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Umweltpolitik
Finnland steht vor "Klimawahlen"

Waldwachstum, Flugsteuer, fleischfreie Tage: In Finnland kursieren derzeit viele Ideen zum Klimaschutz. Er ist das bestimmende Thema der Parlamentswahl im April - und soll auch in Europa ganz oben auf die Agenda, wenn Finnland die Ratspräsidentschaft übernimmt. Ein Mittel zum Zweck: die Atomkraft.

Von Jenni Roth | 19.02.2019
    Blick auf das Atomkraftwerk Olkiluoto auf der Insel Eurajoki im Westen von Finnland
    Finnland verfolgt ehrgeizige Klimaziele und will deshalb an der Atomkraft als Übergangstechnologie festhalten (AFP/ Sam Kingsley)
    Vor dem Parlament stehen die Klima-Demonstranten, drinnen sitzt Umweltminister Kimmo Tiilikainen in seinem Büro. In der Hand hält er ein zweiseitiges Strategiepapier zur Klimapolitik. Und erklärt, warum die Klimapolitik nicht nur für sein Ressort zum Thema Nummer Eins geworden ist:

    "Unsere Verantwortung ist es, klarzumachen, wie ernst die Lage ist. Dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen müssen. Wir wollen klimadiplomatisch vorbildlich sein. Das Gute ist: Wir Finnen gelten als glaubwürdig, man vertraut uns. Wir können in Europa als treibende Kraft etwas ausrichten."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Wenn sich das Klima ändert - Finnland kommt ins Schwitzen" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Tiilikainen setzt auf das zweite Halbjahr 2019: Dann haben die Finnen die EU-Ratspräsidentschaft inne und wollen das Klima ganz oben auf die Agenda setzen: Bis 2050 soll die EU klimaneutral sein, und bis 2030 soll sie die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent reduzieren.
    Auch bei den nationalen Zielen sind sich alle – abgesehen von den Rechtspopulisten - einig über das 1,5-Grad-Ziel. Allerdings nicht darüber, wie man es erreicht und wie schnell:
    "Es gibt da jetzt so eine Auktionsmentalität, nach dem Motto "Wer bietet mehr?". Unsere Partei will die Klimaneutralität bis 2045. Das ist auch schon ehrgeizig im europäischen Vergleich. Wir wollen weg von der Steinkohle, überhaupt weg von fossilen Brennstoffen. Stattdessen brauchen wir bessere Kohlenstoffspeicher. Unsere Wälder müssen langfristig stärker wachsen und alt genug werden, damit sie möglichst viel CO2 binden."
    Der finnische Umweltminister Kimmo Tiilikainen auf einer Pressekonferenz in Paris
    "Unsere Partei will die Klimaneutralität bis 2045", sagt der finnische Umweltminister Kimmo Tiilikainen (Imago/ Julien Mattia)
    "Wälder sind in Finnland sehr politisch"
    Antti Majava hat sich seine Schneeschuhe angeschnallt und stapft durch den verschneiten Wald von Hyrynsalmi, im Nordosten von Finnland. Der 41-Jährige hat hier vor zehn Jahren eine alte Schule gekauft und sie zu einer Künstlerresidenz ausgebaut.
    "Hier, die hohen Tannen, das ist noch Naturwald. Ich würde sagen, die hier ist 150 Jahre alt. Das gibt es nur noch selten in Finnland. Im Durchschnitt sind die Bäume nur noch 40, 50 Jahre alt. So wie die kleineren Bäume da drüben, das ist alles bewirtschafteter Forst."
    Anttis Haus ist gleichzeitig auch ein ökologisches Projekt. Zurzeit beschäftigt sich der Künstler auch mehr mit Klimapolitik als mit Kunst. Und findet, dass die Politik längst nicht genug tut:
    "Gerade Wälder sind in Finnland sehr politisch. Vor allem für Parteien wie die Zentrumspartei ist der Wald wichtig – sie sind traditionell die Landpartei. Da sind die Jobs der Wählerschaft oft wichtiger als Biodiversität und Klima."
    Die Parlamentswahlen heißen nur noch "Klimawahlen"
    Immerhin: Die Politik will jetzt die Bewaldung nicht genutzter landwirtschaftlicher Flächen fördern. Überhaupt ist die Natur das Thema auch bei den Parlamentswahlen im April, die die Finnen nur noch "Klimawahlen" nennen.
    Sanna Marin, die 33-jährige Vizechefin der Sozialdemokraten sagt: Menschenrechte und Umwelt – das sind die großen Fragen unserer Zeit.
    "Egal was wir machen, es muss sozialverträglich sein. Aber mit höheren Mehrwertsteuern könnte man nachhaltigen Konsum fördern. Umweltfreundliche Produkte würden dann nicht so hoch besteuert."
    Mit einer Flugsteuer tun sich die Parteien aber noch schwer – bis auf die Grünen, sagt ihr Parteivorsitzender Pekka Haavisto: "Wir wollen eine Flugsteuer. Und schnellere Zugverbindungen."
    Der Parteivorsitzende der finnischen Grünen und Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2018, Pekka Haavisto, bei einem Gespräch mit Medienvertretern in Helsinki
    Der Parteivorsitzende der finnischen Grünen, Pekka Haavisto, befürwortet eine Flugsteuer (AFP/ Vesa Moilanen Lehtikuva)
    Tankstelle bei Ikea: Biogas aus Bulettenresten
    Dafür sieht seine Partei mehr Geld für den Schienenverkehr vor und für die Förderung von Gas- und Stromautos. Haavisto selbst tankt sein Gasauto am liebsten bei Ikea, wo das Biogas aus Bulettenresten gewonnen wird.
    Sonst ist man sich in Sachen Fleisch allerdings nicht einig, obwohl selbst die Armee schon über einen fleischfreien Tag in der Woche diskutierte:
    "Der Verteidigungsminister war entsetzt: Das gehe doch nicht, Soldaten ohne Fleisch. Aber dann schalteten sich die Veteranen ein und meinten, im Krieg war Fleisch ein Luxusprodukt!"
    Aber der Umweltminister will niemandem vorschreiben, wie viel Fleisch er essen soll: "Wir leben in einer Demokratie. Und wir können nichts durchdrücken, wofür es keine Bereitschaft gibt. Man sieht das ja bei den Gelbwesten in Frankreich: Wenn kein Verständnis da ist, kehrt sich das gegen die Politik."
    Deutscher Atomausstieg gilt als nicht nachahmenswert
    Andererseits: Beim Essen, in der Familie, unter Freunden – viele sprechen ganz selbstverständlich über Emissionshandel, Kohlenstoffspeicher, oder Kreislaufwirtschaft, also Systeme, in denen man versucht, Ressourcen zu schonen, indem man Energie- und Materialkreisläufe verlangsamt und reduziert.
    Und in solchen Systemen sieht das Ingenieursland Finnland auch eine wirtschaftliche Chance. Dabei richtet sich der Blick auch nach Deutschland, wenn es um die Energiewende geht. Wobei der Atomausstieg als nicht nachahmenswert gilt. Selbst die Grünen glauben, dass es ohne Atomkraft als Überbrückung nicht geht:
    "Neue Atomkraftwerke sind ein Problem. Aber die AKWs, die schon laufen, sollten in Betrieb bleiben, wenn wir bis 2040 klimaneutral werden wollen."