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Umweltschutz
Taiwan sagt Plastikmüll den Kampf an

Taiwan will Vorreiter sein in Sachen Umweltschutz in Asien. Seit 2002 verlangen die meisten Geschäfte Geld für Platiktüten. Bis 2030 soll jetzt Schluss sein mit Einwegplastik in der kleinen Inselrepublik. Einigen Umweltschützern geht das aber noch nicht weit genug.

Von Jürgen Hanefeld | 26.05.2018
    Aus vier Millionen recycelten Plastikflaschen haben Künstler für das Projekt "Das Sternenparadies" das Gemälde "Sternennacht" von Vincent van Gogh als Mosaik in der taiwanesischen Hafenstadt Keelung gelegt.
    Künstlerischer Protest gegen Plastikmüll: Aus vier Millionen recycelten Plastikflaschen haben Künstler ein Gemälde von Van Gogh nachgebaut. (imago stock&people)
    "Ich weiß doch, was richtig ist", sagt die junge Frau in einer schicken Ecke Taipehs. Ertappt mit einem Pappbecher, in dem ein Plastikstrohhalm steckt, ist sie peinlich berührt.
    "Ich weiß auch, wie schädlich diese Plastiksachen für die Umwelt sind und vor allem für das Meer. Ich finde auch gut, was die Regierung macht, nur ist es manchmal schwer, das sofort umzusetzen. Man muss sich umgewöhnen. Ich habe sogar schon so einen auswaschbaren Strohhalm gekauft, nur heute nicht dabei. Glauben Sie mir, ich arbeite an mir!"
    Ein brummeliger Mann auf einer Parkbank, auch er schlürft etwas aus einem Wegwerfbecher, sagt schuldbewusst: "Ja, ich finde das richtig, was die Regierung tut. Ich hab auch meinen eigenen Becher, nur eben heute nicht dabei."
    Und zwei Hausfrauen protestieren: "Gucken Sie mal in meine Tasche: Wir haben Stoffbeutel dabei, gebrauchte Plastiktüten, eine Wasserflasche aus Stahlblech, nur den Metallstrohhalm hab' ich zuhause vergessen. Ich wusste doch nicht, dass ich meine Freundin hier treffen würde und wir zusammen einen Eistee trinken würden! Geben Sie uns doch bitte noch ein bisschen Zeit, wir müssen uns doch umgewöhnen können!"
    Immerhin ist die Kampagne der Regierung gegen Plastikmüll in den meisten der 23 Millionen Köpfe der Taiwaner angekommen, sagt die zuständige Abteilungsleiterin im Umweltministerium, Ying Ying Lai:

    "Wir haben schon 2002 damit begonnen, die großen Supermärkte und Kaufhäuser aufzufordern, für Plastiktüten Geld zu verlangen. Das hat die Gesamtmenge schon mal um Hälfte reduziert. Dann wechselte die Regierung und es geschah erst mal nichts mehr. Nun sind wir wieder dran und haben weitere sieben Branchen dazu genommen: Bäckereien zum Beispiel, Wäschereien und Buchläden. Rund 80.000 Geschäfte verlangen jetzt Geld für Plastiktüten, wir erwarten nochmal einen Rückgang um 50 Prozent."
    Umweltschützern reicht das alles nicht
    Klingt gut, reicht aber nicht, sagt Oliver Chen von Big Blue, einem Zusammenschluss von Ökogruppen, und umreißt das Problem:
    "Pro Jahr verbraucht Taiwan 18 Milliarden Plastiktüten, pro Einwohner mehr als 700. Dazu kommen 4,6 Milliarden PET-Flaschen, 3,1 Milliarden Strohhalme und 1,5 Milliarden Plastikbecher. Nur zehn Prozent davon werden recycelt."
    Der Rest wird verschifft, verbuddelt oder landet im Meer. Große Müllsammelaktionen an den Stränden der Inselrepublik haben das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft, vor allem seit im Jahr 2015 der Kadaver eines Pottwals in Taiwan angetrieben wurde. Das gewaltige Tier war an Plastik erstickt. Das Gefährlichste, sagt Oliver Chen, sei sogenanntes Nanoplastik, das sind winzige Plastikteile von weniger als 0,05 Millimetern.
    "Allmählich wächst das Bewusstsein dafür, dass Nanoplastik nicht nur für Meerestiere tödlich sein kann, sondern auch Menschen schädigt. In Kalifornien hat man Mineralwasser in PET-Flaschen untersucht und festgestellt, dass 93 Prozent davon mit Nanopartikeln verseucht sind. Die Leute trinken das mit, ohne zu wissen, ob der Körper das ausspült oder anreichert."
    An die Vernunft der Verbraucher appellieren
    Produkte mit sogenannten Nanopartikeln, Fleece-Jacken und Kosmetika, Seifen und Zahnpasta, in denen solche Mikroplastikteile enthalten sind und die später im Meer landen, dürfen in Taiwan seit Jahresbeginn nicht mehr verkauft werden. Ansonsten setzt die Kampagne nicht auf Verbote, sondern auf die Vernunft, sagt Ying Ying Lai.
    "Wir wollen die Eigeninitiative fördern. Die Verbraucher wollen ja nicht die Umwelt verschmutzen, sie sind sich der Problematik durchaus bewusst. Wir hoffen deshalb, dass die Läden, Restaurants und auch die Hersteller freiwillig auf diese Artikel verzichten."
    Wenn nicht, gilt der Stufenplan: Ab 2020 gibt kein Restaurant mehr Plastik-Strohhalme aus, ab 2025 gibt es überhaupt keine Wegwerfartikel mehr umsonst, ab 2030 kann man sie auch nirgendwo mehr kaufen. Ein Problem sind allerdings die sogenannten Kombinis, Minimärkte, die gerade bei Singles beliebt sind. Was immer sie anbieten, ist komplett in Plastik verpackt. Muss das sein? Gibt es Alternativen? Bei Strohhalmen ist es ganz einfach:
    "Man braucht doch gar keine Strohhalme, um seinen Bubble-Tee zu trinken! Wer unbedingt aus Halmen trinken will, für den gibt es ja schon jetzt ein ganzes Sortiment an Alternativen aus Glas, Bambus oder Metall."
    Erst wenn jemand gar keine Einsicht zeigt, werden Bußen fällig, irgendwas zwischen umgerechnet 50 und 170 Euro. Aber eigentlich soll es so weit gar nicht kommen, meint Oliver Chen. Er hält den Stufenplan der Regierung, an dem die Umweltorganisationen mitgearbeitet haben, für ambitioniert, aber durchaus machbar:

    "Man kann uns vorwerfen, dass wir uns haben über den Tisch ziehen lassen. Aber wir sehen das so: Wir haben von Anfang an mitgemacht, weil wir denken, man kann das Konzept dem Verbraucher besser verkaufen, wenn Regierung, Wirtschaft und Umweltverbände an einem Strick ziehen. Vielleicht ein Vorbild auch für andere Länder!"