das ist umgekehrt auch einer der Gründe, warum der Wissenschaftler – anders als so viele Politiker – ganz klar für den Standort Gorleben als Endlager plädiert. Abgesehen von einer Korrosionsrinne, durch die Feuchtigkeit in den Salzstock gelangen könnte, erfüllt Gorleben nach Ansicht von Ulrich Dornsiepen die Voraussetzungen für ein Atommüll-Endlager am besten. Die Geometrie sei geeignet und ebenso die tektonische Lage – Gorleben gilt als erdbebensicher.
    "Von daher: Wir kennen die Geschichte eines Salzstockes, und wir wissen, wie er sich in den letzten ein, zwei Millionen Jahren verhalten hat und können sagen: Ok, vermutlich wird es sich auch in den nächsten eine Million Jahren ähnlich oder genauso verhalten, und das können wir berechnen oder voraussagen.
    Gorleben als Endlager
    Bei allen Abstrichen – den größten Erkenntniswert hat der Leser vom dritten Kapitel über geplante und bestehende Endlager. Detailliert listet Ulrich Dornsiepen die Probleme des absaufenden Schachtes Asse II auf, er nimmt den von der DDR als Endlager geplanten Standort Morsleben unter die Lupe, er blickt in den Schacht Konrad und widmet sich schließlich ausführlich dem Zankapfel Gorleben. Die Grünen-Politikerin Julia Verlinden fasst zusammen:
    "Es geht eben auch darum, wie funktioniert eigentlich eine Gesellschaft über einen ganz langen Zeitraum? Wie sollen die Warnschilder eigentlich designed sein, dass die Menschen das auch noch in tausenden Jahren erkennen: Oh! Hier wurde mal Atommüll gelagert! "
    So lebensnah und praktisch äußert sich Ulrich Dornsiepen in seinem Buch nicht. Doch der Leser erfährt in den Schlussbetrachtungen schließlich ein paar wissenswerte Details über die Vorteile von Tongesteinen – etwa die geringe Durchlässigkeit – und die Nachteile von Salzgesteinen; zum Beispiel die hohe Wasserlöslichkeit. Auch das eine oder andere Gutachten des Bundesumweltministeriums zu den Sicherheits-Anforderungen an ein Atomendlager wird erwähnt, sodass der Autor die politische Brisanz der Endlagersuche am Ende zumindest streift. Leider sind die Angaben jedoch oft veraltet. Die Frage, wohin mit dem Atommüll, wird durch dieses Buch keinesfalls beantwortet – das wäre auch vermessen. Dornsiepen schärft jedoch das Bewusstsein für ein unendlich großes Problem. Eines, das für mindestens eine Million Jahre bestehen bleiben wird.
    Ulrich Dornsiepen : "Atommüll – wohin?" Darmstadt: Primus Verlag.175 Seiten für 24,95 € ISBN: 978-3863123697.