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Umweltkatastrophe in Brasilien
Der Rio Doce ist verseucht

Nach dem Dammbruch in einer Eisenerzmine ist hochgiftiger Schlamm in den Rio Doce gelaufen. Jetzt ist das Wasser unter anderem mit Arsen, Blei und Quecksilber belastet. Eine ökologische und menschliche Katastrophe - denn viele Anwohner des Flusses haben kein Trinkwasser mehr.

Von Anne Herrberg | 27.11.2015
    Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben.
    Eine giftige Schlammlawine hat Teile des brasilianischen Dorfes Paracatu de Baixo im Bundesstaat Minas Gerais begraben. (AFP / Douglas Magno)
    Aus der Luft wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar, hier an der Küste von Espirito Santo, rund 500 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro. Das Flussbecken des Rio Doce (Süßer Fluss) hat sich in einen gigantischen schlammbraunen Lindwurm verwandelt, das einst kristallblaue Wasser in eine zähe Schlacke, die sich an der Mündung über Sandbänke, Dünen und Strände in den Atlantik schiebt – ein rotbrauner Schlammteppich, der das reichhaltige Ökosystem bedroht. Auch die Schildkröten vom berühmten Zuchtprojekt Tamar, die Biologin Cecilia Batistotti gräbt Eier und Jungtiere aus dem Sand nahe des Küstenortes Regencia:

    "Wir bringen die Nester mit den Schildkröten-Babies weiter nach Süden. Aus Vorsicht heraus, damit sie vor dem Schlamm sicher sind. "
    Arsen und Blei im Wasser
    Es ist vielleicht Brasiliens schlimmste Umweltkatastrophe. Auslöser war der Bruch des Rückhaltebeckens einer Eisenerzmine vor drei Wochen im Bundestaat Minas Gerais. Darin: Rund 60 Millionen Kubikmeter Klärschlamm, die sich ins Tal ergossen. Sie haben ein Bergdorf unter sich begraben, mindestens 13 Menschen sind ums Leben gekommen, Anwohner sprechen sogar von 40.

    Dann hat sich die Lawine in den Rio Doce geschoben, der den Schlick über 650 Kilometer mitgeschwemmt hat. Tausende Fische sind gestorben, Landschaften wurden zerstört, Ortschaften blieben ohne Zugang zu frischem Trinkwasser. Sie müssen mit Tanklastern versorgt werden, wie hier in Linhares:
    "Dieses Wasser sei gesegnet, denn das Wasser vom Fluss können wir nicht trinken, das ist alles verschmutzt."
    Ein Labortest des Wassers vom Umweltamt Linhares gab besorgniserregende Ergebnisse - Luciano Cabral:
    "Was uns aufgefallen ist sind die hohen Werte von Arsen und Blei. Aber ob diese Schwermetalle aus dem Klärschlamm stammen oder ob sie sonstwo später in den Fluss eingeleitet wurden, können wir nicht sagen."
    Giftiger Klärschlamm? Der Betreiber der Mine – die Firma Samarco – stellt sich vehement gegen den Vorwurf, der nun auch von den Vereinten Nationen erhoben wurde. Rückendeckung bekommt Samarco von Laboruntersuchungen der Regierungsbehörde Serviço Geológico do Brasil, die zwar das Fehlen von Sauerstoff im Wasser feststellte aber keine erhöhte Schwermetallbelastung.

    Das Problem dabei: Es gibt rund ein Dutzend sich gegenseitig widersprechender Messergebnisse– in einer Stadt wird positiv auf Blei, Quecksilber und Arsen getestet, in anderen das Wasser schon wieder zum Trinken freigegeben. Was fehlt, ist eine umfassende, und unabhängige Untersuchung – das führt zu großer Verunsicherung bei den Anwohnern. Und durch die sozialen Netzwerke zieht sich eine Welle der Empörung
    Sebastião Salgado kämpft für die Rettung des Flusses
    Proteste vor der Firmenzentrale von des Bergbaukonzern Vale in Rio de Janeiro – gemeinsam mit dem australischen Unternehmen BIH Billiton ist Vale Besitzer des Minenbetreibers Samarco. Und, Vale gehört zur Hälft dem brasilianischen Staat und ist außerdem traditionell wichtiger Finanzier von Wahlkampagnen. Viele Brasilianer glauben deswegen, hier werde ein Skandal vertuscht. Zumal Samarco schon einmal wegen Sicherheitsmängel gerügt wurde. Investitionen in Sicherheit und Umweltschutz gibt es im brasilianischen Bergbausektor kaum.

    Zu ersten Entschädigungszahlungen ist Samarco zumindest verpflichtet worden: Umgerechnet 250 Millionen Euro. Umweltaktivisten und dem Bundestaat Minas Gerais ist das nicht genug – sie fordern einen unabhängigen Fond zur Rettung des Flusses und zählen auf die Unterstützung eines der berühmtesten Söhne der Region – Fotograf Sebastião Salgado:
    "Was hier passiert ist ein großes Drama, aber wir können den Fluss retten, es wird viele Jahre dauern. Wir fordern einen unabhängigen Fond, der regional verwaltet wird, damit das Geld nicht in den privaten Taschen von Politikern verschwindet ."

    Neben Wirtschaftskrise, dem Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras ist die Schlamm-Katastrophe zu einer weiteren Metapher dafür geworden, dass in Brasilien derzeit einiges im Argen liegt.