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UN-Bevölkerungsfonds
Noch ein weiter Weg für die Selbstbestimmung von Frauen

Seit einem halben Jahrhundert arbeitet der UN-Bevölkerungsfonds daran, dass Frauen über ihre Sexualität und Familienplanung selbst entscheiden können. Die Geburtenrate ist seitdem zwar gesunken, aber Millionen Menschen haben weiter keinen Zugang zu Pille oder Kondomen. Kritik gibt es auch an den Kirchen.

Von Christine Habermalz | 10.04.2019
Frauen und Kinder stehen mit Eimern an mehreren Wasserhähnen im Flüchtlingslager.
1969 hatte nur jede fünfte Frau weltweit Zugang zu Verhütungsmitteln, heute sind es 58 Prozent (Björn Blaschke)
Als Dahab Elsayed, heute 60 Jahre alt, jung war, gab es für sie keine andere Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten, als zu heiraten. Sie ist in einem ägyptischen Dorf aufgewachsen. Mit 15 wurde sie beschnitten, in ihrer Erinnerung war da nur sehr viel Schmerz und Blut. Wenig später heiratete sie und bekam kurz hintereinander vier Kinder. Auch ihre eigenen Töchter ließ sie beschneiden. Sie hatte keine Wahl, sagt sie, sonst hätten sich keine Ehemänner für sie gefunden. Heute weiß Dahab, dass das falsch war, und ihren Enkeltöchtern blieb die mörderische Tortur erspart.
Dahab ist eine von sechs Frauen, deren Lebensgeschichte im aktuellen UN-Bevölkerungsbericht erzählt wird. Alle sechs waren zehn Jahre alt, als der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen UNFPA vor 50 Jahren gegründet wurde – mit dem Ziel, Frauen weltweit den Zugang zu Familienplanung und sexueller Selbstbestimmung zu ebnen. Für Natalia Kanem, Exekutivdirektorin des UNFPA bedeutet das, dass eine Frau jederzeit die Entscheidungshoheit über ihren eigenen Körper und dessen Fruchtbarkeit haben soll.
"Sie muss selber bestimmen dürfen, ob, mit wem, wann und wie oft sie Kinder haben möchte. Sexuelle reproduktive Gesundheit ist Teil der Intimität von menschlichen Beziehungen über den ganzen Lebenszyklus hinweg. Und Frauen und Mädchen müssen diejenigen sein, die darüber entscheiden."
Keine ungewollten Schwangerschaften mehr bis 2030
Natalia Kanem hat ihren Job an der Spitze des UN-Bevölkerungsfonds vor zwei Jahren angetreten: Da hatte die promovierte Ärztin bereits fast drei Jahrzehnte Erfahrung im Bereich der sozialen und öffentlichen Gesundheitsfürsorge hinter sich, davon viele Jahre in Westafrika und Tansania. Die 64-Jährige ist eine imposante Erscheinung, gekleidet in farbenfroher afrikanischer Eleganz, obwohl aufgewachsen in Panama. Bei ihrem Amtsantritt hat sie ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: Bis 2030, so ihre Vision, soll es keine ungewollten Schwangerschaften mehr auf der Welt geben.
"Ungewollte Schwangerschaften können eine Tragödie sein. Wie im Fall meiner Freundin Fatima in Tansania, die mit 14 schwanger wurde und keine Ahnung hatte, was mit ihr und ihrem Körper geschah. Dieses Unwissen müssen wir bekämpfen. Wir müssen den jungen Mädchen Aufklärung und Informationen geben, die sie davor beschützt, zu Opfern älterer Männer zu werden", sagt Natalia Kanem. Und: Auch bei verheirateten Frauen seien ungewollte Schwangerschaften eine der Hauptursachen für Armut und fehlende Bildung und Lebenschancen.
"Nur wenige Kinder zu bekommen, bedeutet, besser für sie sorgen und in ihre Zukunft investieren zu können. Leider sind es die armen Frauen, die den geringsten Zugang zu Verhütungsmitteln und Vorsorgemedizin haben."
Zugang zu Kondomen und Pille
Dabei ist in den letzten 50 Jahren viel erreicht worden, auch das zeigt der diesjährige Bericht des UN-Bevölkerungsfonds, den Kanem heute in Berlin vorstellt. Brachte im Jahr 1969 eine Frau im Schnitt noch 4,8 Kinder zur Welt, sind es heute mit 2,5 Kindern pro Frau nur noch halb so viele. Selbst in den ärmsten Ländern ist die Geburtsrate in den letzten 50 Jahren von 6,8 auf 4 Kinder pro Frau gesunken. 1969 hatte nur jede fünfte Frau weltweit Zugang zu Verhütungsmitteln, heute sind es 58 Prozent. Und doch ist noch ein weiter Weg zu gehen, betont Natalia Kanem.
Mit "Unfinished Business", unerledigtes Geschäft, ist der Bericht überschrieben. Noch immer sind Kondom und Pille und die damit verbundenen Freiheiten außer Reichweite von Hunderten Millionen von Menschen weltweit. Noch immer leben 800 Millionen Frauen auf der Welt, die als Kinder verheiratet worden sind - und noch immer sterben an jedem Tag 500 Frauen während der Schwangerschaft, bei verzweifelten Abtreibungsversuchen oder durch fehlende medizinische Betreuung bei der Geburt. Die Verantwortung dafür sieht Kanem auch bei der katholischen Kirche und ihrer Ablehnung von Verhütungsmitteln.
"Jede Religion auf der Welt spielt eine immense Rolle, weil die Religionen so großen Einfluss haben auf das Leben der Menschen. Von der katholischen Kirche und von jeder anderen religiösen Institution erhoffen wir uns, dass die Idee des Rechts auf freie Selbstbestimmung mitgetragen wird – denn es geht um Zugang zu Medizin, zu sexueller Aufklärung und auch zu rechtzeitiger Intervention – und letztlich darum, Menschenleben zu schützen."
Der Wunsch nach mehr Kindern
Dennoch leben viele Frauen heute ein besseres Leben als ihre Mütter – und sie können hoffen, dass ihre Töchter noch freier und selbstbestimmter werden leben können. Und es gibt auch das gegenteilige Problem: In vielen europäischen oder asiatischen Ländern wünschen sich Frauen mehr Kinder, als sie bekommen können. Auch das gehört für Kanem zu sexueller Selbstverwirklichung dazu.
"In Ländern wie Moldawien oder Portugal wird jetzt im Schnitt nur noch ein Kind pro Paar geboren. Was weit unter der Sterberate liegt. Und die Unterstützung, die Frauen benötigen, die sich mehr Kinder wünschen, sollte auch Gegenstand der Bevölkerungspolitik sein. Auch das wird in dem Bericht behandelt.
Natalia Kanem wird nicht müde, die Regierungen an ihr Versprechen zu erinnern, das sie vor 25 Jahren bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo gegeben haben. Damals wurde beschlossen, dass alle Menschen auf der Welt Zugang zu Methoden der Familienplanung haben sollen. Umgesetzt werden sollte das bis spätestens 2015.