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Umzug der EU-Arzneimittel-Agentur
Sorge vor "Londoner Zuständen" in Amsterdam

Zuerst hat man sich gefreut, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur von London nach Amsterdam ziehen soll. Doch nun wachsen dort die Bedenken, was das für Mieten, Nahverkehr und Schulplätze bedeutet. Wo schon jetzt viele junge Familien die Innenstadt verlassen müssen.

Von Kerstin Schweighöfer | 13.04.2018
    Das Logo der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA am Sitz in London
    Die europäische Arzneimittel-Agentur EMA soll von London nach Amsterdam ziehen (AFP/ Daniel LEAL-OLIVAS)
    "Wir Niederländer heißen die europäische Arzneimittelagentur EMA in Amsterdam herzlich willkommen! Soviel anders als die Briten sind wir nun auch wieder nicht: Auch wir haben eine Königin. Auch bei uns gibt es 'Fish & Chips'."
    Ein Werbefilm der niederländischen Regierung preist die Gastfreundschaft, die Fremdsprachenkenntnisse der Niederländer und ihre Toleranz; die angeblich vielen und - anders als in London - noch erschwinglichen Wohnungen; die kurzen Abstände und die guten Verkehrsanbindungen: Nur zehn Minuten braucht der Zug vom nationalen Flughafen Schiphol zum geplanten neuen Hauptquartier der europäischen Arzneimittelagentur im Süden von Amsterdam.
    Stadt hofft auf mehr Einnahmen
    Mit dem Bau soll im Sommer begonnen werden. 255 Millionen Euro will die Regierung dafür ausgeben. Und nochmal 2,5 Millionen, um den 900 EMA-Mitarbeitern und ihren rund 500 Familienmitgliedern den Sprung auf die andere Seite der Nordseeküste zu erleichtern. Der Amsterdamer Wirtschaftsdezernent Udo Kock freut sich schon auf sie:
    "Weil sie alle bei uns ihr Geld ausgeben werden", so Udo Kock. Weil sich in ihrem Gefolge bis zu 2.000 kleinere Unternehmen in der Umgebung von der Agentur niederlassen werden. Und weil Amsterdam jedes Jahr mit bis zu 30.000 extra Besuchern wie etwa Kongressteilnehmern rechnen darf.
    "Die Brexitbeute ist gesichert!" jubelten die niederländischen Tagesthemen.
    Die Qualitätszeitung NRC Handelsblad ist da kritischer: 900 Mitarbeiter, 500 Familienmitglieder, 30.000 extra Besucher - "verkraften wir das überhaupt?"
    Denn in den Niederlanden leben bereits schätzungsweise 57.000 Expatriates, kurz Expats genannt, die meisten im Ballungszentrum zwischen Amsterdam und Den Haag. Ganz zu schweigen von den gut 17 Millionen Touristen, von denen Amsterdam jedes Jahr regelrecht heimgesucht wird.
    Nahverkehr und Wohnungsmarkt schon jetzt am Limit
    Auf den Autobahnen kommt es schon jetzt zu Staus, der Flughafen Schiphol ist überbelastet, Hotels sind ausgebucht und die Züge proppenvoll.
    Die 22 internationalen Schulen rund um Amsterdam haben keine Plätze mehr frei für neue Expat-Kinder. Und alteingesessene Amsterdamer tun sich immer schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden, warnt Gemeinderat Erik Flintgen von der sozialistischen Partei SP:
    "Die 900 EMA-Mitarbeiter brauchen alle ein Dach über dem Kopf - das darf nicht auf Kosten der Amsterdamer gehen! Und Immobilienpreise und Mieten dürfen keinesfalls weiter steigen!"
    Für die gutverdienenden Expats sind Mieten von 2.000 Euro und mehr kein Problem; der niederländische Fiskus behandelt sie auch noch priviligiert: 30 % ihres Gehalts erhalten sie steuerfrei.
    Zudem werden viele bezahlbare Wohnungen als Bed & Breakfast-Adressen für Touristen zweckentfremdet.
    Experten warnen vor Londoner Zuständen: So wie an der Themse könnte auch an der Amstel eine Gesellschaft von Singles und kinderlosen Doppelverdienern zwischen 20 und 40 entstehen.
    Dem niederländischen Statistikamt CBS zufolge haben 40 Prozent der jungen Amsterdamer Familien, die 2012 ihr erstes Kind bekommen haben, die Stadt innerhalb von vier Jahren verlassen, weil sie keine größere Wohnung fanden. Das CBS vergleicht sie mit den Kanarienvögeln der Bergleute, die vor Unheil warnen: Wenn junge Familien die Stadt verlassen, so das CBS, dann stimmt etwas nicht.