Archiv


Umwelt-Tagung in Bremen zum Thema '' Sicherheit von Atomanlagen und Chemiefabriken''

    Kapérn: Gleich nach dem 11. September, meine Damen und Herren, tauchte die Frage auf: hätte der Horror, verursacht durch Selbstmordpiloten mit Passagierjetts, noch größer ausfallen können? - "Ja, er hätte", lautete die Antwort, nämlich dann, wenn eine Nuklearanlage Ziel eines solchen Anschlags gewesen wäre. Heute beschäftigen sich die Umweltminister aus Bund und Ländern bei ihrer Tagung in Bremen mit dem Thema "Sicherheit von Atomanlagen und Chemiefabriken vor Terroranschlägen". Bei uns am Telefon der Umweltminister von Schleswig-Holstein, Klaus Müller von den Grünen. Guten Morgen!

    Müller: Guten Morgen Herr Kapérn.

    Kapérn: Herr Müller, nach den Gedankenspielen vom September lautete damals die beklemmende Antwort auf diese Frage nach dem Schutz der Nuklearanlagen, sie lassen sich nicht gegen solche Selbstmordanschläge schützen. Wird das auch die zentrale Erkenntnis Ihrer heutigen Beratungen sein?

    Müller: Wir werden ja damit heute erst in Bremen beginnen, aber wenn ich mir angucke, welche Unterlagen uns insbesondere das Bundesumweltministerium zur Verfügung gestellt hat, dann ist das genau die bittere Erkenntnis. Das was viele, die gerade auch gegenüber der Atomenergie schon kritisch eingestellt waren, bereits gewusst haben, sich aber natürlich keiner gewagt hat auszumalen, vor dem 11. 9., die einfache Botschaft lautet: eine Atomkraftanlage in Deutschland ist gegen einen Absturz, einen gezielten Absturz mit terroristischem Hintergrund wie in New York und Washington nicht geschützt.

    Kapérn: Und nun? Diese Erkenntnis einfach ignorieren?

    Müller: Nein. Ich glaube man muss darüber offen und ehrlich diskutieren, und selbst das scheint ja schwer zu fallen. Wir erleben ja, dass viele gesagt haben, nach dem 11. 9. muss sich vieles ändern - zurecht. Wir schnüren Sicherheitspaket 1, Sicherheitspaket 2. Wir wissen, dass dies Auswirkungen hat auf viele Bereiche unseres Lebens, vom Personalausweis bis hin zum Einwanderungsgesetz. Das ist ja auch alles so weit in Ordnung. Nur einige sind plötzlich blind - da darf man sich natürlich schon fragen warum -, wenn es um ein anderes Kapitel unserer Sicherheit geht, nämlich um die Sicherheit der Energieversorgung. Das ist das erste. Darüber muss man vor allem eine ehrliche Diskussion führen. Da darf sich keiner hinter auch irgendwelchen ideologischen Motiven verstecken.

    Kapérn: Aber eine Diskussion - verzeihen Sie, Herr Müller, wenn ich dort einhake - an sich sichert ja Atomkraftwerke noch nicht?

    Müller: Nein. Darum haben Sie gerade auch an der entscheidenden Schnittstelle eingehakt. Der zweite Schritt, den sie angehen müssen, ist der Punkt: Es gibt Anlagen, die sind unsicherer als andere, nämlich die sind noch weniger geschützt. Das sind ganz einfach die älteren Anlagen. Manch eine Anlage ist zum Beispiel - wir können das auch in Zahlen machen -, zehn Anlagen, die seit 1981 in Betrieb gegangen sind, sind nach einer Stoßdiagnose gegen einen unfallbedingten Abschuss einer Militärmaschine immerhin vom Typ Phantom geschützt, vier gegen einen Starfighter-Abschuss, aber fünf weitere Anlagen haben einen noch geringeren baulichen Schutz.

    Kapérn: Müssen die stillgelegt werden?

    Müller: Genau das ist ja möglich im Rahmen des Atomkonsenses, auch übrigens im Konsens mit den Betreibern, indem man sagt, die älteren Anlagen, die weniger geschützten Anlagen kann man sehr, sehr schnell abschalten und damit dann die Menge, die noch zu produzieren ist, auf neuere, zumindest etwas sicherere Anlagen umgelegt werden kann.

    Kapérn: Wann kommt dieser Beschluss, der ja, wie Sie gerade erläutert haben, relativ einfach zu fassen ist und auch im Konsens mit den Betreibern?

    Müller: Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehen genau mit dieser Position in die heutige Umweltministerkonferenz. Wir haben das auch schriftlich formuliert und eingereicht. Da kann also keiner sagen, er sei irgendwie überrascht. Jetzt liegt der Ball bei zweien, nämlich einmal in der Tat bei den Atomkraftbetreibern, können die sich diesem Risiko dieser Anlage tatsächlich unterziehen, oder haben nicht auch die eine Verantwortung. Und die zweite Ebene sind natürlich die anderen Länderkollegen, weil der Druck auf die Atomkraftwerksbetreiber steigt natürlich um so mehr, je einiger sich die Politik ist.

    Kapérn: Noch einmal gefragt, Herr

    Müller: Bis wann halten Sie eine Vereinbarung über die Stilllegung der am meisten gefährdeten Atomanlagen für möglich?

    Müller: Möglich ist das sehr schnell. Das ist im Prinzip eher eine Frage von Tagen und Stunden als von Wochen und Monaten, weil der Atomkonsens ja unterschrieben ist. Das ist ja auch die Stärke des rot/grünen Atomkonsenses, indem man sagt, er hat ja ein dynamisches, ein flexibles Element, um genau auf solche schrecklichen Sicherheitsszenarien flexibel reagieren zu können. Ich weiß, dass der Bundesumweltminister Trittin auch hier schon bei Gesprächen ist. Leider stößt er - und das finde ich persönlich schon sehr erschreckend - noch nicht auf besonders viel Sensibilität auf Seite der Anlagenbetreiber.

    Kapérn: Mal angenommen Ihr Optimismus läuft nicht ins Leere und es kommt tatsächlich zu einer solchen Vereinbarung über die Stilllegung der am meisten gefährdeten Atomanlagen, was tun mit dem Rest? Soll man dort das Risiko einfach ignorieren?

    Müller: Ich bin persönlich nie für ignorieren. Das ist für mich eine "Kopf in den Stand stecken"-Mentalität. Die ist nicht mehr zeitgemäß und auch nicht mehr zu verantworten. Nein, man wird auch darüber ernsthaft in dieser Gesellschaft diskutieren müssen. Das ist eine Frage: ist die Gesellschaft bereit, das Risiko zu tragen. Meine Antwort darauf lautet ganz klar: Das kann man eigentlich nicht tragen und der Weg, damit umzugehen, bedeutet ein massiver Ausbau in alternative Energien. Schleswig-Holstein, wo wir das tun, ist bereits auf einem Weg. Unsere Prognose ist, bis 2010 schaffen wir die Hälfte des produzierten oder verbrauchten Stroms in Schleswig-Holstein aus regenerativen Anlagen.

    Kapérn: Aber bis andere Länder in diesen Größenordnungen nachziehen können wird viel Zeit vergehen. Was tun in der Übergangszeit mit den übrig gebliebenen Atomanlagen?

    Müller: Wir können nur den Weg gehen, den wir bisher leider auch gegangen sind, nämlich die Frage welche Risikoanalyse haben sie für die, welche Nachrüstungsmöglichkeiten gibt es. Wenn wir den Blick mal über die Ländergrenzen schweifen lassen, zum Beispiel neuere Anlagen in Belgien oder auch an Standorten in den USA in Einflugschneisen sind zum Beispiel gegen größere zivile Flugverkehrsmaschinen geschützt. Das heißt es gibt Möglichkeiten. Die sind natürlich enorm teuer - das muss man ehrlich auf den Tisch packen - und sind insofern eine Frage, lohnt sich dieser Schutz. Ich glaube man wird sich dem kaum entziehen können. Aber der Ausbau von Alternativen ist auch in Schleswig-Holstein schneller gegangen.

    Kapérn: In Frankreich und in Tschechien stehen Luftabwehrbatterien neben den Atomkraftwerken?

    Müller: Ja und jeder, mit dem Sie dort seriös sprechen, auch auf Seiten der Bundeswehr, sagt Ihnen, dass dies vollkommener Quatsch ist, weil wer entscheidet in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland, ob zum Beispiel eine Maschine, die in Hamburg gestartet ist und noch eine Runde drehen muss, weil der Luftverkehrsraum über Hamburg schon relativ eng ist, und der dann nah an Stade, ein Atomkraftwerk, oder nah an Brunsbüttel, ein anderes kommt, dass dieses gerade bei einem Flugmanöver ist, oder ob es im Anflug ist auf ein terroristisches Projekt. Und dann schießen sie mal eins ab ohne einen sicheren Hintergrund! Diese Entscheidung in Deutschland zu fällen, da gibt es niemand, der sie tragen wird.

    Kapérn: Klaus Müller war das, der Umweltminister von Schleswig-Holstein. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio