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UN-Sicherheitsrat muss "endlich seine Verantwortung wahrnehmen"

Stefan Liebich von der Linken glaubt nicht, dass die syrische Bevölkerung von einem militärischen Eingreifen profitieren würde. Deshalb solle Deutschland seine Soldaten von der syrisch-türkischen Grenze abziehen.

Stefan Liebich im Gespräch mit Peter Kapern | 28.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Mein Kollege Peter Kapern hat vor dieser Sendung gesprochen mit Stefan Liebig von der Partei die Linke - er ist Mitglied im auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags - und seine erste Frage lautete: Wenn Sie die jüngsten Stellungnahmen aus London, Paris und Washington zusammenzählen, denken Sie, es wird zu einem militärischen Vorgehen gegen die syrische Regierung kommen?

    Stefan Liebich: Ich weiß das natürlich nicht, aber so wie es klingt, sieht alles danach aus, und ich glaube, das ist überhaupt keine gute Nachricht.

    Peter Kapern: Warum nicht?

    Liebich: Ich glaube, das Letzte, was die Menschen in Syrien jetzt brauchen, ist ein militärisches Eingreifen von außen, denn aus meiner Sicht wird das Leid der Zivilbevölkerung dadurch nicht verringert, sondern im schlimmsten Fall vergrößert.

    Kapern: Aber vielleicht kann man die syrische Regierung vom weiteren Einsatz von Chemiewaffen abhalten mit einer solchen Militäraktion.

    Liebich: Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Und wir wissen außerdem gar nicht, wer diese Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich denke, das Mindeste ist, dass man erst einmal den Bericht der Inspektoren der Vereinten Nationen sich anhört. Wir müssen wissen, wer gegen wen diese schrecklichen Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat, und dann muss man natürlich diejenigen vor einen internationalen Strafgerichtshof stellen. So ein Kriegsverbrechen – wer auch immer es verübt hat – ist natürlich nicht akzeptabel.

    Kapern: Wäre eine militärische Antwort denn nicht dennoch richtig, um kurzfristig die syrische Zivilbevölkerung vor weiteren Chemiewaffenangriffen zu schützen?

    Liebich: Ich weiß gar nicht, inwieweit das ein tatsächlicher Schutz wäre. Es wäre ein Zeichen, und es würden bei diesem Zeichen wahrscheinlich weitere Menschen sterben. Und außerdem wäre es rechtswidrig. Wir haben ein Völkerrecht, das lässt nicht zu, dass ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrates militärische Mittel eingesetzt werden. Und dass der UN-Sicherheitsrat das beschließt, halte ich für ausgeschlossen, man hat sich ja schon in viel geringeren Fragen in den letzten Jahren in diesem Gebiet nicht einigen können.

    Kapern: Es gibt im Völkerrecht, Herr Liebig, aber auch die Regel der Responsibility to Protect, also die Verpflichtung der Weltgemeinschaft, Unschuldige vor einem verbrecherischen Regime zu schützen. Wenn das nicht auf ein Regime zutrifft, das Chemiewaffen gegen die eigenen Menschen einsetzt, gegen wen ist dann diese Regel gemünzt?

    Liebich: Ich finde die Responsibility to Protect ein Riesenfortschritt. Die Vereinten Nationen haben sich darauf geeinigt, und zwar einstimmig, und das ist eine gute Sache, aber es wird immer nur ein Teil zitiert, es gibt noch mehrere Schritte davor. Die Weltgemeinschaft hätte präventiv wirken müssen, es müssen nichtmilitärische Mittel eingesetzt werden, und der Beschluss des UNO-Sicherheitsrates ist hierbei ausdrücklich weiter vorgesehen, sonst hätte es da keinen entsprechenden Beschluss über die Responsibility to Protect gegeben. Sie kann also auch nicht als Ausrede für einen einseitigen Militäreinsatz herangezogen werden.

    Kapern: Mal angenommen, die Inspektoren der Vereinten Nationen würden tatsächlich den Nachweis erbringen, dass die syrische Regierung für den Chemiewaffeneinsatz verantwortlich ist, wäre Ihre Partei dann für ein militärisches Vorgehen?

    Liebich: Nein, ich denke, dann müsste man einen Auslieferungsantrag gegenüber den Schuldigen stellen, und um den Krieg zu beenden, ist aus meiner Sicht etwas anderes wichtig, denn der Krieg findet ja nicht erst statt, wenn die Vereinigten Staaten eingreifen, der läuft ja schon seit zwei Jahren: Man muss ein Waffenembargo verhängen. Es kann nicht sein, dass die Freie Syrische Armee ausgerüstet wird, dass Assad von Russland ausgerüstet wird und immer mehr Waffen in das Land kommen. Ich denke, das muss gestoppt werden, und der UN-Sicherheitsrat muss dann endlich seine Verantwortung wahrnehmen, seine Spielchen beenden, sich für eine gemeinsame Friedenskonferenz unter Führung von Russland und den Vereinigten Staaten einsetzen – alles das würde den Leuten mehr helfen, als jetzt ein Bombardement zu starten.

    Kapern: Ein Waffenlieferstopp und ein Auslieferungsantrag, das sind doch eher Maßnahmen aus dem Bereich des Wunschdenkens und schaffen keine politischen Realitäten.

    Liebich: Na, ich verstehe ja jeden, der sagt, dass das nicht genug ist, aber ehe man handelt, muss man ja fragen, ob das Ziel, was man erreichen will, dadurch erreicht wird oder erschwert wird. Und ich glaube nicht, dass irgendetwas zu tun, das im Zweifel das Leiden der Bevölkerung dort verstärkt – und das wird bei einem Bombardement der Fall sein –, dass das besser ist. Und deswegen, finde ich, muss man tatsächlich diese Wege gehen. Es gibt ein Völkerrecht, es gibt Regeln, und daran müssen sich alle halten, daran müssen sich auch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich halten.

    Kapern: Aber auch die syrische Regierung, die dazu offenbar nicht gewillt ist.

    Liebich: Das ist ganz richtig, und deswegen finde ich ja auch, dass der UN-Sicherheitsrat hier seine Verantwortung wahrnehmen muss, und zwar gemeinsam. Und da kritisiere ich ausdrücklich Russland: Russland hat viel zu lange gebraucht, um überhaupt die Gewalt, die dort im Land von allen Seiten inzwischen, aber am Anfang von Assad verübt wurde, zu verurteilen. Das geht so überhaupt nicht. Russland zieht natürlich dann als Begründung das Agieren des Westens in Libyen heran, und das war in der Tat auch nicht richtig, was der Westen dort gemacht hat, aber Russland hat ja eine wichtige Verantwortung als Verbündeter der Assad-Regierung, und ich finde, es ist an der Zeit, dass sie ihre schützende Hand zurückziehen.

    Kapern: Aus Teheran und Damaskus ist zu hören, dass ein militärisches Eingreifen des Westens zu einem Flächenbrand in der Region führen könnte. Halten Sie das für realistisch, teilen Sie diese Befürchtungen?

    Liebich: Der Konflikt ist ja jetzt schon nicht mehr nur auf Syrien beschränkt. Wir haben Auswirkungen im Libanon, wir haben Auswirkungen im Irak, und ich fürchte auch, dass Israel betroffen wäre. Und Israel seinerseits hat sich ja bisher zurückgehalten, hat aber auch gesagt, dass es in einem Fall des Angriffes auf sein Territorium zurückschlagen wird. Und das ist nun wirklich das Allerletzte, was wir dort benötigen. Und ich möchte auf eines hinweisen, auch Deutschland wäre dann Teil dieses Konflikts. Durch die falsche Entscheidung der Bundesregierung, die Patriots mit deutschen Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze zu installieren, wären wir sofort Bestandteil dieses – ich sage es noch mal – völkerrechtswidrigen Krieges, deswegen müssen diese Soldaten umgehend abgezogen werden.

    Heckmann: Stefan Liebig war das von der Partei die Linke. Er sitzt im auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags. Das Gespräch hat geführt mein Kollege Peter Kapern.


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