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Unabhängigkeit von Montenegro nicht in Sicht

Das formale Ende des gemeinsamen Parlaments von Serbien und Montenegro markiert nach Einschätzung des Balkanexperten Dusan Reljic nicht auch ein Ende dieser Staatsgemeinschaft. Für eine Loslösung Montenegros, wie dessen Ministerpräsident Djukanovic sie anstrebt, gebe es in der Bevölkerung keine Mehrheit. Eine Gefahr für Konflikte wie in Bosnien sieht Reljic jedoch nicht, da die Regierungen in Belgrad und Podgorica kein Interesse daran hätten, dieses Problem mit Gewalt zu lösen.

Moderation: Peter Lange |
    Peter Lange: Es war von Anfang an ein politisches Kunstgebilde, geschuldet allein dem politischen Druck der Europäischen Union. Serbien-Montenegro, ein Verbund zweier zerstrittener Teilstaaten, die kaum noch etwas verbindet. Der Rest des ehemaligen Jugoslawiens könnte sich jetzt endgültig in seine letzten Bestandteile zerlegen, denn das Mandat des gemeinsamen Parlamentes ist formal-juristisch abgelaufen. Damit gibt es eigentlich auch keine gemeinsame legitime Regierung mehr, jedenfalls aus Sicht der Führung in Montenegro. Die Führung dort sieht sich in ihrem Streben nach Unabhängigkeit nunmehr bestärkt. Am Telefon ist nun Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik, seit vielen Jahren ein genauer Beobachter der politischen Entwicklung auf dem Balkan. Herr Reljic, sind die Montenegriner nun der gewünschten Unabhängigkeit näher gekommen?

    Dusan Reljic: Das würde ich nicht meinen, denn das Ausschlaggebende ist, ob die Bevölkerung Montenegros diese politische Linie der Führung unterstützt und derzeit zeigen die Meinungsumfragen wieder mal, dass nur eine hauchdünne Mehrheit das unterstützt, was Ministerpräsident Djukanovic und seine Mitarbeiter wollen, nämlich eine schnelle Loslösung. Eine Volksbefragung würde derzeit keine eindeutige Mehrheit dafür bringen.

    Lange: Also eine Unabhängigkeit um den Preis einer gesellschaftlichen Spaltung?

    Reljic: Und zwar in einem Staat, der etwa 640.000 Menschen zählt. Das ist sehr, sehr wenig, das ist weniger als Köln Einwohner hat und in dem ein Großteil der Menschen sich auch als ethnische Serben deklariert. Das ist ein sehr riskanter Weg für den sich Djukanovic und seine Leute entschieden haben und sie haben sich damit keine Freunde auch in Brüssel gemacht, wo man mit großem Bangen zusieht, wie der Zerfallsprozess im ehemaligen Jugoslawien wieder an Dynamik gewinnt, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen auf Kosovo.

    Lange: Was ist Ihre Prognose? Wie geht das jetzt weiter zwischen Serbien und Montenegro?

    Reljic: Die Verfassung für dieses Land, für die staatliche Union von Serbien und Montenegro, ist etliche Male bisher sehr grob verletzt worden. Und dass es jetzt kein legitimes Bundesparlament mehr gibt, wird nicht sehr viel Auswirkungen haben. Ich vermute, dass jetzt wieder mal Propaganda an die Reihe kommt, das insbesondere in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, die Regierung Djukanovic mit allen Mitteln wieder versuchen wird, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass nur eine Trennung von Serbien der schnellere Weg in Richtung EU und NATO ist. Das wird ein Teil der Bevölkerung nicht akzeptieren und wieder mal werden die ausländischen Faktoren, zum Beispiel die Europäische Union aber auch die USA, eine große Rolle spielen. Man wird mit den Führungen in Belgrad und Podgorica den Dialog stärker intensivieren, und dann müssen wir wieder mal abwarten, wie die politische Großwetterlage in der Region ausfallen wird.

    Lange: Würde das friedlich abgehen, wenn sich Montenegro tatsächlich lösen sollte?

    Reljic: Da gibt es keine Gefahr von den bosnischen Konflikten, da weder in Belgrad noch in Podgorica jemand daran interessiert ist, dieses Problem mit Gewalt zu lösen. Es könnte aber durchaus sein, dass innerhalb Montenegros selbst zum Beispiel die Menschen durch Massendemonstrationen, durch politische Kundgebungen ihrem Willen Ausdruck geben. Aber ich glaube nicht, dass es wieder zu Massengewalt kommen könnte, wie bei ähnlichen früheren Anlässen im ehemaligen früheren Jugoslawien.

    Lange: Wäre ein Montenegro überhaupt lebensfähig als eigenständiger Staat? So ein Zwergstaat von der Größe Kölns?

    Reljic: Es gibt einige Staaten in der Europäischen Union, die kleiner sind als Montenegro, zum Beispiel Luxemburg als jetziger Vorsitzende ist auch ein winzig kleiner Staat.

    Lange: Es hat aber ganz viele Banken.

    Reljic: Ja, Montenegro hofft, dass zum Beispiel Offshore-Firmen, Offshore-Banken dort ihren Platz finden und dass der Tourismus wieder gedeiht. Das hat sich aber in den letzten Jahren nicht so entwickelt, wie man erwartet hätte. Der Haushalt wird nach wie vor sehr davon abhängen, inwieweit man in Brüssel und in Washington bereit ist, Gelder zu spenden. Also ist Montenegro derzeit sicher nicht ein Staat, der auf eine rosige Zukunft gucken kann, wenn es allein geht.

    Reljic: Die Kosovaren argumentieren bei ihren Unabhängigkeitsbestrebungen immer wieder, wir müssen allein deshalb uns von Serbien lösen, weil wir nur dann wirtschaftlich auf die Beine kommen, weil wir immer noch fremdgesteuert werden aus Belgrad. Gilt das für Montenegro auch?

    Lange: Ich glaube nicht, da ist schon seit einigen Jahren eine sehr starke wirtschaftliche Trennung vorhanden. Zum Beispiel wird in Montenegro der Euro als Währung verwendet und in Belgrad der Dinar. Es gibt verschiedene Zollsätze. Die Europäische Union hat auch einen doppelgleisigen Versuch gemacht, dass Montenegro und Serbien auf verschiedene Arten sich an die Europäische Union auch wirtschaftlich annähern. Das ist nicht das Hauptargument. Ich glaube, dass man in Podgorica vor allem darauf hinweist, dass Montenegro eben nur drei bis vier Prozent des serbischen Bruttosozialproduktes erreicht und auch bevölkerungsmäßig bei etwa fünf Prozent liegt und dass aus diesen strukturellen Gründen so ein kleiner Staat mit einem größeren Bruder nie gleichwertig sein kann.

    Reljic: Einer der Gründe für diese gewünschte Trennung lautet: Ohne Serbien sind wir, also die Montenegriner, schneller in der EU, mit Serbien verlieren wir Zeit. Ist das für Sie nachvollziehbar?

    Reljic: In Brüssel ist man nicht dieser Meinung, weil die strukturellen Probleme, die wirtschaftlichen Probleme und aber auch die politischen Probleme, die es in Podgorica gibt, nicht dadurch über Nacht verschwinden, dass man nicht mehr an der Hand des größeren Bruders ist. Ich glaube, dass es eben zu dieser Propaganda gehört, von der ich vorhin sprach, dass man der Bevölkerung Argumente geben möchte, damit vielleicht eine Volksbefragung, die möglicherweise im nächsten Frühjahr, also im Frühjahr 2006 stattfinden könnte, dass dann eine eindeutige Mehrheit für die Selbständigkeit zustande kommt. Die ist derzeit nicht in Sicht.

    Lange: Wir beobachten derzeit noch etwas anderes auf dem Balkan. Es fällt ja geradezu ins Auge, dass sich nun in kurzer Folge Ex-Generäle aus Serbien, Kroatien und Bosnien nach Den Haag begeben haben, um sich dem Kriegverbrechertribunal zu stellen. Worauf führen Sie das zurück?

    Reljic: Auf den Druck der jeweiligen Regierungen, die wiederum dem Druck, der aus Brüssel und aus Washington kommt, ausgesetzt sind und deswegen die politische und die wirtschaftliche Zukunft ihrer Länder nicht aufs Spiel setzten wollen, wegen einiger Generäle, in einem Krieg, der jetzt eigentlich schon zehn Jahre zurückliegt.

    Lange: Können Sie sich vorstellen, dass es da außer politischem Druck auch irgendwelche Deals gegeben hat, Geständnis gegen Strafermäßigung oder so etwas?

    Reljic: Es hat einige solche Fälle gegeben bis jetzt, wo man im Haag einigen Angeklagten quasi entgegen gekommen ist, in dem man ihnen niedrigere Strafen versprochen hat. In diesen Fällen, glaube ich eher nicht. Eher hat sich die Umgebung für diese Menschen in ihren Heimatländer verändert. Sie werden von einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr als Heroen angeschaut, sondern eben als eine lästige Erscheinung, die der Zukunft der Länder im Weg steht. Und zumindest bei einem dieser Generäle, der sich jetzt gestellt hat - das ist Momcilo Perisic aus Serbien, der vor vielen Jahren Generalstabschef gewesen ist - könnte noch ein Motiv vorhanden sein. Er ist nämlich ein alter politischer Feind von Milosevic, und es könnte durchaus sein, dass er den Weg nach Den Haag gewählt hat, damit er dort, indem er gegen Milosevic aussagt, vielleicht eine ganz geringe Strafe bekommt.

    Lange: Um den Prozess um Milosevic ist es ja ziemlich still geworden. Das heißt, seine Verteidigungsposition könnte durch diese jüngste Entwicklung eher geschwächt werden?

    Reljic: Ich habe mich auch gewundert, dass ein Großteil der westlichen Medien in den letzten Wochen und Monaten überhaupt nicht über die Aussagen der Zeugen der Verteidigung Milosevic berichtet. Dort wird munter jeden Tag weiter diskutiert im Gerichtshof von Den Haag. Es kommen Leute aus Deutschland, aus den Vereinten Staaten, auch aus dem ehemaligen Jugoslawien, die eine Position aufbauen, die Milosevic derzeit nützt, und vielleicht könnte es sein, dass durch den Auftritt neuer Generäle, eben dieses genannten Perisic, die derzeit ziemlich gute Position von Milosevic einen Knick erleidet.