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UN-Bericht zu Fluchtmotiven
Arbeiten und Geld nach Hause schicken

Das Klischeebild des armen, ungebildeten Migranten, der sich auf die Flucht macht, trifft laut einem UN-Bericht auf viele nicht zu. Zu den Motiven zählten Arbeiten, Geld nach Hause schicken und der Wunsch nach Bildung. Die Studienautoren fordern zu einem Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit auf.

Von Antje Passenheim | 25.10.2019
Ein mit Menschen überfülltes Schlauchboot treibt auf dem Mittelmeer.
Knapp 2.000 Migranten aus 39 afrikanischen Ländern wurden für die UN-Studie befragt: Demnach sind es eben nicht die Ärmsten mit der wenigsten Bildung, die fliehen (imago images / JOKER / Alexander Stein)
Mahamadou hat seine Heimat Gambia im Dezember 2013 verlassen. Im Januar darauf erreichte er Italien auf dem Seeweg. Seine erste Frage bei der Einreise:
"Bitte helft mir, eine Schule zu finden. Wenn ich gut italienisch kann, möchte ich für Flüchtlinge in Europa übersetzen. Damit wir ihnen helfen können."
Knapp 80 Prozent schicken Geld nach Hause
Arbeiten und Geld nach Hause schicken. Das ist das häufigste Motiv für die Menschen auf den Weg in den Norden. Doch für die wenigsten war die wirtschaftliche Perspektive der einzige Beweggrund für ihre großteils gefährliche Reise. Gut die Hälfte ist dafür von Verwandten und Freunden unterstützt worden. Knapp 80 Prozent schickten nun Geld zurück. Viele der Befragten gaben aber an, dass sie ein Gefühl des Versagens haben – weil sie nicht ausreichend Geld in ihre Heimat schicken. Auch der Wunsch nach Bildung zieht viele Migranten nach Europa, weiß der Autor der Studie, Mohamed Yahya:
"Für viele junge Menschen ist ihr Zuhause ein Ort, an dem viele Zäune hochgezogen werden. Ein kultureller Zaun, der sie nicht jung sein lässt, ein politischer Zaun, der ihnen das Licht am Ende des Tunnels verdunkelt und ein wirtschaftlicher Zaun, der sie sehen lässt, dass sie ihre Ziele nicht erreichen können."
"Das Klischeebild trifft auf viele Menschen nicht zu"
Für die Studie hat das UN-Entwicklungsprogramm knapp 2.000 Migranten aus 39 afrikanischen Ländern befragt. Menschen, die heute in Europa leben. Noch etwas macht die Auswertung deutlich, betont UNDP-Chef Achim Steiner:
"Das Klischeebild, das wir von Migranten haben, trifft auf viele Menschen nicht zu, die verzweifelt auf die Reise gehen."
Eine Mutter in Conakry (Guineia) hält in ihren Händen das Foto ihres Sohnes, der die Reise nach Europa aus unbekannten Gründen nicht überlebte.
Migration /  Leben mit dem Tod
Seit 2015 sind tausende Menschen im Mittelmeer ertrunken. In der Öffentlichkeit bleiben die meisten Toten namenlos. Die Familien in der Heimat müssen dagegen nicht nur die Trauer bewältigen.
Das seien nicht die Ärmsten mit der wenigsten Bildung.
"Oft sind es gerade diejenigen, die Bildung haben und einen anderen Horizont. Die Ersparnisse haben sowie die Energie und den Mut, die Reise anzutreten", so Steiner.
Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit
Viele der befragten Migranten hatten in ihrer Heimat einen Job. Eine Perspektive, um davon eine Familie ernähren zu können, gab er ihnen aber nicht. Steiner betonte:
"In diesem Bericht geht es nicht darum, Migration als Problem darzustellen. Es geht darum Entwicklungen aufzuzeigen, damit wir erkennen, was zu tun ist."
"93 Prozent sprachen von großer Gefahr"
Diese Erkenntnisse müssten zu einem Umdenken führen. Migrationsursachen seien vielseitig und könnten nicht auf ein einziges Problem wie Krieg oder Armut reduziert werden. Darauf muss sich die Entwicklungszusammenarbeit einstellen, fordert die UN-Behörde. Denn deutlich ist auch ein weiteres Ergebnis der Studie, sagt Autor Yahya:
"Viele haben mit ihrer Reise ein großes Risiko auf sich genommen. 93 Prozent der befragten Migranten sprachen von großer Gefahr. Aber lediglich zwei Prozent haben gesagt, dass sie diese Gefahr nicht noch einmal auf sich nehmen würden."