Oliver Thoma: Die Pegel steigen also nicht mehr, aber es gibt noch lange keine Entwarnung in den norddeutschen Hochwassergebieten. Die Menschen dort sind wütend. Sie fragen sich, warum eigentlich aus der Jahrhundertflut von 2002 so wenig gelernt wurde. Aber sie werden sich möglicherweise darauf einstellen müssen, dass das jetzt häufiger passiert. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, sieht jedenfalls beim Hochwasser eine neue Qualität. Schönen guten Morgen, Herr Troge!
Andreas Troge: Guten Morgen, Herr Thoma!
Thoma:! Das hat vor allem mit dem Klimawandel zu tun, aber auch mit den Menschen, die in die Natur eingreifen. Wird jetzt Hochwasser für alle zur Alltagskatastrophe?
Troge: Ich hoffe nicht, dass es zur Alltagskatastrophe wird. Allerdings müssen wir uns darauf einstellen, dass in den nächsten Jahrzehnten häufiger solche Ereignisse eintreten - ich will es ganz simpel machen -, weil auch wegen des Treibhauseffektes mehr Wasser in der Luft ist, das irgendwann den Weg zum Boden findet, und zwar in relativ kurzen Zeiträumen.
Thoma: Das ist das Problem, dass es halt immer öfter stärkere Regenfälle in kurzer Zeit geben kann?
Troge: Ja, es regnet stärker. Es gibt auch gewisse Verschiebungen in unseren Wettergebieten, Stichwort das Tief, das wasserbeladen von Süden über die Alpen zieht, was jetzt häufiger vorkommt. Das führt dazu, dass wir in kurzer Zeit viel Wasser zu verkraften haben, was dann in die Einzugsgebiete der Flüsse kommt und die Flüsse sehr schnell steigen lässt.
Thoma: Das liegt aber auch daran, dass die Flüsse zum Teil ja beeinflusst worden sind, von den Menschen begradigt worden sind.
Troge: Ja natürlich! Wir haben über Jahrhunderte unsere Flüsse als Schifffahrtswege zu einem großen Teil ausgebaut, aber nicht nur das: Wir haben vor allen Dingen sehr nahe an diesen Flüssen gesiedelt, haben dort Vermögen aufgebaut, ein Vermögen, das jetzt zunehmend gefährdet wird, häufiger gefährdet wird, wie wir sehen, übrigens nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch etwa im Einzugsgebiet der Oder. 1997 hatten wir hier 84 Todesfälle beim Hochwasser zu beklagen und etwa drei bis vier Milliarden Euro Schäden.
Thoma: Herr Troge, nun haben wir das vor vier Jahren auch schon gehört. Trotzdem kam es jetzt in Niedersachsen und Schleswig-Holstein noch schlimmer als vor vier Jahren beim Jahrhunderthochwasser. Wurde zu wenig getan oder nicht das Richtige?
Troge: Ich glaube, in Teilen wurde auch das Falsche getan. Wir haben ja an der Oder erlebt, dass dort die ehemaligen Siedlungen an derselben Stelle wieder aufgebaut wurden, wo sie standen, obwohl wir wissen, dass sie dort wochenlang unter Wasser gestanden haben. Auf der anderen Seite ist relativ viel passiert beim Reparieren der Deiche. Wo wir noch in Deutschland – und ich füge hinzu auch im übrigen Europa – nachholen müssen, ist, den Flüssen mehr Raum zu geben, einerseits durch natürliche Überflutungsflächen, aber auch durch technische Bauwerke wie Polder, die kurzfristig Hochwasserspitzen aufnehmen können, so dass das Hochwasser nicht so hoch aufläuft wie unbeeinflusst.
Thoma: Nun ist es ja vor allem die Aufgabe des Umweltbundesamtes, das Bundesumweltministerium wissenschaftlich zu unterstützen und zu beraten. Haben Sie also falsch beraten?
Troge: Wir haben, so hoffe ich, nicht falsch beraten. Das wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Wir haben im Grunde die Maßnahmen vorgeschlagen, die sich auch im Hochwasserschutzgesetz finden, das am 10. Mai letzten Jahres in Kraft trat. Erstens: Überschwemmungsgebiete ausweisen, die von der Erwartung her einmal in 100 Jahren ein Hochwasser zu erwarten haben. In diesen Überschwemmungsgebieten darf nicht mehr neu gebaut werden, und zwar grundsätzlich nicht. Es gibt einige, aber sehr restriktive Ausnahmen.
Der zweite Punkt ist: Wir müssen auch überschwemmungsgefährdete Gebiete ausweisen. Das gebietet die Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung. Das sind solche Gebiete, die überflutet würden, falls der technische Hochwasserschutz, etwa Deiche, versagt. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der dazu führen soll, dass auch das Risikobewusstsein in der Bevölkerung zunimmt, wo wohnt man eigentlich, wo liegen die Gewerbegebiete, wie bedroht sind sie durch Hochwasser?
Thoma: Nun war es ja dieses Mal vor allem das Problem, dass in Sachsen das Wasser nicht irgendwo in Gebiete abgeleitet wurde, so dass die Situation dann in Niedersachsen und in Norddeutschland insgesamt besonders schlimm wurde. Da gibt es jetzt auch Kritik, dass man eben zwischen den Ländern nicht genug zusammengearbeitet hat. War das jetzt das Hauptproblem?
Troge: Ich glaube, das ist nach so kurzer Zeit noch nicht zu sagen. Das Gesetz ist jetzt ein knappes Jahr in Kraft. Sicher ist, dass die Oberlieger und Unterlieger eng zusammenarbeiten müssen. Das fordert übrigens auch ein Vorschlag der Europäischen Union für eine Hochwasserrahmenrichtlinie. Es geht darum, das gesamte Einzugsgebiet zu bewirtschaften. Das fängt bei der Regenwasserversickerung fernab des Flusses an, damit eben nicht allzu viel Wasser in die Flüsse kommt. Und ich glaube, die Länder müssen sich noch sehr zusammenraufen, hier zusammenzuarbeiten, also einen konstruktiven Föderalismus zu zeigen.
Thoma: Kann man das erzwingen, so wie Niedersachsens Ministerpräsident Wulff das hier im Deutschlandfunk auch gestern gefordert hat, zu sagen, wir brauchen einen Staatsvertrag der Länder?
Troge: Das wäre eine Möglichkeit. Wie die Zusammenarbeit organisiert wird, hat der Bund den Ländern zu überlassen. Sie wissen: Der Bund hat hier nur eine Rahmenkompetenz. Er kann also nur einen Rahmen für die Hochwasservorsorge setzen. Wir sind schon in Deutschland darauf angewiesen, dass die Länder sehen, dass sie auch beim Hochwasserschutz Nachbarn sind.
Thoma: Es gibt aber jetzt auch die Forderung, dass man zum Beispiel das, was in der Föderalismusreform vorgesehen ist, nämlich dass die Länder für die Umwelt zuständig sind hauptsächlich, wieder zurücknehmen sollte?
Troge: Na ja, also so generell ist das nicht der Fall. In einzelnen Bereichen haben die Länder so genannte Abweichungsrechte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Länder auf Dauer zu Lasten ihres jeweiligen Unterliegers wirtschaften, weil das natürlich auch ein politisches Klima einer "Beggar-my-neighbor-Policy" schaffen würde. Es würde den Nachbarn schädigen. Ich glaube, das ist für einen Staat, für eine Gemeinschaft auf Dauer ein nicht zuträgliches Verhalten.
Thoma: Bundesumweltminister Gabriel hat auch gefordert, man muss jetzt schnell die Fehler der Vergangenheit rückgängig machen, dort wo es möglich ist, Renaturierung zum Beispiel, dann eben Flächen schaffen, Deiche, Polder bauen. Wie schnell geht das eigentlich?
Troge: Das dauert Jahre, teilweise Jahrzehnte. Die Deiche kann man relativ schnell in einigen Jahren zurückverlegen, aber bis die Flächen wirklich alle nutzbar sind – auch technische Bauwerke kommen ja hinzu -, dauert es einige Zeit. Was wir jetzt machen müssen, ist etwa hier an der Elbe – ich sitze in Dessau -, dass wir den Ausbau der Flüsse sehr stark daraufhin prüfen, ob er überhaupt erforderlich ist, und dass wir den Unterhalt der Flüsse, also beispielsweise Ersatz von Buhnen, genauso auf die Hochwasserneutralität prüfen. Das Amt ist hier sehr stark engagiert und hat gemeinsam auch mit anderen Bundesbehörden eine Art technische Richtlinie für die naturnahe Pflege der Elbe vorgelegt. Also das sind ganz wichtige Punkte. Wir dürfen jetzt bei weiteren Baumaßnahmen, die wir uns vorstellen, nicht die Fehler machen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Das ist, glaube ich, auch das, was Herr Gabriel deutlich angesprochen hat.
Thoma: Andreas Troge, der Präsident des Umweltbundesamtes, war das im Deutschlandfunk-Gespräch. Vielen Dank und einen schönen Tag noch.
Andreas Troge: Guten Morgen, Herr Thoma!
Thoma:! Das hat vor allem mit dem Klimawandel zu tun, aber auch mit den Menschen, die in die Natur eingreifen. Wird jetzt Hochwasser für alle zur Alltagskatastrophe?
Troge: Ich hoffe nicht, dass es zur Alltagskatastrophe wird. Allerdings müssen wir uns darauf einstellen, dass in den nächsten Jahrzehnten häufiger solche Ereignisse eintreten - ich will es ganz simpel machen -, weil auch wegen des Treibhauseffektes mehr Wasser in der Luft ist, das irgendwann den Weg zum Boden findet, und zwar in relativ kurzen Zeiträumen.
Thoma: Das ist das Problem, dass es halt immer öfter stärkere Regenfälle in kurzer Zeit geben kann?
Troge: Ja, es regnet stärker. Es gibt auch gewisse Verschiebungen in unseren Wettergebieten, Stichwort das Tief, das wasserbeladen von Süden über die Alpen zieht, was jetzt häufiger vorkommt. Das führt dazu, dass wir in kurzer Zeit viel Wasser zu verkraften haben, was dann in die Einzugsgebiete der Flüsse kommt und die Flüsse sehr schnell steigen lässt.
Thoma: Das liegt aber auch daran, dass die Flüsse zum Teil ja beeinflusst worden sind, von den Menschen begradigt worden sind.
Troge: Ja natürlich! Wir haben über Jahrhunderte unsere Flüsse als Schifffahrtswege zu einem großen Teil ausgebaut, aber nicht nur das: Wir haben vor allen Dingen sehr nahe an diesen Flüssen gesiedelt, haben dort Vermögen aufgebaut, ein Vermögen, das jetzt zunehmend gefährdet wird, häufiger gefährdet wird, wie wir sehen, übrigens nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch etwa im Einzugsgebiet der Oder. 1997 hatten wir hier 84 Todesfälle beim Hochwasser zu beklagen und etwa drei bis vier Milliarden Euro Schäden.
Thoma: Herr Troge, nun haben wir das vor vier Jahren auch schon gehört. Trotzdem kam es jetzt in Niedersachsen und Schleswig-Holstein noch schlimmer als vor vier Jahren beim Jahrhunderthochwasser. Wurde zu wenig getan oder nicht das Richtige?
Troge: Ich glaube, in Teilen wurde auch das Falsche getan. Wir haben ja an der Oder erlebt, dass dort die ehemaligen Siedlungen an derselben Stelle wieder aufgebaut wurden, wo sie standen, obwohl wir wissen, dass sie dort wochenlang unter Wasser gestanden haben. Auf der anderen Seite ist relativ viel passiert beim Reparieren der Deiche. Wo wir noch in Deutschland – und ich füge hinzu auch im übrigen Europa – nachholen müssen, ist, den Flüssen mehr Raum zu geben, einerseits durch natürliche Überflutungsflächen, aber auch durch technische Bauwerke wie Polder, die kurzfristig Hochwasserspitzen aufnehmen können, so dass das Hochwasser nicht so hoch aufläuft wie unbeeinflusst.
Thoma: Nun ist es ja vor allem die Aufgabe des Umweltbundesamtes, das Bundesumweltministerium wissenschaftlich zu unterstützen und zu beraten. Haben Sie also falsch beraten?
Troge: Wir haben, so hoffe ich, nicht falsch beraten. Das wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Wir haben im Grunde die Maßnahmen vorgeschlagen, die sich auch im Hochwasserschutzgesetz finden, das am 10. Mai letzten Jahres in Kraft trat. Erstens: Überschwemmungsgebiete ausweisen, die von der Erwartung her einmal in 100 Jahren ein Hochwasser zu erwarten haben. In diesen Überschwemmungsgebieten darf nicht mehr neu gebaut werden, und zwar grundsätzlich nicht. Es gibt einige, aber sehr restriktive Ausnahmen.
Der zweite Punkt ist: Wir müssen auch überschwemmungsgefährdete Gebiete ausweisen. Das gebietet die Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung. Das sind solche Gebiete, die überflutet würden, falls der technische Hochwasserschutz, etwa Deiche, versagt. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der dazu führen soll, dass auch das Risikobewusstsein in der Bevölkerung zunimmt, wo wohnt man eigentlich, wo liegen die Gewerbegebiete, wie bedroht sind sie durch Hochwasser?
Thoma: Nun war es ja dieses Mal vor allem das Problem, dass in Sachsen das Wasser nicht irgendwo in Gebiete abgeleitet wurde, so dass die Situation dann in Niedersachsen und in Norddeutschland insgesamt besonders schlimm wurde. Da gibt es jetzt auch Kritik, dass man eben zwischen den Ländern nicht genug zusammengearbeitet hat. War das jetzt das Hauptproblem?
Troge: Ich glaube, das ist nach so kurzer Zeit noch nicht zu sagen. Das Gesetz ist jetzt ein knappes Jahr in Kraft. Sicher ist, dass die Oberlieger und Unterlieger eng zusammenarbeiten müssen. Das fordert übrigens auch ein Vorschlag der Europäischen Union für eine Hochwasserrahmenrichtlinie. Es geht darum, das gesamte Einzugsgebiet zu bewirtschaften. Das fängt bei der Regenwasserversickerung fernab des Flusses an, damit eben nicht allzu viel Wasser in die Flüsse kommt. Und ich glaube, die Länder müssen sich noch sehr zusammenraufen, hier zusammenzuarbeiten, also einen konstruktiven Föderalismus zu zeigen.
Thoma: Kann man das erzwingen, so wie Niedersachsens Ministerpräsident Wulff das hier im Deutschlandfunk auch gestern gefordert hat, zu sagen, wir brauchen einen Staatsvertrag der Länder?
Troge: Das wäre eine Möglichkeit. Wie die Zusammenarbeit organisiert wird, hat der Bund den Ländern zu überlassen. Sie wissen: Der Bund hat hier nur eine Rahmenkompetenz. Er kann also nur einen Rahmen für die Hochwasservorsorge setzen. Wir sind schon in Deutschland darauf angewiesen, dass die Länder sehen, dass sie auch beim Hochwasserschutz Nachbarn sind.
Thoma: Es gibt aber jetzt auch die Forderung, dass man zum Beispiel das, was in der Föderalismusreform vorgesehen ist, nämlich dass die Länder für die Umwelt zuständig sind hauptsächlich, wieder zurücknehmen sollte?
Troge: Na ja, also so generell ist das nicht der Fall. In einzelnen Bereichen haben die Länder so genannte Abweichungsrechte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Länder auf Dauer zu Lasten ihres jeweiligen Unterliegers wirtschaften, weil das natürlich auch ein politisches Klima einer "Beggar-my-neighbor-Policy" schaffen würde. Es würde den Nachbarn schädigen. Ich glaube, das ist für einen Staat, für eine Gemeinschaft auf Dauer ein nicht zuträgliches Verhalten.
Thoma: Bundesumweltminister Gabriel hat auch gefordert, man muss jetzt schnell die Fehler der Vergangenheit rückgängig machen, dort wo es möglich ist, Renaturierung zum Beispiel, dann eben Flächen schaffen, Deiche, Polder bauen. Wie schnell geht das eigentlich?
Troge: Das dauert Jahre, teilweise Jahrzehnte. Die Deiche kann man relativ schnell in einigen Jahren zurückverlegen, aber bis die Flächen wirklich alle nutzbar sind – auch technische Bauwerke kommen ja hinzu -, dauert es einige Zeit. Was wir jetzt machen müssen, ist etwa hier an der Elbe – ich sitze in Dessau -, dass wir den Ausbau der Flüsse sehr stark daraufhin prüfen, ob er überhaupt erforderlich ist, und dass wir den Unterhalt der Flüsse, also beispielsweise Ersatz von Buhnen, genauso auf die Hochwasserneutralität prüfen. Das Amt ist hier sehr stark engagiert und hat gemeinsam auch mit anderen Bundesbehörden eine Art technische Richtlinie für die naturnahe Pflege der Elbe vorgelegt. Also das sind ganz wichtige Punkte. Wir dürfen jetzt bei weiteren Baumaßnahmen, die wir uns vorstellen, nicht die Fehler machen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Das ist, glaube ich, auch das, was Herr Gabriel deutlich angesprochen hat.
Thoma: Andreas Troge, der Präsident des Umweltbundesamtes, war das im Deutschlandfunk-Gespräch. Vielen Dank und einen schönen Tag noch.